laut.de-Kritik

Sauberer klang er noch nie.

Review von

In einem der seltenen Interviews echauffierte sich Scotty Moore 1999 über die Flut an Veröffentlichungen mit 'neuem' Material des längst verstorbenen Elvis Presley: "Ich bin ziemlich unglücklich über diese 'Alternate Takes', wie sie sie nennen. Sie sind keine alternativen Versionen, sondern Auszüge, die eigentlich in den Mülleimer gehören. Sie zeigen nur, wie wir an einem Song gearbeitet haben, mit allen möglichen Fehlern, bis wir den Punkt erreicht haben, in dem wir sagen konnten: Jetzt haben wir es".

Zum Vergleich: Würde sich Rembrandt über die Veräußerung seiner Skizzen freuen? Es waren doch nur Entwürfe auf dem Weg zum endgültigen Bild. Aus meiner Sicht ist das ein Eindringen in die Privatsphäre, nicht nur in die von Elvis, sondern auch von all denjenigen, die mit ihm arbeiteten", so Moore, der mit seinem Gitarrenspiel das frühe Werk des Meisters maßgeblich prägte.

In Fall von Elvis-Gesang mit nachträglicher Orchesterbegleitung, gar im 'Duett' mit Helene Fischer, mag man durchaus zustimmen. Doch die hier veröffentlichten Aufnahmen stammen aus jenen legendären Sun-Sessions von 1953 bis 1955, als Memphis kurz zur Hauptstadt des Rockabilly wurde und Elvis zum Mythos. So wertvoll, dass Jack White 2015 300.000 US Dollar hinblätterte, um Elvis' allererste Aufnahme von 1953 zu ergattern, die direkt auf Acetat gepresst und dadurch in nur einem Original-Exemplar existierende Single "My Happiness" / "That's Where Your Heartache Begins".

Letzteres passt vom Titel her ganz gut zu Moores Einstellung. Und mit dieser Single beginnt auch vorliegende Zusammenstellung. Im August 1953 betrat der Möchtegern-Sänger das Gebäude von Sun Records, um den Song als Geschenk für seine Mutter aufzunehmen. Es war kein offizielles Debüt, sondern eine Dienstleistung des Studios, in etwa wie das Schießen von Passfotos seitens eines professionellen Fotografen. Im Januar 1954 griff Elvis noch mal in die Tasche, um eine zweite Single mit den Titeln "I'll Never Stand In Your Way" und "It Wouldn't Be The Same Without You" aufzunehmen.

Sein Gitarrenspiel war rudimentär, doch die Stimme hatte es in sich. Noch ziemlich schnulzig und unsicher, doch schon deutlich zu erkennen. Auf der Suche nach einem weißen Sänger, der sich anhörte wie ein schwarzer, erinnerte sich Inhaber und Produzent Sam Phillips an den Jungen mit der Tolle und lud ihn im Juli 1954 zu einer Session ein.

Phillips, Gitarrist Moore und Kontrabassist Bill Black waren schon fast dabei, ihre Sachen nach einem ergebnislosen Abend zusammen zu packen, als Presley blödelnd begann, mit "That's Alright" einen kleineren, schon etwas betagten Hit zu singen. Seine Mitmusiker stiegen ein, Phillips drückte Play, ein paar Tage später nahmen sie für die Rückseite Billy Monroes Bluegrass-Nummer "Blue Moon Of Kentucky" auf.

Die Single machte Elvis zum lokalen Helden. Er hängte seinen Job als LKW-Fahrer an den Nagel, bereiste mit wachsendem Erfolg die Südstaaten und nutzte die Pausen, um weitere Singles aufzunehmen. Mit Schlagzeuger D.J. Fontana wuchs das Trio zum Quartett an. Nicht nur musikalisch waren sie eine Sensation: Presleys Nervosität führte zu zuckenden Beinen, die neben seiner Stimme und seinem rotierenden Becken auf der Bühne zu seinen Markenzeichen wurden.

Er war witzig, sah gut aus, brachte die Frauen zum Kreischen und wurde deshalb von vielen Männern gehasst. Perfekte Voraussetzungen für eine Karriere im Musikbusiness. Im Sommer 1955 legte er sein Schicksal in die Hände des berüchtigten Managers Colonel Parker, der ihm einen neuen Vertrag beim Major RCA vermittelte. Der Rest ist eine mehr oder weniger traurige Geschichte aus intergalaktischem Erfolg, unfassbarem Reichtum, mittelmäßigen bis schlechten Filmen, Übergewicht, Medikamentenmissbrauch, Las Vegas. Mit gelegentlichen Lichtblicken wie das '68 Comeback Special.

Doch das spielt bei dieser Compilation keine Rolle. Neben den Singles für Sun, die RCA später bundesweit herausbrachte, enthält sie auf CD 2 auch alle noch existierenden Rohfassungen von Presleys ersten Hits. Hier möchte man Moore fast schon recht geben.

Einen kurzweiligeren Blick in die Vergangenheit bietet CD 3 mit allen bekannten Liveaufnahmen, auf der Bühne und bei Radiosendern, aus den ersten anderthalb Schaffensjahren. Die ersten zwei Stücke stammen aus Elvis' erstem großen Konzert, als er im Oktober 1954 bei der wöchentlichen und im Radio übertragenen Louisiana Hayride in Shreveport vor mehreren tausend Zuschauern auftrat. Er war nur einer von vielen Performern an jenem Tag, als er aufgeregt und nuschelnd "That's Alright" ankündigte. Doch auch wenn es keine bewegten Bilder dazu gibt – die Momente, in denen seine Beine zappelten, sind am weiblichen Gekreische klar zu identifizieren.

Natürlich könnte man einwenden, dass das meiste Material schon längst bekannt und in vielfacher Form auf den Markt ist. Doch wie gewohnt haben sich die Verantwortlichen bei Legacy/Columbia große Mühe gegeben. Allein in die Aufarbeitung der Aufnahmen, teilweise von Bändern, aber auch von Vinyl, sind 1.700 Stunden geflossen, also ein ganzes Arbeitsjahr. Die Verpackung in Form einer etwas zu groß geratenen Single ist gelungen, dazu gibt es ein dickes Booklet mit minutiösen Informationen, vielen Fotos und Elvis' Leben in jener Zeit in Tagebuchform. Zeitgleich erscheint eine Vinyl-Version (nur 1 LP) mit den Sun-Masters und einem für damalige Verhältnisse zeitgemäßen Cover.

Was Moore davon hält, lässt sich leider nicht mehr in Erfahrung bringen, denn er starb am 28. Juni 2016. Zum Schluss des Interviews mäßigte er 1999 jedoch den Ton. Zumindest dem Schein nach: "Ich kann die Fans verstehen. Alles, was sie von Elvis noch nicht gehört haben, lässt außerdem die Kassen des Labels klingeln". Letzteres dürfte mittlerweile nicht mehr zutreffen, denn der junge Elvis hat für die meisten von uns allenfalls einen nostalgischen Wert. Schön aber, sich in dieser Form noch mal mit ihm zu beschäftigen.

Trackliste

CD 1

  1. 1. My Happiness
  2. 2. That's When Your Heartaches Begin
  3. 3. I'll Never Stand In Your Way
  4. 4. It Wouldn't Be the Same Without You
  5. 5. Harbor Lights
  6. 6. I Love You Because
  7. 7. That's All Right
  8. 8. Blue Moon Of Kentucky
  9. 9. Blue Moon ((Take 9/M))
  10. 10. Tomorrow Night
  11. 11. I'll Never Let You Go (Little Darlin')
  12. 12. I Don't Care If the Sun Don't Shine
  13. 13. Just Because
  14. 14. Good Rockin' Tonight
  15. 15. Milkcow Blues Boogie
  16. 16. You're A Heartbreaker
  17. 17. I'm Left, You're Right, She's Gone (Slow Version)
  18. 18. Baby, Let's Play House
  19. 19. I'm Left, You're Right, She's Gone
  20. 20. I Forgot To Remember To Forget
  21. 21. Mystery Train
  22. 22. Trying To Get To You
  23. 23. When It Rains, It Really Pours
  24. 24. That's All Right (RCA Single Version)
  25. 25. Blue Moon of Kentucky (RCA Single Version)
  26. 26. I Love You Because
  27. 27. Tomorrow Night (RCA LP Version)

CD 2

  1. 1. Harbor Lights (Takes 1-2, 3/M)
  2. 2. Harbor Lights (Take 4)
  3. 3. Harbor Lights (Takes 5-8)
  4. 4. I Love You Because (Takes 1-2)
  5. 5. I Love You Because (Take 3)
  6. 6. I Love You Because (Takes 4-5)
  7. 7. That's All Right (Takes 1-3)
  8. 8. Blue Moon of Kentucky (Alternate Take)
  9. 9. Blue Moon (Takes 1-4)
  10. 10. Blue Moon (Take 5)
  11. 11. Blue Moon (Takes 6-8)
  12. 12. Blue Moon ((Take 9/M))
  13. 13. Dialogue (Fragment before "Tomorrow Night")
  14. 14. I'll Never Let You Go (Little Darlin') [Incomplete Take]
  15. 15. Good Rockin' Tonight (Fragment from Vocal Slapback Tape)
  16. 16. I Don't Care if the Sun Don't Shine (Takes 1-3/M)
  17. 17. I'm Left, You're Right, She's Gone (Slow Version, Take 1)
  18. 18. I'm Left, You're Right, She's Gone (Slow Version, Take 2)
  19. 19. I'm Left, You're Right, She's Gone (Slow Version, Take 3)
  20. 20. I'm Left, You're Right, She's Gone (Slow Version, Takes 4-5)
  21. 21. I'm Left, You're Right, She's Gone (Slow Version, Takes 6-7)
  22. 22. How Do You Think I Feel (Guitar Slapback Tape, Rehearsals + Take 1)
  23. 23. When It Rains It Pours (Vocal Slapback Tape, Take 1)
  24. 24. When It Rains It Pours (Vocal Slapback Tape, Take 2 - Rehearsal 1 - Takes 3-4)
  25. 25. When It Rains It Pours (Vocal Slapback Tape, Take 5/M)
  26. 26. When It Rains It Pours (Vocal Slapback Tape, Takes 6-8)

CD 3

  1. 1. That's All Right (Live from the Louisiana Hayride, Shreveport, Louisiana) (1954)
  2. 2. Blue Moon of Kentucky (Live)
  3. 3. Shake, Rattle And Roll
  4. 4. Fool, Fool, Fool
  5. 5. Hearts of Stone (Live)
  6. 6. That's All Right (Live from the Louisiana Hayride, Shreveport, Louisiana) (January 15, 1955)
  7. 7. Tweedlee Dee (Live from the Louisiana Hayride, Shreveport, Louisiana) (January 15, 1955)
  8. 8. Shake, Rattle And Roll (Live On Wjoi Radio)
  9. 9. Ksij Radio Commercial With DJ Tom Perryman (Live)
  10. 10. Money Honey (Live)
  11. 11. Blue Moon of Kentucky (Live from the Louisiana Hayride, Shreveport, Louisiana)
  12. 12. I Don't Care If the Sun Don't Shine (Live)
  13. 13. That's All Right (Louisiana Hayride, Shreveport, Louisiana) (January 22, 1955)
  14. 14. Tweedlee Dee (Live from the Louisiana Hayride, Shreveport, Louisiana)
  15. 15. Money Honey (Live from the Louisiana Hayride, Shreveport, Louisiana)
  16. 16. Hearts Of Stone (Live from the Louisiana Hayride, Shreveport, Louisiana)
  17. 17. Shake, Rattle and Roll (Live)
  18. 18. Little Mama (Live)
  19. 19. You're A Heartbreaker (Live)
  20. 20. Good Rockin' Tonight (Live)
  21. 21. Baby, Let's Play House (Live from Eagles' Hall, Houston, Texas)
  22. 22. Blue Moon of Kentucky (Live from Eagles' Hall, Houston, Texas)
  23. 23. I Got a Woman (Live)
  24. 24. That's All Right (Live from Eagles' Hall, Houston, Texas)
  25. 25. Tweedlee Dee (Live from the Gladewater High School, Gladewater, Texas)
  26. 26. That's All Right (Live from the Jimmie Rodgers Memorial Festival, Meridian, Mississippi)
  27. 27. I'm Left, You're Right, She's Gone (Live)
  28. 28. Baby, Let's Play House (Live from the Louisiana Hayride, Shreveport, Louisiana)
  29. 29. Maybellene (Live)
  30. 30. That's All Right (Live from the Louisiana Hayride, Shreveport, Louisiana) (August 20, 1955)
  31. 31. Bob Neal Radio Promotion Spot (Live)
  32. 32. I Forgot to Remember to Forget (Live)

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1 Kommentar

  • Vor 6 Jahren

    Scotty Moore redet da quatsch, von Rembrandt gibt es vielleicht keine Skizzen aber von da Vinci und die sind wirklich interessant und auch die übrigen Beatles haben doch auch ihr Archiv geöffnet mit der Anthology also wieso nicht Elvis. Ich fand das Album sehr interessant, für Leute die sich mit der Entstehungsgeschichte vertraut machen wollen.