laut.de-Kritik
Die Platte, die die Musikwelt neu erfand.
Review von Michael Schuh"Oh Mann, ich war harmlos gegen das, was sie heute machen", stöhnte Elvis Anfang der 70er Jahre mit Blick auf die damals aktuelle Musikszene. Das mag ja stimmen, aber er war eben der erste. Im Auge des Hurrikans tausender Nachkriegs-Babyboomer. Mit Songs, die eine neue Zeitrechnung einleiteten und einer Coolness, die man bis dato nur von James Dean kannte. Selbst die Beatles schrieben die gerade aufblühende Popkultur nur fort, der Junge aus Tupelo legte die Saat.
Heute kennt kaum einer die ursprünglich als reguläre Studioalben veröffentlichten Elvis-Scheiben, weil der Markt seit Jahrzehnten mit Best Of-Alben überschwemmt wird. So ergibt die erste Trefferseite bei Amazon mit dem Suchwort "Elvis Presley" ausschließlich Greatest Hits-Sammlungen. Das gleichnamige Debütalbum ist dagegen vor allem berühmt für The Clashs zwei Jahre nach Presleys Tod veröffentlichte Cover-Hommage.
"Elvis Presley" erschien im März 1956 als erstes Studioalbum des außerhalb der Südstaaten noch weitgehend unbekannten Sängers. Das Albumformat war damals kaum mehr als ein Feld für Abenteurer, gemessen wurde in der Währung der Zeit: Der Vinylsingle. Was so weit ging, dass Hitsingles absichtlich nicht auf Alben gepresst wurden, um den reißenden Single-Absatz nicht zu gefährden. Eine aus heutiger Sicht bizarre Folgerung, die damals dazu führte, dass man "Heartbreak Hotel", im selben Jahr auf den Spitzenplätzen der Pop-, Country- und Rhythm'n'Blues-Charts gleichzeitig, nicht auf "Elvis Presley" presste.
Vorerst eine folgenlose Entscheidung der RCA-Verantwortlichen. Elvis' euphorische Live- und TV-Auftritte und seine erfolgreichen Singles ließen die Kassen auch so klingeln: "Elvis Presley" ging in drei Monaten über 350.000 Mal über den Ladentisch. Da konnte sogar ein Glenn Miller einpacken.
Beim Majorlabel RCA war man zunehmend erleichtert, mit Elvis nicht den falschen Mann des Sun Records-Labels gekauft zu haben, eine Angst, die Ende 1955 durch den Hit "Blue Suede Shoes" von Presleys früherem Sun-Kollegen Carl Perkins in ungeahnte Höhen stieg.
Als das Debüt "Elvis Presley" 1956 erschien, genoss der 21-Jährige seinen Ruhm in vollen Zügen: jeden Tag mit den Bandkumpels Scott und Bill im nagelneuen 1951er Lincoln Cosmopolitain auf der Straße, jeden Abend ausverkaufte Shows, Backstage-Treffen mit eigenen Musikeridolen wie Hank Snow oder den Carter Sisters, überall junge Mädchen, Ekstase, Ausschreitungen. Der Musiker Elvis war 1956 unbeschwert, neugierig und voller Energie, und so klingt "Elvis Presley".
Vom Perkins-Cover "Blues Suede Shoes", in dem er vor dem Gitarrensolo entfesselt "Rock it!" schreit, über zarte Balladen wie "I'm Counting On You" bis hin zu unbändigen Rock'n'Roll-Granaten wie Little Richards "Tutti Frutti" oder Ray Charles' "I Got A Woman"; jeder fremde Song schien nur geschrieben worden zu sein, um von dieser facettenreichen Stimme interpretiert zu werden.
Jahre später brachte Sun-Star Roy Orbison die frühe Magie von Elvis auf den Punkt: "Er war dieser junge Punk, ein ziemlich rauher, ungehobelter Kerl. Doch dann begann er zu singen wie ein Vogel." Diese Meinung teilten nicht alle. Die Gegner der "neuen Musik" formierten sich zügig.
Presley habe keine erkennbaren Gesangsfähigkeiten, stichelte die Presse selbst nach der erfolgreichen Veröffentlichung von "Elvis Presley" in ohnmächtiger Ablehnung des grassierenden Jugend-Phänomens. Sogar die seriöse New York Times ätzte über die Zurschaustellung primitiver körperlicher Bewegungen, die mit unpassender Stimme vorgetragenen, unverständlichen Texte und stellte erbarmungslos fest: "Die Populärmusik hat mit den Grunz- und Lendeneskapaden von Elvis Presley ihren absoluten Tiefpunkt erreicht."
Anekdoten, die sich heute wie aus der Steinzeit ausnehmen, doch in den 50er Jahren legte man in den USA eben noch nicht allzu viel Wert auf Heimatkultur. Hass und Verachtung richtete sich in der Regel ungefiltert auf die Südstaaten. Da kam einer wie Elvis mit seinen animalischen Hüftbewegungen grade recht.
Die Frage, ob sein Debüt das beste aller Elvis-Alben ist, darf noch weitere 60 Jahre diskutiert werden. Seinen Mythos bezieht das Album ähnlich wie die 1957er Debüts "Here's Little Richard" und "Johnny Cash With His Hot & Blue Guitar" aus ihrer Bedeutung für die Weiterentwicklung der modernen Pop- und Rockmusik.
Trotzdem: Mit eher unbekannten Songs wie "One-Sided Love Affair", "Just Because" oder dem später von den Beatles gecoverten "I'm Gonna Sit Right Down And Cry (Over You)" listet "Elvis Presley" weitere Belege, warum Elvis als "King of Rock'n'Roll" in die Geschichtsbücher einging. Oder wie es die lebende R'n'R-Legende Lemmy Kilmister einst sagte: "Ich weiß, was Rock'n'Roll ist, denn ich erinnere mich an eine Zeit, als es noch keinen gab. Ich weiß noch wie es war, als Elvis' Platte rauskam. Seitdem bin ich dem Rock'n'Roll verfallen."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
23 Kommentare
"Die Platte, die die Musikwelt neu erfand."
naja... alle songs stammen aus fremder feder.
aber stimmt schon. einer der ersten alben ist sie schon.
oh mama, rock ye lil one slow
mama, rock ye baby
mama, rock ye lil one slow
Til The King is born in Tupelo!
.....ich persönlich halte ja den aggressiveren und schwärzeren killer jerry lee mit seinem whole lotta shakin' (1956) für den echten rocker.
...aber man muss das ja nicht immer so alternativ sehen. beide ganz wichtig symbole
Ist die Meilenstein-Kategorie jetzt wieder abgeschafft? ~.~ Also im Sinne der Navigation auf der Seite hier.
Wann traut sich endlich mal einer an The Downward Spiral?
Elvis Presley ist schon alleine eine Legende und da ist es für mich nicht so wichtig ob die meisten Lieder gecovert wurden.
Durch die Lieder In the Ghetto, Suspicious Minds, Heartbreak Hotel und andere ist Elvis Presley unvergessen.