laut.de-Kritik
"Er ging als erster in die Schlacht."
Review von Giuliano BenassiZum Helden aus Memphis ist längst alles gesagt, könnte man meinen. Ohne Elvis Presleys Hüftschwung, seinem verschmitzten Lächeln und seinem Rehblick hätten Heerscharen an Musikern der nächsten Generation nicht davon geträumt, vergöttert zu werden. Vor allem in Großbritannien. Ohne Elvis hätte es die Rolling Stones oder Beatles in der uns bekannten Form nicht gegeben.
Beeindruckt waren sie vor allem von seinem Bühnen-Charisma - musikalisch hatten sie andere Helden. Kein Wunder, hatte sich Elvis schnell den Rebellen-Bonus mit seichten Filmen und den dubiosen Machenschaften seines Managers Colonel Parker verspielt. Als er im November 1955 Sun Records verließ und bei RCA unterschrieb, begann sein künstlerischer Niedergang, heißt es.
Doch stimmt das auch? Thom Zimny, der sich als Bruce Springsteens Lieblingsregisseur einen Namen gemacht hat, zeigt in der TV-Dokumentation "The Searcher", dass sich Elvis in Wahrheit sein Leben lang weiter entwickelte. "Er hatte nicht einfach Glück. Er arbeitete sehr hart und schuf seine Musik mit großartigen Künstlern. Er hatte einen inneren Drang, der ihn antrieb, vom ersten Tag an", erklärt Produzent Ernst Jørgensen.
In Zimnys dreistündigen Dokumentation kommen neben vielen anderen auch Presleys Ehefrau Priscilla, Tom Petty, Robbie Robertson, Emmylou Harris und Springsteen zu Wort. In den USA feiert sie auf dem Kabelsender HBO im April 2018 Premiere, die Hoffnung besteht, dass sie irgendwann auch anderswo zu sehen ist. Der Soundtrack erscheint überall zeitgleich. Wie gewohnt in verschiedenen Formaten, von denen die Deluxe-Edition auf drei CDs die interessanteste ist.
Von den Außenmaßen her passt sie perfekt zur empfehlenswerten Sammlung "A Boy From Tupelo: The Complete 1953-1955 Recordings", 2017 erschienen. Der Inhalt ist jedoch nicht ganz so spektakulär, denn neue Funde aus den Gewölben sind nicht dabei. Eine Best Of - von denen es mehr als genug gibt, - will der Soundtrack aber nicht sein. Er sei "ein Künstlerporträt, dessen Puzzleteile sich Song für Song zusammenfügen ... Die Wahrheit, die aus seiner Stimme sprach, war die eines Suchenden", stellt Autor Warren Zane in seinen ausführlichen Liner Notes fest.
Die erste zwei CDs enthalten Aufnahmen aus der Karriere des Kings. Den Anfang macht interessanterweise nicht seine erste Single, sondern sein Auftritt beim NBC TV Special (besser bekannt als "1968 Comeback Special"), mit dem er seine Karriere als Performer spektakulär wieder aufnahm. Mit einer Mischung aus Rhythm And Blues, Country, Rock'n'Roll und Big Band steht "Trouble/Guitar Man" symbolisch für die musikalischen Interessen Presleys- zu denen auch der Gospel gehört.
Und auch für die Entscheidung der Macher, eher alternative Versionen oder Liveaufzeichnungen zu bieten. Die Aufnahme des Demos zu "Mona Lisa" entstand 1958 in der Goethestraße in Bad Nauheim, wo Elvis während seinen Wehrdienstes lebte, die Schnulze "Love Me Tender" ist hier sogar mit Frank Sinatra am Mikrophon vertreten - 1960 trat Elvis nach seiner Rückkehr aus Deutschland in Sinatras TV-Show auf und sang im Gegenzug dessen Stück "Witchcraft".
Eine nette neue Zusammenstellung bekannter Stücke also. Das gilt auch weitgehend für die dritte CD. Neben zwei Stücken von Pearl Jam-Gitarrist Mike McCready, der sich um die zusätzliche klangliche Untermalung kümmerte, enthält sie Lieder, die Elvis inspirierten. Bill Monroes "Blue Moon Of Kentucky" ist so bekannt, dass es fast überflüssig erscheint, dafür singen Elvis' Mutter Gladys (fürchterlich) "Home Sweet Home" und Tom Petty "Wooden Heart" (in diesem Fall eine Hommage).
Der große Sänger aus Florida trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er in Film und Booklet erklärt: "Für uns alle war er ein Scheinwerfer. Wir stehen in seiner Schuld, denn er ging als erster in die Schlacht. Er besaß keinen vorgefertigten Plan, er fand heraus, was möglich war und was nicht. Wir sollten ihn nicht wegen all dem Schabernack abschreiben, der später kam. Wir sollten uns darauf konzentrieren, was er an Schönem und Zeitlosem geschaffen hat: großartige Musik".
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