laut.de-Kritik
Ein Monstrum aus manischer Brutalität und betörender Schönheit.
Review von Dominik KautzDass die Post-Hardcore und Screamo-Szenebereiter von Envy mit "The Fallen Crimson" fünf Jahre nach der Veröffentlichung ihres letzten Albums "Atheist's Cornea" wieder ein Lebenszeichen von sich geben, grenzt an ein kleines Wunder. Wenige Monate nach Veröffentlichung des Albums strich Sänger Tetsuya Fukagawa nach 20 Jahren die Segel und kehrte der Band den Rücken zu. Sein Ausstieg sorgte bei den Tokiotern nicht nur für eine harte Zeit der Stagnation, sondern brachte sie fast an den Rand ihres musikalischen Todes. Der Fortgang von Gitarrist Tobita und Drummer Seki streute nur weiteres Salz in die klaffende Wunde.
Im Frühling 2018 kehrte der ausschließlich in seiner Landessprache singende Fukagawa dann aber völlig überraschend aus dem Nichts zurück und stieg wieder ein. Neben ihm komplettieren Drummer Watanabe sowie die beiden Gitarristen yOshi und Taki das neu belebte und auf drei Klampfer angewachsene Bandgefüge. Mit "The Fallen Crimson" im Gepäck feiern die Urgesteine anno 2020 ihr 25-jähriges Jubiläum und zeigen sich dabei mit neuer Energie progressiver und experimenteller als je zuvor. Angesichts der persönlichen und kreativen Differenzen im Vorfeld des Albums ist das keine Selbstverständlichkeit.
Alle vergangenen Widrigkeiten mit einem Schlag wegwischend, feuern Envy gleich mit dem Opener "Statement Of Freedom" eine monströse, unstete und vor allem explosive Hardcore-Breitseite ab. Dass diese zuweilen eine deutliche Nähe zu "Calathea" aus Viva Belgrados 2016er Album "Ulises" aufweist, schmälert die Durchschlagskraft des Tracks zu keiner Zeit. Die Wucht und die Kompromisslosigkeit mit der Envy hier ans Werk gehen, verdeutlicht mit aller Macht, dass die Band den Songtitel absolut programmatisch als Befreiungsschlag versteht.
Nicht weniger wirkungsvoll, aber komplett anders tönt das folgende "Swaying Leaves And Scattering Breath". Envy nehmen deutlich Tempo und Brutalität heraus und bauen stattdessen auf ein Gerüst aus getragenen, erhebenden Melodien und einer laut/leise-Dynamik. Spoken Words und poppiger Gesang sowie luftiger Post-Rock à la Explosions In The Sky und God Is An Astronaut flankieren diese Klänge.
Mit "A Faint New World" lassen Envy die eher positive Grundstimmung der ersten beiden Tracks weit hinter sich und erschaffen ein sinistres, vertracktes Monstrum mit atemberaubenden Akkordfolgen und einer Prise Refused. Vor allem das höchst dynamische An- und Abfluten der einzelnen Parts, Fukawagas brachiales Organ und die über allem schwebenden Soli zementieren eine quälende aber dennoch zu jeder Zeit erhabene Hoffnungslosigkeit. In die gleiche Kerbe, allerdings etwas mehr nach Fjørt klingend, schlägt das famose "Dawn And Gaze".
Die Aporie dieser Tracks mündet im rohen, wütenden "Marginalized Thread" in einen regelrechten Geschwindigkeitsrausch. Mit dem durch und durch punkigen, einem rasenden Tobsuchtsanfall gleichenden und mit Blastbeats garnierten "Fingerprint Mark" steigern Envy abermals das Tempo und hinterlassen nichts als verbrannte Erde. Auch hier spielen sie ihr Händchen für unvorhersehbare clean gespielte Breakdowns aus, die in ihrem Melodieverlauf deutlich an System Of A Downs "Chop Suey" erinnern. Vor allem Drummer Watanabe zeigt in diesem Song das ganze Spektrum seines Könnens. Wahnsinn, was diese Maschine in "Fingerprint Mark" an komplexen Figuren in die Felle seiner Schießbude drischt.
Neben all den Ausbrüchen bietet "The Fallen Crimson" aber auch himmelwärts strebende, majestätische Ruhepausen wie in den stark ambientlastigen "HIKARI" (dt. Licht) und "Eternal Memories And Reincarnation". Ebenso majestätisch schön, aber mit griffigeren und wuchtigeren Post Rock-Melodien durchzogen tönt "Rhythm". Einziger Wermutstropfen hier: Die Stimmführung der ebenfalls aus Japan stammenden Gastsängerin Achico. Die klingt einfach zu stark nach Sigur Rós' "Olsen Olsen", was im Verlauf des Songs irgendwie unpassend wirkt.
Über weite Teile von "The Fallen Crimson" zeigen sich Envy, vor idiosynkratischer Kreativität sprühend, mit unbeugsamem Drive am Rande des Wahnsinns und packen eine fast schon schizophrene, von polaren Gegensätzen geprägte stilistische Vielseitigkeit in das Album. Besser und unmittelbarer kann man hell und dunkel, laut und leise, schreienden Weltschmerz und verträumte Melancholie, Verzweiflung und verführerisch lockende Schönheit, manisch-destruktive Brutalität und verletzliche Emotionalität kaum miteinander zu einer Einheit verquicken. "Wir scherten uns beim Schreibprozess nicht um Genres [...] wir machten einfach was sich richtig anfühlte" kommentiert Fukawaga folgerichtig die Vielfalt der Platte.
Zwar befinden sich Envy natürlich (und zum Glück) nach wie vor in ihrer Komfortzone, doch weiten sie diese virtuos aus und fügen ihrem Schaffen somit eine ordentliche Portion neue Energie hinzu, die ihnen bestens zu Gesicht steht. Envy spielen in ihrer eigenen Liga und betören auf "The Fallen Crimson" mit einer durch und durch konsistenten und in Beschlag nehmenden Atmosphäre.
1 Kommentar
"Ein Monstrum aus manischer Brutalität und betörender Schönheit."
so stelle ich mir yo mama fromm vor ♥