laut.de-Kritik

Die Big Band des Bundesamts für Unsterblichkeit macht uns fertig.

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Erdmöbel sind die Weezer des deutschen Pop, absurde Schwankungen in der Qualität ihrer Veröffentlichungen gehören seit jeher zur Band-DNA. "Hinweise Zum Gebrauch" war cringe, man vergisst in der Rückschau fast, dass man auf "Kung Fu Fighting", dem Album direkt davor, zum tollen "Cardiff" gepfiffen hat. "Krokus" war seltsam und zuvorderst wegen seiner Unverständlichkeit vom Feuilleton geliebt, aber schlechter als "Au Pair Girl" und alles andere auf dem souveränen und spielfreudigen "Für Die Nicht Wissen Wie". Für "Mit Dem Falschen Schatz Nach Venedig" hätte Sven Regener getötet.

Nun beglückt uns das erratische Quartett, das auf Pressefotos zunehmend wie Devo aussieht, mit "Guten Morgen, Ragazzi". Sympathiepunkte gleich mal eingeheimst, neben dem Titel für das Cover, das angenehm an Built To Spill erinnert. Schon bei den Singles schwant einem aber Böses: "Supermond" gehört zu den schlechtesten Songs der Bandgeschichte, der Autotune macht ebenso aggressiv wie das schlicht senil wirkende Video. Ab 02:30 wird dieses Monstrum von einem hingewichsten, lieb- und seelenlosen Schlagersong durch eine völlige Loslösung von jeglicher Struktur fast schon wieder Kunst, aber solche fürs Archiv. Der "Bernoulli-Effekt" ist nicht ganz so schlimm, aber wie auf "Supermond" finden die vier Musiker zu keinem Zeitpunkt zusammen. Der Erdmöbel-typisch rollende Bass von Ekki Maas, der im Wesentlichen für die Musik verantwortlich zeichnet, hängt in der Luft ohne Bezug zum Rest der Band. Dem Sound fehlt Schmiss für Schlager, Energie für Rock und Dynamik für Pop.

Sänger und Texter Markus Berges fällt auf diesen beiden Songs wie der Rest der Kölner komplett durch. Seine offensichtliche Intelligenz gerät zur Pfauenschau, wenn sie nur Fremdwörter und Unverständlichkeiten aneinanderreiht und seine eigenen, schon vielfach nachgewiesenen Storytellingfähigkeiten negiert. Der Opener "Guten Morgen" macht es viel besser. Der Sound ist dank wohlplatzierter Bläser reich, der dominante Bass reiht hier den Rest der Bagage hinter sich ein, und Berges macht das, was Zeitungen ohne Musiksachverstand "Alltagslyrik" nennen, soll heißen: Er erzählt halt sprachlich gekonnt von was, hier von einem gemeinsamen Aufwachen.

"Felicità" kombiniert ungelenke Brocken wie "Wir fahren mit dem Restaurant zum Restaurant / als es donnert" mit Sätzen, die Bosse zu besten Zeiten nicht hinbekommen hätte, wie "Vom Regen, vom Regen / siehst du aus wie geweint". Der gitarrenlastige Song zieht kantenlos vorüber. "Das Vakuum" ist eine persönliche und ergreifende Erzählung von Berges Mutter, die musikalisch aber wie ein zu weites Kleid wirkt, als hätten die Instrumente Angst vor zu viel Nähe zu Berges Bekenntnissen. Wenig machen und Platz lassen ist eine Kunst, die Erdmöbel auf "Guten Morgen, Ragazzi" meist nicht beherrschen.

Besser läuft es hier mit einer gewissen Verve, und "Palindrom" ist sogar klasse. Weird und eingängig, Berges läuft zur Hochform auf. In einer besseren Welt würden die Schulkinder den Refrain auf dem Schulhof singen. "Wir Sind Nicht Das Volk (Lass Sie Rein)" hört sich genauso pflichtschuldig an wie sein Titel. Die Handclaps erinnern wie die lahmarschige Vortragsdogmatik an eine anstrengende Schülerband und Maas dreht samt Bass wieder irgendwo anders.

Es folgt, man ahnt es, ein gutes Lied, "Das Mädchen Auf Den Stufen". Hier sorgt ein Piano für tiefen Sound, Berges lässt seinen Gehirnwindungen freien Raum und sprechsingt über CERN. Bei "Beherbergungsverbot" ist dem Hörer schon schwindlig vom hin und her, das Albumhighlight hält das Niveau allerdings spielend. Bläser evozieren eine angenehme Spannung, und Drummer Wübben darf endlich mal zeigen, was er so könnte, wenn man ihn nur ließe. Dermaßen aus dem Handgelenk geschüttelt und locker muss sich deutscher Pop erstmal anhören. Keine einzige Sekunde zu lang und mit gefühlt 30 Themen vollgestopft, bis hin zur "Big Band des Bundesamts für Unsterblichkeit bei Sonnenaufgang". "Rosa Plastiktüte" entlässt einen dann zwar ordentlich, aber auch egal. Man hat den Eindruck, Berges hatte "irgendwas mit rosa Plastiktüte" im Kopf und Maas eine Bassfigur, die er auch noch unterbringen wollte. Erdmöbel machen einen wirklich fertig.

Trackliste

  1. 1. Guten Morgen
  2. 2. Bernoulli-Effekt
  3. 3. Felicità
  4. 4. Das Vakuum
  5. 5. Palindrom
  6. 6. Supermond
  7. 7. Wir Sind Nicht Das Volk (Lass Sie Rein)
  8. 8. Das Mädchen Auf Den Stufen
  9. 9. Beherbergungsverbot
  10. 10. Rosa Plastiktüte

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