laut.de-Kritik

Wenn Flavio aus Torino mit dem Fiat Cinquecento anreist.

Review von

"Fuse" ist eigentlich ein Album des Nichtanwesenden. Das erste Album von Everything But The Girl nach 24 Jahren Stille handelt ganz nach der Tocotronic-Maxime: "Im Blick nach vorn entstehen die Dinge / im Blick zurück entsteht das Glück". Denn Tracey Thorn und Ben Watt möchten nicht Neues erschaffen, sondern geben sich voll Nostalgie wohlig warmen Erinnerungen an weggetanzten Tagen und Nächten, an Hedonismus, an Freiheit hin.

Deshalb ist die Platte auch, entgegen ihres Titels, kein Album der Explosivität, sondern des Stillstands. Keiner der 10 Tracks scheint wirklich etwas Neues aussagen zu wollen, stattdessen hat Thorn schon im Opener "Nothing Left To Lose" ein Deja-Vú: "And I'm here at your door / And I've been here before" singt sie, während die Musik unterkühlt kontrolliert auf einen nicht mehr vorhandenen Dancefloor schielt.

Sie hätte auch sehr leicht in die Hose gehen können, die Rückkehr der 90er-Ikonen. Insbesondere Dancepop lebt ja auch von seiner Kurzlebigkeit, jede Bewegung auf dem Dancefloor existiert nur für diese eine Sekunde, weder Zukunft noch Vergangenheit sind anwesend, nur die Gegenwart. Auf "Fuse" gelingt es Everything But The Girl aber irgendwie, diese Momente der Zeitlosigkeit zu erreichen, indem sie Musik über diese Momente machen.

Am Besten funktioniert das bei der Slowtrance-Nummer "No One Knows We’re Dancing", die gleichzeitig eine Ode an die freigeistliche Clubkultur der 90er darstellt und sich dennoch nicht auf bloßer Nostalgie ausruht. Stattdessen wird der hedonistische Geist von "Flavio" aus "Torino", der extra mit dem "Fiat Cinquecento" angereist ist, plötzlich wieder greifbar und lebendig. Mit deutlichen Ambient-Einflüssen feiern Watt und Thorn diese Protagonisten noch einmal und setzen ihnen und sich selbst ein kleines Denkmal.

Aber die 90er sind eben vorbei, das Ehepaar Watt und Thorn ist dieser Sache auf der menschlichen Ebene wahrscheinlich auch entwachsen. Davon handelt zumindest "When You Mess Up", das man nur als gegenseitige Liebeserklärung verstehen kann. Voller Sanftheit singt Thorn "Don't be so hard on yourself / Don't think you're inappropriate / And don't just discard your old self / You're never inappropriate", sowie voller Altersmilde: "When you mess up / and Baby you’ll mess up". Während dieser Anatomie einer langjährigen Beziehung klingt "Fuse" so sanft wie an keiner anderen Stelle, mit einem leichtfüßigen Klavier klingen gar Stimmmodulationsexperimente wie ein Gute-Nacht-Lied für ein "anxious" Kleinkind.

Leider hält "Fuse" dieses hohe Niveau nicht durchgängig. So verharrt die Vorabsingle "Caution To The Wind" dauerhaft auf der Stelle. Statt das technoide Intro weiterzuentwickeln, die Härte der Musikrichtung, wenn auch nur kurzfristig, zu übernehmen, scheint sich der Song zu sehr in der eigenen Wohligkeit zu gefallen.

Auch "Time And Time Again" fügt sich lieber in das sanfte Soundbild ein, als wirklich seinen Neigungen nachzugehen. Es scheint so viel angelegt: eine außerirdisch zirpende Synthline, ein verschleppter Beat, Gedanken, ob man denn "born in the wrong time" sei. Aber es bewegt sich zu wenig, die 2:51 Minuten fühlen sich unendlich lange an.

So bleibt "Fuse" am Ende ein frustrierendes Comeback, zumindest für Musikkritiker*innen. Denn Everything But The Girl sind weiterhin eine ziemlich gute Band. Aber es ist eben auch kein wirklich gutes Album. Vielleicht und hoffentlich ist es eine Art zweites Debütalbum für Thorn und Watt, die hier immer wieder beinahe grenzenloses Potential für die nächste Phase ihrer Karriere andeuten, aber ebenso viel auch wieder verschenken. So wie man das bei einem Debütalbum eben macht.

Trackliste

  1. 1. Nothing Left To Lose
  2. 2. Run A Red Light
  3. 3. Caution To The Wind
  4. 4. When You Mess Up
  5. 5. Time And Time Again
  6. 6. No One Knows We're Dancing
  7. 7. Lost
  8. 8. Forever
  9. 9. Interior Space
  10. 10. Karaoke

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4 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 11 Monaten

    Zwei verschiedene Schreibweisen des Nachnamens der Sängerin im Text und beide falsch - muss man auch erst einmal hinbekommen. Die Stelle des Lektorats ist offensichtlich gerade vakant.

    Zur Musik: schade, dass sich ihre Stimme im Laufe der Jahre signifikant verändert hat. Gerade ihre Stimme war für mich immer ein Alleinstellungsmerkmal. Die Vorabsingle hätte ich ihr kaum zuordnen können, wenn nicht der Bandname darüber stünde.

    • Vor 11 Monaten

      "Die Stelle des Lektorats ist offensichtlich gerade vakant."

      du solltest mal lesen, was wir hier manchmal lesen, zwischen crackpfeifen-montag und lass-chatgpt-ne-review-schreiben-freitag, bevor ihr lest, was ihr dann lest!

  • Vor 11 Monaten

    Endlich! Die Rezension von Everything... oh...

  • Vor 11 Monaten

    Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.

  • Vor 11 Monaten

    Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters - oder in diesm Falle im Ohr des Hörers ... Schade, dass Hannes bei seiner Rezension leider die Schönheit dieses Albums keine Sekunde wahrgenommen hat !

    Aber er ist da nicht alleine - wenn man sich auf Wikipedia die Kommentare der wichtigsten Musikmagazine durchliest, wird da nicht besserer Schmonzus geschrieben - nur das die anderen Rezensenten wenigstens die Klasse des Albums erkannt haben !
    Metacritics Score 82/100...

    Wie kann man einen Song mit den Worten er "scheint sich zu sehr in der eigenen Wohligkeit zu gefallen." schlechtreden? Also mir gefällt es sehr, wenn ein Song "eigene Wohligkeit besitzt und diese auslebt".

    Wer Lust auf ein melodisches elektronisches Album hat sollte sich von dieser Rezension nicht abschrecken lassen und einfach mal reinhören ! Eigentlich sollte der erste Song euch bereits packen...

    Dann bleibt "Fuse" am Ende nur für (manche) Musikkritiker ein frustrierendes Comeback und alle Anderen können Gefallen am gelungenen Comeback finden !