laut.de-Kritik

Mit irrelevanter Sing-Rap-Mischung auf Zeitgeistfang.

Review von

Seit 2011 ist einiges passiert. In besagtem Jahr bringt nicht nur F.R. sein letztes Album "Ganz Normaler Wahnsinn" raus, sondern erobert auch ein gewisser Benjamin Griffey mit seinem monumentalen "XOXO" die Charts und schubst ganz nebenbei die Rapszene in eine neue Richtung. Auf Dammbrecher Casper folgt eine Flut von Nachahmern, die alle auf der Deutschrap-Welle reiten wollen.

"Erst kam die Kopie, dann die Kopie der Kopie, Indie-basierte Beats, gespielte Melancholie, Tagebuchpoesie, billig klingende Melodien, alle wollen sein wie mein Team, aber wissen leider nicht wie" – Casper höchst selbst fasst auf "Jambalaya" ganz gut zusammen, was das Problem an den Olsons dieser Welt ist. Die Eigenständigkeit bleibt meist auf der Strecke. Das wird auch "Kalenderblätter" zum Verhängnis.

Ein Blick aufs Cover weckt schon erste Befürchtungen, wohin Fabian Römer mit seiner neuen Platte will. Statt den Initialen "F.R." prangt da nämlich der volle Name des Braunschweiger MCs. Der Gedanke dahinter: Der Künstler will ernst genommen werden. Schluss mit Kindergarten-Rap, Fabian ist jetzt erwachsen. Das kann natürlich gut funktionieren. Auch King Kendrick schrieb für mehr Seriosität seinen Namen aus: Aus K-Dot wurde Kendrick Lamar. Das Ergebnis: Der Durchbruch und ein moderner Klassiker.

Fabian Römer ist aber die thematische Neuausrichtung nicht genug: Auch der Sound und die musikalische Herangehensweise klingen neu. Die Beatgees haben zwar auch schon seine letzten drei Alben produziert, scheinbar hat Fabian den Berlinern dieses Mal aber auferlegt, einen Soundteppich zu weben, der seinen neuen Singer-Songwriter-Ambitionen gerecht wird.

Wie Pop geht, weiß das Produzenten-Trio. Neben Beatmeisterwerken wie "Das SuperBob Album" vom einzig wahren Boss aus Bikini Bottom, kleiden sie auch Lena für "Crystal Sky" in ein eingängiges Pop-Gewand. An der Produktion von "Kalenderblätter" ist deshalb nicht viel auszusetzen. Die Pathos-Schelle schwingen die Berliner hier und da vielleicht ein bisschen zu oft, insgesamt macht der eingängige Mix aber Sinn.

Das Problem an der neuen Platte ist viel eher Fabians Wandlung. Aus dem sarkastischen, hemmungslos großkotzigen F.R. wird auf "Kalenderblätter" der phrasendreschende Fabian Römer. Statt technisch ausgefeiltem Flow geht Fabian mit einer unguten Sing-Rap-Mischung auf Zeitgeistfang. "Wohin führt dieses Dominoleben?" Die viel beschriene Generation Y muss sich keine Sorgen machen: "Dreh den Nebel um, dann steht da das Leben, rückwärts gelesen". Ah ja.

Ein erneuter Gastauftritt von Mitbewohner Tim Bendzko bleibt uns erspart. Der Einfluss des Zusammenlebens wird aber schon im Opener "Nachtluft" deutlich. Mit Pianosample und pompöser Hook hört man aus jedem Takt den Wunsch einer guten Chartplatzierung raus. Thematisch bewegt sich die Platte zwischen ollen First-World-Problemen. Wenn Sex mit der Ex ("Nach Dir (Anna)") und schwierige Freundschaften ("Nur Für Uns") die Laune vermiesen, ist Fabian mit aufmunternden Alles-Wird-Gut-Hymnen sofort zur Stelle.

Natürlich nicht ohne mit lauen Phrasen nur so um sich zu werfen. "Jeder Tag wird besonders, ohne Kompass und Plan" heißt es etwa in "Übersommern". "Alles rauscht vorbei, wie ein Hauch von Unendlichkeit" in "Stille". "Das Beste Kommt Noch" trägt das Klischee nicht nur im Titel, sondern bietet eine ganze Sammlung an Kalendersprüchen: "Mach deine Träume wahr", "Zweifel wie vom Winde verweht", "Die grüne Welle hört nicht mehr auf". Textlich ist man von F.R. eigentlich Geistreicheres gewohnt. Die Anbiederung an den Mainstream funktioniert aber nun mal nicht, wenn sie nicht gleich beim ersten Hören verstanden wird.

Sobald das einstige Rap-Wunderkind in seine gewohnten Gefilde abtaucht, scheint wieder sein lyrisches Talent durch. In "Zimmer Ohne Zeit" erzählt er auf minimalistischem Beat von der Abnabelung des Elternhauses. Aus seinem Kinderzimmer geht's ins große Berlin. Eben diese ehrliche Offenheit bewahrte F.R. in der Vergangenheit vor Selbstmitleid und weinerlichem Gejammer. Im Titeltrack sammelt Fabian mit Bon Iver-Summen im Hintergrund kleine Erinnerungsfetzen, die er wie ein Mosaik zusammensetzt. Lyrisch und reimtechnisch der Lichtblick der Platte. Motrip reiht sich als einziger Featuregast nahtlos ein und liefert einen soliden Part, der gut ins Gesamtkonzept des Tracks passt.

Songschreibertum à la Bosse, Maxim und Bendzko gepaart mit den Rap-Überbleibseln aus F.R.-Zeiten funktioniert nicht. Bei der musikalischen Neuausrichtung geht Fabian das Wichtigste verloren: ein eigenständiger Sound. Von F.R. mag man halten was man will, das zehnjährige Bühnenjubiläum hat sich der Braunschweiger mit seiner Mischung aus rotzigen Punchlines und gelungenen Metaphern erarbeitet. Davon bleibt auf "Kalenderblätter" nur noch wenig übrig. Der 25-Jährige liefert stattdessen glattgebügelten, austauschbaren Sound mit geringer Halbwertszeit. "Kalenderblätter fühlt sich wie ein Debütalbum an" zitiert der Promotext Fabian Römer. Der Durchbruch bleibt ihm mit dieser irrelevanten Platte wohl verwehrt.

Trackliste

  1. 1. Nachtluft
  2. 2. Blauwalherz
  3. 3. Zimmer Ohne Zeit
  4. 4. Dreh Den Nebel Um
  5. 5. Nur Für Uns
  6. 6. Übersommern
  7. 7. Kalenderblätter (feat. Motrip)
  8. 8. Kein Mensch Mehr
  9. 9. Dominoleben
  10. 10. Stille
  11. 11. Nach Dir (Anna)
  12. 12. Das Beste Kommt Noch

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