laut.de-Kritik
Ausgeflippter Funky Trance-Ride durch die Sklaverei-Geschichte.
Review von Philipp KauseWild, drastisch, ausgeflippt, spooky, animalisch, grell: So muss es wohl aussehen, wenn sich jemand des unglaublichen Verbrechens der Sklaverei annimmt. So krass abgefahren wie Fantastic Negrito hab aber noch niemand die history lesson geschrieben. Auf "White Jesus Black Problems" gelingt das vorzüglich. Schauplatz: Der US-Staat Virginia im Süden Washingtons.
Der psychedelische Gospel-Country-Soulpop "Virginia Soil" thematisiert die Landwirtschaft dort und sprüht vor Mitteilungsdrang und Überschwang. Es ist dieses Unbedingte, den Hörer erreichen und kitzeln wollen, das die CD so stark und wertvoll macht.
Dass der schrill-bunt gekleidete Schreihals stark extrovertierte Charakterzüge hat, war schon auf dem exaltierten Vorgänger-Album erkennbar. Dass man etwas bewegen kann und sich dafür Freiräume in starren Verhältnissen aus dem Nichts heraus schälen muss, selbst wenn man eine Strafe riskiert, das vermittelt der Fantastische mit seiner Zeitreise.
Dazu erzählt er uns am Telefon: "Im Jahr 1750 waren die USA noch kein Land. Im Süden, auf Plantagen, hatte man versklavte Leute. Die waren 'schwarz'. Die waren lebenslang versklavt. Und dann hatte man irische und schottische Bevölkerung. 'Weiße', die als Frondienst leistende Mägde und Knechte arbeiteten. Heißt: Wenn die aus Europa nach Amerika kamen und Schulden abzutragen hatten, um ihre Auswanderung zu finanzieren, dann standen sie sieben Jahre lang im Schuldverhältnis. So lange hatten sie zu arbeiten, im Auftrag ihres 'Finanziers'. In diesem Falle ging es um Tabak- und Baumwoll-Plantagen in Virginia. Ich hatte aber nicht alle Informationen und füllte manches in die Lücken ein."
Dass Fantastic Negrito beim Hören etwas einfordert und im Gegenzug den Spaß bietet, dass man über jede Art von Formstarre, Angepasstheit, spießige Verklemmtheit lauthals lacht, sobald man diese Platte auflegt - das ist der Alltagsnutzen von "White Jesus Black Problems". Böser könnte man ein Funk-Album kaum betiteln. Aber in vier Wörtern, sechs Silben verdichtet sich hier die ganze Problematik, die - bis zur rassistischen Polizeigewalt unserer Zeit - vielen Gesellschaftsstrukturen zugrunde liegt. "Ich hab nicht über den Titel nachgedacht, die Idee dazu kam einfach zu mir", sagt der 'Negrito': "Es war sehr einfach, weil das eine Liebesgeschichte der Vorfahren meiner Großeltern vor sieben Generationen ist. Ich wurde wirklich davon inspiriert, wie eine schottische 'weiße' Dienstmagd und ein 'schwarzer' versklavter Mann einen Bund eingingen. Durch die Macht der Liebe!"
Es sind Vorstellungen wie die vom unaufgeklärten, zu missionierenden 'Untermenschen', gar Leibeigenen, die der 'Negrito' attackiert. Und nun wird ein Plan, eine Strategie ersichtlich, weshalb der Sänger mit der gewöhnungsbedürftigen Stimmlage und seine Band so heißen. Das Schicksal der 'negroes' im 18. Jahrhundert - das kleidet diese LP in eine interessante und sogar irgendwie romantische Geschichte, aus dem 'normalen' Leben gegriffen. Ziemlich frei von teachendem Zeigefinger unterhält Xavier a.k.a. Fantastic Negrito. Dabei jubelt er aber seinen Plot und seine Message unter. Delectare et prodesse, erfreuen und nutzen, nannte das der Dichter Horaz im antiken Rom. Der Fantastische bleibt nicht einfach bei einer Art Polit-Kravitz stehen. Brüche innerhalb der Songs und die aufwühlend lebhafte Form der Anordnung in der Tracklist: Alles schreit nach Aufmerksamkeit, aber alles groovt auch extrem sensuell, fleischlich, 'echt'.
"Dieses Liebespaar, um das es in den Songs geht, hat gegen rassistische, segregierende Gesetze um 1750 verstoßen. Und die beiden haben sich durchgesetzt. Und ich dachte darüber nach, wie ironisch es ist, dass eine 'weiße' Frau und ein 'schwarzer' Mann in solch einer schwierigen Zeit diese Fassade der weißen Vorherrschaft herausfordern, die ja ein verlogenes Konstrukt war", urteilt der Funk-Musiker in unserem Telefonat. "Meine Annahme ist, dass die beiden in der Nachbarschaft zueinander arbeiteten und sich sahen, wobei ihnen der Kontakt verboten war. Aber: Hier bin ich jetzt! Mit sieben Generationen dazwischen. Denn sie hatten illegale Kinder, und ich habe deren DNA. Diese Story ist bombastisch, fett und mutig."
Das Stimmungsbild "Register Of Free Negroes" sagt mit seinem Afro-Trance und ein paar Gesangsfetzen mehr als tausend Worte: Es bleibt einfach skandalös, wie es überhaupt zur Sklavenverschleppung aus Afrika kam; und noch einen Step zurück: Brutal und arrogant, wie die kulturell eben andersartige Zivilisation in Westafrika mit Voodoo, Naturreligion und durchaus komplexen Gesellschaftssystemen als minderwertig und unterlegen betrachtet wurde, während sie auf jenen Plantagen Fuß fasste.
Die dem Album unterliegende Message ist wichtig. Und es fasziniert, wie gut und klar man sie ohne Ethno-Kitsch, konsequent ohne Moral und Mühsal heraushört. Die Interludes sind mit das stärkste am Album, obwohl Skizzen. Sie sind aber am meisten auf Augenhöhe mit den Hörer*innen, weil sie einen nicht mit Input überschütten, während das bei den 'richtigen', kompletten Tracks mitunter passiert.
"You Don't Belong Here" hat als kleines Song- und Klangkunst-Fragment ästhetischen Überraschungswert. Stimmen in reverb und gegeneinander gescratcht, ein witziges Mini-Hörspiel. Teils geht's hier wohl einfach um den Spaß an fancy Ausreizungen dessen, was man im Audio-Format tun kann - um aufzufallen. Es gibt aber einen Film zur CD, die Story ist auf Multimedia angelegt. Visuell massiv quirlig, vielseitig und den Kopf kitzelnd, in einer feinfühligen Clip-Technik mit der Bandbreite der Sounds verknüpft.
Derweil sorgt die Musik alleine schon für ordentlich fett Input und das Gefühl, an einer Achterbahnfahrt teilzunehmen. "Nibbadip" wandelt mit keuchend-gequetschter Intonation und etlicher Portion 70er-Funk-Fusion auf den Spuren zweier Doktoren: Dr. Johns Louisiana-Psychedelic und Dr. Hook & The Medicine Shows funkifiziertem Swamp-Rock ("Cover Of The Rolling Stone", "You Make My Pants Want To Get Up And Dance").
Richtig stark bauen sich die sinnlichen Momente auf, wenn's ein bisschen schief oder falsch klingt, dafür direkt und emotional, wenn die Orgel wiehert und auf Doors-Verwaschenheit umschwenkt. Wenn der Gesang mit sich selbst wetteifert und Xavier seine Zeilen ergriffen hechelnd hintereinander stapelt, wie in "Oh Betty".
In den sprödesten Momenten, und dazu zählt "Venomous Dogma", wähnt man sich in einem Querschnitt durch die Art Pop-Geschichte. Gleichmäßiger und eingängiger zeigt sich "They Go Low" mit einem klaren Strophe-Hook-Bridge-Ablauf, wo die Strophe dem Sprechgesangs-artigen Spannungsaufbau, die Hook der geschmeidigen Falsett-Darbietung und die Bridge der Verarbeitung von Wut und innerer Zerrissenheit dient. Da geht es drum, wie die selbst ernannten Sklavenhalter und Hüter über das Gesetz die Unterlegenen "low" halten. Ihren Willen brechen. Sie gefügig machen.
Auch das geordnete Americana-Stück "You Better Have A Gun" als Abrechnung mit dem Land der Freiheit, das auch das Land des privaten Waffenbesitzes ist, kann man zu den geradlinigen, eingängigen Tracks rechnen. "Highest Bidder" und "Man With No Name" werden zumindest Prince-Fans schnell eingehen.
Das meiste jedoch, wie die verträumte Impro-Collage "In My Head", ist einerseits künstlerisch toll, fordert beim Hören schon aufgrund der zerrissenen Textur und der schwer herausfilterbaren Melodie heraus. "Trudoo" provoziert mit witzigen Scratch-Effekten, Wahwah-Guitar, polyrhythmisch wirkender Perkussion und Zerlegung der Sprache in hektische, verrückte Atemübungen. Schwer durchzusteigen. Aber es ist definitiv mal was ganz anderes als man sonst so zu hören bekommt.
Der Künstler arbeitete um die 50 Tracks heraus und entschied sich für 13: "Jeder wurde ein Kapitel der zu erzählenden Geschichte", so Fantastic Negrito in unserem Gespräch. "Die Auswahl war sehr einfach zu treffen: Was dazu beitrug, die Story rüber zu bringen, kam mit rein. Alles andere nicht. Etwa 80 Prozent sind im Live-Set auf Tour mit dabei." Fiktion und Realität mischen sich in der Story, da nicht alles recherchierbar war, wobei gerade dieses Halb-Wahre auch zum Ungefähren der leicht psychedelisch verschwurbelten Musik passt: Sie besitzt zwar scharfe Kanten und glasklare Strukturen, gönnt sich zugleich aber auch viel Raum für Vagheit und drogenschwanger klingende Schwingungen. "Die Fakten", so Xavier am Telefon, "stammen hauptsächlich aus dem Dokument eines Gerichts, über eine Anklage wegen illegalen Geschlechtsverkehrs."
Die LP ist so anspruchsvoll und verdichtet so immens viele Ideen, die nur kurz mal aufblitzen und in Summe einen Riesen-Pomp auftürmen, dass mir die Meinung des Artists selbst zum fertigen Produkt sehr wichtig war. Doch ein Gespräch zu arrangieren, scheiterte erst mehrmals an wechselnden Zeitzonen. "Jetzt sitze ich hier in Spanien vor einem Soundcheck, um mit einem deutschen Reporter zu sprechen", lacht Xavier. Ein kurzweiliger Typ mit einem mehr als kuriosen Lebenslauf. Als ich am Ende frage, was er gern fragen würde, erkundigt er sich nachdenklich: "Hm, ich bin ja in so vielen Ländern gebucht. Aber warum nicht in Deutschland?" Ja, das ist eine saugute Frage, wenn man sich diese extrem elektrisierende Scheibe rein zieht.
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