laut.de-Kritik

60ies-Sweetness mit Psychedelia, Woodstock-Blues, Soul-Pop.

Review von

So bonbonbunt wie das Artwork ausschaut, hat "Otherness" von Ferris & Sylvester einiges aus dem Referenzkasten der 1960er zu bieten. Wenn man den öffnet, findet sich beispielsweise eine alte analoge Bandmaschine von damals, mit der die Aufnahmen entstanden. Das Spulen-Gerät steht in den Real World-Studios von Peter Gabriel. Ferris & Sylvester sind das englische Ehepaar Issy Ferris, sie singt und spielt manchmal Bass, und Archie Sylvester, Ko-Gesang, Klavier und Gitarre(n).

Einige der Strömungen auf der bunten Platte charakterisieren sich durch psychedelische Riffs, Gitarren-Serpentinen und Anspielungen auf Garage-Rock. "Muzzle" lärmt entsprechend. Im Song "Imposter" hört man richtig viel Leidenschaft heraus, wie sich die Sängerin im Klangdickicht verliert und fallen lässt. In "Out Of It" nutzt das Duo geschickt die Kontraste aus Garage-Surf-Vibe samt grummelndem Verstärker und Issys weicher Dreampop-Stimme. Die Zutaten ergänzen einander gut und komplementär. Der stompende Powerpop "Dark Side" fügt sich in diese Schiene ein.

"The Performer" ist ein fetziger Gitarrero-Tune mit jazziger Piano-Linie und Impro-Strecke über enttäuschte Gefühle und darüber, dass einem die kalte Schulter gezeigt wird: "You haven't called for a week!" - Minimalistische Akkordarbeit mit viel Rhythmus-Betriebsamkeit überzeugt und lässt hinhören.

Einen interessant fluffigen Backbeat führt auch "What's It Gonna Take" in die Liederkollektion des Pärchens ein. Die gegen den Strich gebürsteten Harmonien des Stückes erzeugen eine Film Noir-Score-Aura. Easy-Listening trifft auf Surrealismus, verwaschene Unterwasser-Traumlandschaften im Stile der Raveonettes, und einen Schuss Bowie. Ein Highlight der Platte und des noch jungen Musikjahres 2024!

Was die Saiten-Arbeit angeht, zeigt sich Archie Sylvester gern von vielen Seiten, so auch an der Slide Guitar oder der Dobro, also einer Gitarre mit eingebautem Verstärker.

Bei einzelnen Tunes kommen Geigen zum Einsatz, wenn das Duo einen kammermusikalischen Ansatz verfolgt und eine zweite Lieder-Fraktion und Sorte eröffnet: Im farbenfrohen Soundg-Geflecht streicheln Streicher Issy Ferris' Stimme auf "End Of The World". Vom fulminant endenden Sugarpop über den Weltuntergang ist es nicht mehr weit zur Familiengeschichte "Mother", einem weiteren Höhepunkt mit einer unwiderstehlichen Melodie. "Es ist ein Song über den Traum von einem besseren Leben", kommentiert Archie, geschrieben durch die Brille eines Kindes, das vom Wohlstand träumt. Wer mal ins Real World-Studio schauen will, bekommt noch eine andere Clip-Fassung des Liedes als die offizielle, die im Springen auf einem Trampolin gefilmt wurde. Das Real World-Video ist hingegen die andächtige Visualisierung der wunderschönen Ballade.

Neutral zwischen Dröhnen und Dreampop verhält sich ein Ausflug in den guten alten Blues im fragmentarischen "Rain (Intro)". Das Semi-Unplugged mündet in eine Rückwärtsaufnahme der Lead-Guitar nach Art der Beatles und deren "A Day In The Life". Zur Akustik-Fraktion gehört der leichtfüßige Earcatcher "Paper Plane", philosophischer Hippie-Folkpop über Politik, Religion, Freundschaft, Einsamkeit und Alltag und eben Papierflieger, mit einer leicht bluesigen Grundierung und dem markanten Statement "We prayed to a God we don't believe in."

Ein gehöriges Maß an Wärme fügen ein Session-Organist an Hammond und Wurlitzer-E-Piano, Edu Bisogno, und Cellistin Maya McCourt den geschmackvollen Arrangements hinzu. In dieser wirklich super gute Platte hört man viel Talent, in der saubere Arbeit Liebe zum Detail, und es steckt ordentlich musikalische Open-Mindedness in "Otherness".

Trackliste

  1. 1. Dark Side
  2. 2. Imposter
  3. 3. Don't Fall In Love With Me
  4. 4. Mother
  5. 5. End Of The World
  6. 6. Out Of It
  7. 7. Rain (Intro)
  8. 8. Rain
  9. 9. Paper Plane
  10. 10. What's It Gonna Take
  11. 11. Muzzle
  12. 12. Headache
  13. 13. The Performer
  14. 14. Love Is Real

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