laut.de-Kritik

Melange in Sepia zwischen Alp und Traum.

Review von

"In seinem Haus in R'lyeh wartet träumend der tote Cthulhu." Dieser Satz aus "Der Ruf Des Cthulhu" von 1928 ist nicht nur Dreh- und Angelpunkt im Schaffen H.P. Lovecrafts. Der Cthulhu-Mythos zieht sich als roter Faden ebenfalls durch das Werk der Fields Of the Nephilim. Ihr künstlerischer Höhepunkt "Elizium" nutzt genau diese Zeile im Intro "(Dead But Dreaming)" als Pforte. Heraus kommt eine der intensivsten und mitreißendsten Rockplatten aller Zeiten.

Gleichzeitig verkörpert dieses dritte Studioalbum FOTNs zusammen mit dem zeitgleich erscheinenden "Vision Thing" der Sisters Of Mercy den letzten echten Giganten des Gothic Rock. Weder die Helden der Mark I-Generation noch ihre Abkömmlinge schufen seither einen in Note und Wort ähnlich starken Monolithen.

Es lohnt sich, das Meisterwerk chronologisch zu entdecken. Zwar besitzt jeder Track allemal genug Strahlkraft aus sich selbst heraus. In der vorgegebenen Reihenfolge jedoch schrauben die Briten ihre hypnotische Energie auf maximales Level. Übergänge und Strukturen greifen ineinander wie Zahnräder und gebären einen Flow, der seinesgleichen vergeblich sucht.

So ergibt sich eine Melange in Sepia aus fettem Rock, psychedelischen Gimmicks und angedeutet ätherischen Sequenzen zwischen Alp und Traum. Wrights verwaschene Geistergitarre mäandert zwischen den Polen "griffige Schroffheit" und "umhüllender Kokon". Yates Bass fügt rhythmische Eleganz voller virtuoser Präsenz hinzu. In "Sumerland" zelebriert er ein viersaitiges Schaulaufen.

Über all dem thront die unverwechselbare Stimme ihres Vordenkers Carl McCoy. Von suggestivem Schamanengesang bis zum Knurren eines Raubtiers prägt sein höchst individueller Gesang diese knappe Stunde. Ich kenne keinen in seiner Art ebenbürtigen Sänger dieser Musikrichtung, dessen Phrasierung und Koloratur gar während eines einzelnen Satzes derart makellos zwischen Schönheit und Untier oszilliert.

Auch die Absinth-trunkenen Lyrics sind eine Zierde und gehören zum Besten, das das Genre je hervorbrachte. Thelema-Kenner McCoy mischt schwarztraubige Romantik mit Eros, lakonischem Sarkasmus sowie allerlei mythologischen oder literarischen Anspielungen. In dieser Tafelrunde sitzen neben Lovecraft dunkle Poeten wie Poe, Milton oder Byron. Aleister Crowley schaut sogar höchstpersönlich vorbei. Geschickt weben die Fields zwischendurch eine Tonbandaufzeichnung seiner Stimme ein, in der das "Great Beast" sein sinistres "At Sea" vorträgt.

Als ultimativen Anspieltipp empfehle ich das in Szenekreisen kultisch verehrte Trio "For Her Light"/"At The Gates Of Silent Memory"/"Paradise Regained". Alle drei hängen thematisch wie musikalisch zusammen. "For Her Light" glänzt mit herausragender Melodie. Der gedimmte Mittelpart fungiert als Lehrstück wolkenverhangener Psychedelik. McCoys Zeilen korrespondieren dort im Dialog mit Crowleys Stimme. Als letzter und schnellerer Part dann das wieder errungene Paradies. Dieser dritte Teil setzt das Grundthema in einen zerklüfteten, wilderen Rahmen. Allein dieser atmosphärische Drilling wäre bereits einen Meilenstein wert.

Das Finale "And There Will Your Heart Be Also" erweist sich als würdiger Schlusspunkt. Ein wie unheilvoller Nebel wabernder Song. Verdammnis oder Erlösung? Unterwelt oder Paradies? Befreiung von Leben oder Tod? McCoy deutet bittersüß beides an, während Wright eine ebenso wuchtige wie schattenhafte Hook beisteuert, die das gesamte Lied verankert. Mit dem letzten Satz entlassen sie den Hörer auch symbolisch aus ihrer Klaue. "From this maelstrom free are you."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. (Dead But Dreaming)
  2. 2. For Her Light
  3. 3. At The Gates Of Silent Memory
  4. 4. (Paradise Regained)
  5. 5. Submission
  6. 6. Sumerland (What Dreams May Come)
  7. 7. Wail Of Sumer
  8. 8. And There Will Your Heart Be Also

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13 Kommentare mit 11 Antworten

  • Vor 8 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 8 Jahren

    Noch keine Kommentare? Bei diesem Werk für die Ewigkeit? Ein wahrer Meilenstein, sicher nicht nur in meinem Leben...

    • Vor 8 Jahren

      Meiner war früher. Ich fand den Vorgänger immer besser als "Elyzium". Kann man meinetwegen der Nostalgie zuschreiben, aber diese beiden staubige Packen "Phobia"/"Moonchild"/"Chord Of Souls" (A-Seite) mit ihrer Energie und "Love Under Will"/"Last Exit For The Lost" (B-Seite) mit ihrer Atmosphäre (und der absoluten Belanglosigkeit am Ende von "Last Exit", die man sich in ihrer Kaltschnäuzigkeit erst mal trauen muß ... demjenigen, der in dem 5-CD-Paket einen Bonustrack an dieses Stück drangeflanscht hat, gehört lebenslänglich abends vorm Schlafengehen dasselbe Kelly-Family-Album vorgespielt!) kriegt "Elyzium" einfach nicht richtig geknackt, dazu wurde ein bißchen zu sehr geschliffen und gefegt.
      Andererseits kann ich auch verstehen, wenn jemand "Elyzium" vorzieht. Beide Alben bewegen sich in der Summe ziemlich auf Augenhöhe, von daher entscheiden halt die Vorlieben für Details ...
      Gruß
      Skywise

    • Vor 8 Jahren

      bei fotn ginge natürlich jedes album unter den ersten dreien als meilenstein durch. elizium jedoch ist auch handwerklich und soundästhetisch ein höhepunkt

    • Vor 8 Jahren

      Sehe ich auch so, aber bei mir agieren die ersten drei Alben auf dem selben Level. Dawnrazor und The Nephilim leben halt größtenteils von der Energie, Elizium dagegen von der durchgehenden Atmosphäre.

  • Vor 8 Jahren

    Oha, die habe ich ganz vergessen. Ich stand damals mehr auf Love Like Blood und habe die FotN Platten immer hinten angestellt. Vielleicht sollte ich die Tage noch mal da rein hören.