laut.de-Kritik

"Haha, ich höre das ja nur ironisch"™.

Review von

Wer drei Alben lang Techno, Gabber, Happy Hardcore, Rap und Schlager zu einer essbaren Pampe matscht, der hat kein Glück, sondern ein Rezept. Finch Asozial – jetzt frisch ohne das Asozial – macht auf Platte drei weiter wie gehabt und weist keine Abnutzungserscheinungen auf. Das Tape zeigt zwar in schlechten Momenten wie es klingt, wenn man sich als Rapper mehr als Meme denn als Künstler versteht. Aber im besten Fall revitalisiert sein Ansatz die fälschlicherweise zur Jugendsünde abgestempelte deutsche Musikkultur mit einem angedeuteten Rap-Rahmen und kocht daraus ... richtig gute Songs?

Der Einstieg geht runter wie Öl. "Tindern Auf der Autobahn" und "Direkt Bock" mögen fundamental unlustigen Lol-XD-Rap darbieten, aber auf Texte muss man ja nicht hören. Worauf man hören muss, sind Songstrukturen: Wie die Produktion sich zwischen hochgepitchten Gesangsspuren von einem Drop zum nächsten schlängelt ist phänomenal. Gott sei Dank benutzt der Kerl keine 16er-Hook-16er-Hook-Songs. Er versteht im Gegenteil sehr gut, wie er sich selbst aus der Schussbahn der effektiven musikalischen Elemente nimmt. Die Sängerin, die vor dem Drop auf "Gabber Girl" "dance with me, dance with me" singt, fängt wahrlich allen Zauber von mitteleuruopäischer DIY-Tanzkultur ein. Ich würde so etwas auf einem Rave hören wollen.

Man muss also vor allem den Produzenten Respekt zollen, die hier die Dorfdisco meiner Träume schreinern. So sehr er auch für Dunkeldeutschland representen mag, ich erinnere mich bezüglich meiner Schulzeit nicht an Trance oder Hardstyle, sehr wohl aber an David Guetta und die Black Eyed Peas. Finch agiert effektiv als Kurator und Zeremonienmeister dieser grenzdebilen Sause - als "Rekommandeur" des Rummelplatzes, wie er sich auf dem Intro vorstellt. In seinen besten Momenten klingt er dabei regelrecht sympathisch. So albern das sich anhört, aber mir gefallen die Schlager-gefärbten Liebeslieder dabei tatsächlich am besten.

Nicht nur, weil er da nicht so verkrampft auf lustig tut und vor allem wenig rappt, sondern weil das die Songs sind, die nach Emma statt nach Koks klingen. "Achtung, Achtung! Hier spricht die Herzpolizei / Das Gebäude ist umstellt / Lassen Sie die schlechte Laune fallen und kommen sie mit offenen Armen auf uns zu" moderiert er das chaotisch süße Blümchen-Duett "Herzalarm" an – und irgendwie erinnert mich das an Informatik-Dudebros auf Emma-Raves, die sich nach dem Come-Up oder einfach im Suff auf einmal hochemotional in den Armen liegen und sich erzählen, wie lieb sie einander haben. Das ist objektiv der beste Zustand, in dem ich diese Leute je erlebt habe, also kann ich auch die Musik dazu nicht hassen.

Aber trotzdem gibt es einen Hänger, hm? Folgendes: Finch hat das Asozial aus seinem Namen gestrichen – und tatsächlich fehlt mir hier das Asoziale. Abgesehen von ein paar Penis-Witzen klingt das alles schockierend zahm. Aber eigentlich ist das nur die logische Entwicklung, denn (abseits seines Instas) war er ja noch nie ein richtiger Assi. Mehr als je zuvor hört man hier, dass er nicht Mukke für die echte Fliesentisch-Nation macht, sondern Musik für Abiturienten, die ironisch RTL schauen und die die Idee von Unterschicht irgendwie sexy finden, aber dann doch lieber brav BWL studieren gehen. Anders könnte man auch nicht erklären, wie Features mit SDP, Alligatoah und Esther Graf auf diesem Album gelandet sind.

Machen wir uns nichts vor: Jeder dieser Songs ist auf seine eigene Art und Weise kaum auszuhalten. Sie vermischen sein sowieso schon dünnes Image-Kostüm mit schmalzigen 2012-Trailerpark-Beats und Witz-Ideen vom lokalen Poetry Slam. Ich würde sagen, "Liebe Ist..." mit SDP muss der schlechteste Song sein, denn er klingt, als würde ein deutscher Musikparodie-YouTuber sich an den Toten Hosen versuchen. Aber eigentlich könnte nichts unter der Deutschpop-Lahmarschigkeit von "Bum Bum-Eis" mit Esther Graf kommen, das nicht nur klingt, als hätte man ein LEA-Songwriter-Team darauf angesetzt, einen Song aus Facebook-Seiten wie "Die 2000er – Wisst ihr Noch?" (Tante Renate und 8 weiteren Freunden gefällt das) zu machen. Hier zeigt sich auch, wie komplett musikalisch öde Finch ohne die Bumsbeat-Produktion ist.

Aber wisst ihr was, scheiß drauf, "Keine Bösen Wörter" mit Alligatoah ist hier der schlechteste Song. Einmal mehr stellt der eindrucksvoll unter Beweis, warum er der nutzloseste deutsche Musiker ist. Es geht darum, bei schlechten Ereignissen nicht zu Fluchen - okay? Die beiden riffen über vier Minuten wie talentlose Standups um ein Thema, das wirklich egaler nicht sein könnte. Es holt den Hörer in einen Flur-Small-Talk mit einem Kollegen, der alle dreißig Sekunden seinen eigenen Sarkasmus und seine I-ro-nie lobt und dann beteuert, ohne Kaffee nicht leben zu können. Pardon, verschont mich mit diesem Dreck. Die fundamentale Belanglosigkeit dieser Song-Idee wird auch nicht hörbar, wenn Alligatoah mit noch drei Dutzend Schichten Sing-Sang-Ornament vom völlig leeren Song-Kern ablenkt. Aber wenn wir schon dabei sind, Finch: Keine bösen Wörter? Pummelig. (Zu spät!)

Keine Frage, Finch treibt einem zwar auch allein oft genug die Fremdscham in die Schläfen, zum Beispiel wenn er auf dem Song "Erektion" das Wort "Erektion" so witzig findet, dass er es die Hook-Sängerin ein paar mal dramatisch im Loop singen lässt. "E-rek-tion / E-rek-tion", na, lacht schon jemand? "E-rek-tion". Erektion! Schlimmes Publikum heute. Aber auch musikalisch gute Nummern wie "Direkt Bock" verzichten einfach nicht lang genug auf Cringe, dass man sie irgendeinem Freund oder gar einer Freundin zeigen könnte. Leute, die Lines wie "seh' das Arschloch eines Hundes, wie es puckert und hab' direkt Bock" im Auto laufen lassen würden, will ich nämlich nicht im Auto haben.

Zusammenfassend: "Rummelbums" wird umso besser, je mehr die Beats ihr Ding machen und wird schlechter, je mehr Screentime Finch und seine Freunde bekommen. Es ist schade, dass er sich immer noch nicht von seinem selbstironischen Halb-Ernst gelöst hat. Ich glaube nämlich, dass die guten Songs gerade deswegen gut sind, weil Finch auf ihnen stellenweise sehr unironisch und ehrlich auftaucht. Ich kann mir vorstellen, dass der Typ geile Partys schmeißt und eine schöne Live-Show macht, weil er zwischendurch immer wieder durchschimmern lässt, was Kleinstadt-Rave-Kultur eigentlich geil macht. Wie cool wäre das, wenn er mal selbst aufhören würde, seine eigene Musik nur ironisch zu hören. Aber das erzwungene Meme, das großen Teilen dieser Platte anheftet, fühlt sich ja nicht mal nach Suff-Humor an. Es erinnert eher unangenehm an die Mittelstufe.

Trackliste

  1. 1. Rekommandeur
  2. 2. Gabber Girl (feat. Paul Elstak)
  3. 3. Tindern Auf der Autobahn
  4. 4. Direkt Bock
  5. 5. One Night Love
  6. 6. Erektion
  7. 7. Herzalarm (feat. Blümchen)
  8. 8. Liebe Ist... (feat. SDP)
  9. 9. Rave Witchers (feat. Scooter)
  10. 10. Keine Bösen Wörter (feat. Alligatoah)
  11. 11. Bum Bum Eis (feat. Esther Graf)
  12. 12. Welcome To Budapest (feat. le Shuuk)
  13. 13. Finch Und Marten (feat. Marteria)
  14. 14. Zukunft

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