laut.de-Kritik

Fiona Apple umzingelt den Pop.

Review von

Der Pop-Song. Er lebt von Erfahrung und zugleich lechzt er nach Erfrischung. Was wie eine Vorstellung von anno dazumal anmutet, ist mit "The Idler Wheel Is Wiser Than The Driver Of The Screw And Whipping Cords Will Serve You More Than Ropes Will Do" endlich wieder hörbar wahr geworden. Entgegen aller Retromanie und reaktionärer Autotune-Autorität ist diese Verjüngungskur ein Quell in der Wüste. Und nein, es ist keine Fata Morgana, es ist State Of The Art at its best.

Fiona Apple, eine Trulla und Unangepasste im Räderwerk der Musikindustrie, umzingelt den Pop. Weil der herausgefordert werden will, legt die Sängerin und Pianistin die Waffen an und entwickelt eine Zentripetalkraft, die auf das Gedöhns, die Binsenweisheiten und den Einheitsbrei gerichtet ist und diese überflüssigen Klumpen in die Peripherie wegschleudert. Das erinnert nicht umsonst an die Futuristen, die dem Kult der Vergangenheit den Garaus machen wollten.

Dabei kommt Apples Angriff aus dem Hinterhalt. Hinter jeder ihrer Kadenzen ist ein Schleichweg versteckt, nicht mal der Teufel kommt mehr mit in ihrem mäandernden Innenleben: "My heart's made of parts of all that surrounds me / And that's why the devil just can't get around me / Every single night's a fight with my brain / I just want to feel everything" ("Every Single Night"). Zuerst krakeelt sie im Chor, dann säuselt sie ganz bedächtig. Wohl wissend, dass sie das Ruder wieder ganz übernommen hat. Den Beelzebub im Rückspiegel kann sie nur belächeln.

In "Daredevil" ist Apple nur zu einem bruchstückhaften Äußern fähig. Ab und an knackt der Bass, die flatterigen Snareschläge bezeugen die Unsicherheit der Interpretin: "But don't let me ruin me / I may need a chaperone / Seek me out, look at me / I'm all the fishes in the sea." Jetzt hat auch sie die Verfügungsgewalt verloren.

Ihren ehemaligen Lebensgefährten, den Autor Jonathan Ames, hat sie nicht vergessen und schickt dem Namensgeber mit "Jonathan" einen Gruß mit sanftem Nachdruck. Leben sehen möchte sie ihn, reden tut nicht not. Es folgt mit "Left Alone" gespenstischer Skiffle, bei dem Apple hinter dem Piano recht arg krächzt, so dass Stimmknötchengefahr besteht. Überhaupt: Klavier, Stimme und Schlagwerk, das alles muss reichen für die Dreifaltigkeit. Und mehr steckt meistens nicht drin. Kann ja auch nicht.

Selbst der Hintergedanke an eine Single oder ein besonderes Aushängeschild dieses Albums verbietet sich. Er würde schlicht an der Bizarrheit dieser Frau scheitern, wie sie im träufelnden und tickenden "Regret" beweist: "But I can ran out of white doves' feathers to soak up the hot piss that comes from your mouth." Falls der Pop mal am Scheideweg stehen sollte, wüsste er, dass es sich lohnt, auch dieses verflixte siebte Jahr abzuwarten, wie es Fiona Apple gemacht hat.

Trackliste

  1. 1. Every Single Night
  2. 2. Daredevil
  3. 3. Valentine
  4. 4. Jonathan
  5. 5. Left Alone
  6. 6. Werewolf
  7. 7. Periphery
  8. 8. Regret
  9. 9. Anything We Want
  10. 10. Hot Knife

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21 Kommentare mit 11 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Olle Kamelle, ich weiß, aber das MUSS jetzt sein:
    Dieses Album hier schwebt in meiner Wahrnehmung gerade meilenweit über den Dingen und degradiert meine sonstigen absoluten Lieblinge von Beck über Plaschg und Takti bis Zappa (natürlich nicht wirklich vergleichbar, nur im Grad meiner Begeisterung) locker-leicht in die zweite Reihe.
    Es ist beinahe eine Erleichterung, wenn mit "Jonathan" und "Left Alone" wenigstens mal 2 Songs dabei sind, die ich ansatzweise auch anderen mir bekannten Künstlern zutrauen würde.
    10/5, das ist einfach das Beste, was ich in meinem kümmerlichen peripheralen Dasein bis jetzt hören durfte.
    Keine Ahnung ob es sich lohnt, meine Kinnlade suchen zu gehen, ich drück ja eh gleich wieder auf Replay.

  • Vor 9 Jahren

    Ok, ich raff es nicht. Diese Künstlerin wird wirklich überall gelobt aber ich finde da keinen Zugang. Mir kommt die Musik schlichtweg unmelodisch vor. Teilweise wird mehr gesprochen oder gebellt als gesungen. Vielleicht bin ich durch kommerzielle Musik zu sehr "verunreinigt", keine Ahnung. Oder muss man jeden Song erst 20x hören um ihn gut zu finden?

    Vielleicht erleuchtet mich mal jemand.

    • Vor 9 Jahren

      Sehr späte Antwort: Du hast Recht. Man muss sich dran gewöhen, keine Frage. Als ich es zum ersten MAl gehört habe, war es mir schlicht und ergreifend zu rau und zu hart. Das kommt von jemanden, der mal viel Cradle of Filth gehört hat.
      Und dann eines schönen Tages bin ich aufgewacht in einer ähnlichen Gefühlslage, wie diese vollkommen wahnsinnige Stimme, von diesem Album, dass kratzig war, wie eine Drahtbürste und an dass ich mich noch wage erinnern konnte. Dann hab ich es nochmal angespielt. Und seit diesem Tag weiß ich, dass es nie wieder eine bessere Platte mit einer ähnlichen Intensität geben wird, die mich genau so erreicht. Holy.

  • Vor 9 Jahren

    Checkt mal das neue Courtney Barnett Album.