laut.de-Kritik

It's such a waste. But it feels great.

Review von

Es gibt so bestimmte Momente, an die kann man sich ein Leben lang erinnern. Und oft sind diese Momente in unseren Gehirnen mit bestimmten äußeren Reizen wie beispielsweise einem Song gekoppelt, so dass wir, wenn wir eben diesen Song mal wieder hören, sofort das zugehörige Bild unvermittelt vor unser inneres Auge geliefert bekommen: "Weißt Du noch Schatz, bei dem Lied haben wir uns das erste Mal hinter der kleinen Strandbar auf Cosa Mui so richtig dolle geliebt!" "Hach, natürlich weiß ich das noch", sagt dann der Schatz.

Es gibt aber auch Stücke von Musik, da funktioniert dieser Mechanismus gerade andersherum: Da weiß man noch genau, was man gerade getan hat, oder auch wo man gerade war, als man zum ersten Mal dieses oder jenes Irrsinnsstück gehört hat. So weiß ich beispielsweise noch ganz genau, wann, wo und mit wem ich das erste Mal Fischerspooners "Emerge" in meine unvorbereiteten Technoöhrchen geballert bekam. Und das, obwohl ich mich ansonsten an gar nichts mehr von diesem wilden Abend in der Hi-Bar erinnere.

Tja, Emerge. Damals. Der Beginn von Fischerspooners kometenhaften Weg an die Spitze der Mainstreamhitparaden. Gerade noch strictly Gayscene experimental artsyfarsty Underground, Sekunden später bereits in Top of the Pops. Wer hätte das gedacht ? Aber eigentlich kein Wunder: Was für ein Track! Unglaublich. Monströs. Und sogar heute, knapp drei Jahre und 100.000 Hördurchgänge später, nervt es mich nicht im geringsten, wenn ich das Stück irgendwo auf einem Tanzvergnügen höre. Im Gegenteil, ich erinnere mich dann ...

Und nachdem das Experiment "Wie weit komme ich mit meiner kleinen Freakshow im stocksteifen Musikbusiness" mit dem CD-Erstling "1" und ebenjenem legendären Auftritt in Top of the Pops zu einem rundherum runden Abschluss gebracht worden war, wurde es erst mal ruhig um die beiden Herren Fischer und Spooner.

Die sich nun aber (endlich) doch dazu durchgerungen haben, die Welt mit einem weiteren Album zu beglücken. Eine Aufgabe, die vor allem Casey (Spooner) nach eigenen Angaben so manche sorgenvolle Minute bescherte. War man zu Emerge-Zeiten noch losgelöst von jeglicher interner wie auch externer Erwartung losgezogen, den Popolymp mit einer exzentrischen Electro-Performance-Video-Art-Nummer zu erobern, so machte man sich nun um so mehr Gedanken. Was sollen wir tun? Wo geht die Reise hin? Welches Raumschiff sollen wir wählen für unsere Odyssey?

Die Antwort auf all diese Fragen ist schlicht aber effektvoll: Pop. Wurden FS nach #1 gerne als "Electroclash"-Band geführt, so hat doch mittlerweile eine wundersam sanfte Metamorphose zur Popband stattgefunden. Denn: "Odyssey" ist Pop pur. Electropop zwar natürlich, doch von Clash kann zumindest rein formal auf "Odyssey" nicht die mehr Rede sein. Was ja auch gar nichts macht. Im Gegenteil. Denn wenn wir hier im Zusammenhang mit FS von Popmusik reden, ist nicht irgendeine mainstreamtaugliche Larifarimucke gemeint, sondern moderne, wohldesignte und songorientierte Hightechtrax, die ausnahmslos genau auf den Punkt kommen. Den P-Punkt nämlich.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass, abgesehen von ein paar wenigen eingestreuten Gitarrensprenkseln, zwar ausschließlich elektronische Kistchen auf Odyssey ihr Werk verrichten, und man dennoch stets das unterschwellige Gefühl hat: Da spielt doch eigentlich eine Band. The Casey Spooner Robot Band. Diese Robot Band ist immer noch Warren Fischer, dem, zeitweise vom wohlbekannten Madonna-Produzenten Mirwais unterstützt, es auf "Odyssey" auf eindrucksvolle Weise gelingt, Supersynthetisches sehr organisch und wie "ne echte Band" klingen zu lassen.

Ganz nebenbei werden dann auch noch auf mehr oder weniger sublime Art und Weise Musiken und Künstler vergangener Jahrzehnte zitiert. Nicht imitiert. Doch hört man beispielsweise "Never Win" schon ein wenig an, dass es da mal eine kleine unbekannte Acidfreundegang namens Pink Floyd gab, die einen lustigen kleinen Song über eine Mauer in den Köpfen vieler Menschen geschrieben haben. Und wo man anderen die Ehre erweist, da darf man selbst natürlich nicht fehlen. Und so zitieren sich Warren und Casey auch einfach selbst. Wohlbekannte Oktavbässe und artverwandte Stilmittel inklusive.

Neber der mal wieder astreinen Produktion und den Topsounds ist wohl größte Stärke des Albums genau das, worauf es beim Pop (und nicht nur dort) halt ankommt: das Songwriting. Denn "Odyssey" besteht ebend nicht aus einem Dutzend mehr oder minder unstrukturierten Tracks, die sich mit ein wenig Sangeskunst als "Lied" tarnen. Nein. Wir haben es hier vielmehr bei etlichen Stücken mit veritablen durcharrangierten Ohrwürmern zu tun - da gibt es Songs, die hört man sich einmal kurz an und, Peng, man hat sie die nächsten sechs Stunden im Kopf, ob man will oder nicht. So hat die Hookline von "All We Are" das Zeug dazu, ganze Nächte im Hinterkopf durch die Gehöhrgänge zu rauschen.

Nicht dass Odyssey nur aus Hits bestünde. Neben herausragendem wie "All We Are", "Happy" oder "Cloud" gibt es auch eine Reihe von Liedchen, die halt einfach rundum o.k. sind. Nicht mehr, aber halt auch nicht weniger. Und so ist das Gesamtergebnis mindestens voll o.k. - eigentlich sogar mehr als das. "Odyssey" ist rundum gelungen, sitzt, passt, wackelt und hat Luft. So kann man "Odyssey" auch vortrefflich von vorne bis hinten durchhören, ohne ein einziges Mal genervt auf Skip zu schielen. Auch wenn ich persönlich "O", den Abschluss von O(dyssey) meist auslasse und lieber noch mal zum Opener "Just Let Go" zurückkehre. Und dann geht die Reise durch die künstlichen und besänftigenden Sphären des CaseySpoonerWarrenFischer-Kosmos noch mal von vorne los. Schön.

Trackliste

  1. 1. Just Let Go
  2. 2. Cloud
  3. 3. Never Win
  4. 4. A Kick In The Teeth
  5. 5. Everything To Gain
  6. 6. We Need A War
  7. 7. Get Confused
  8. 8. Wednesday
  9. 9. Happy
  10. 10. Ritz 107
  11. 11. All We Are
  12. 12. O

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