laut.de-Kritik

"Maskulin kann alles das, was Aggro kann." Aber Aggro war vorgestern ...

Review von

"Silla, bist du mit mir?
"Flizzy, ich bin mit dir."
"Was tun wir mit der Szene?"
"Die Szene wird gefickt."

"Diese ganze Szene ist ein Kindergarten", befinden Fler und Silla im nächsten Atemzug. Merken sie in Südberlin eigentlich noch, was sie so von sich geben? Ekelerregende Bilder, bitte raus aus meinem Kopf!

"Irgendwann Kommt Alles Zurück", nicht nur das Coverartwork von Lil Waynes "Tha Carter II". Dieser Eindruck beschleicht mich allerdings auch. Neu oder nur ansatzweise überraschend wirkt an "Südberlin Maskulin 2" gar nichts. Wir schlürfen den x-ten Aufguss eines schon recht ausgelaugten Testosteron-Teebeutels.

"Kuck mein Auto, kuck die Jacke, kuck die Schuhe." Im Posse-Cut "Maskulin 2012" stimmt G-Hot ein: "Kuck die Jacke, kuck die Hose, kuck die Schuhe" - und Fler, wahlweise gewandet in seidenen Anzug oder von Kopf bis Fuß in Ralph Lauren: "Kuck auf meine dicke Uhr."

Wann genau wurde Styling und der damit einher gehende Markenfetischismus eigentlich zum zentralen Thema der Männerwelt? Den maskulinsten vorstellbaren Beruf scheint 2012 nicht mehr der ölverschmierte Mechaniker, der schwitzende Stahlarbeiter oder der Rodeoreiter auszuüben, sondern das Männermodel und - wenn das so weitergeht - wohl bald noch der Florist. "Deutscher Rap ist mir nicht hart genug" - diese Zeile aus "Nenn Es Wie Du Willst" unterschreib' ich!

Inhalte oder gar Geschichten braucht offenbar kein Mensch mehr. Fler und Silla beschränken sich darauf, ihre gemeinsame Rückkehr, den zwischenzeitlich erzielten Erfolg sowie die angeblich trotzdem ungebrochene Verwurzelung im "Underground" kund zu tun und ein, zwei Platzpatronen in Richtung Kollegah und Farid Bang abzufeuern, um die nur noch leise dahinschwelende Fehde wieder etwas zu befeuern.

Obwohl "Ich Heb Ab" noch mit recht pubertären Emotionen - dem Gefühl des Unverstandenseins, der Einsamkeit und dem unvermittelten Oszillieren zwischen himmelhochjauchzend - zu Tode betrübt - hadert, fühlen sich Fler und Silla berufen, in "Pitbull" die üblichen Halt-durch-bleib-dir-treu-Parolen für die nächste Generation auszugeben. "Merk dir nur eins: Sei kein Hater. Kämpf' für die gute Seite, nicht so wie Darth Vader."

Es stimmt vermutlich: "Maskulin kann alles das, was Aggro kann." Aber Aggro war vorgestern, und dort hatten sie nicht nur einen Riecher fürs Geschäft, sondern auch dafür, wann es Zeit ist, von dem unter Volldampf in die Einöde rasenden Zug abzuspringen. Fler und Silla blieben sitzen. Doch: "Egal, was laut.de schrieb: Wir waren die ersten." Glückwunsch!

Wem das genügt, der dürfte sich blendend unterhalten fühlen. Die mächtige Beat-Kulisse, entsprungen den Reglern von Ilan auf der einen, von Beatzarre und Djorkaeff auf der anderen Seite, jedenfalls schafft einen höchst ansprechenden Rahmen. Der bleibt aber ärgerlich leer, da Fler und Silla rein gar nichts zu erzählen haben.

Schade um die sakral anmutenden Chöre in "Es War Einmal In Südberlin", um den bedeutungsvollen, dunklen Streicherloop aus "Nich Mit Maskulin" oder die abgedrehten Space-Sounds im sonst tonnenschweren Gerüst zu "Ich Heb Ab". Die unheilschwangere Atmosphäre von "Du Willst Ein Rapper" bleibt, was ihre textliche Umsetzung betrifft, ebenso ungenutzt wie die abgrundtiefe Bosheit, die eiskalt aus der Dirty South-Nummer "Nenn Es Wie Du Willst" strahlt.

In "Jeden Tag Silvester" fährt Ilan Dudelsäcke und Rührtrommeln auf, dass man meint, jeden Moment käme der Highlander ums Eck. Dann sind es halt doch nur Fler und Silla, die auch diese Steilvorlage ihres Produzenten unverwandelt lassen.

Das Zusammenspiel der beiden birgt, wie gehabt, keinerlei Potenzial. Hier griff wohl die alte Weisheit "Gleich und gleich gesellt sich gern": In Stimmlage, Intonation und Flow unterscheiden sich beide Herren nur marginal. Wo kein Kontrast, da keine Reibungsfläche.

Immerhin - aber auch diese Feststellung ist nicht neu - hat Fler in den vergangenen Jahren rappen geübt. Zwar beschränkt sich sein Repertoire immer noch auf übersichtlich viele Bilder - vor dem "Trendsetter", der "Welle macht wie Seebeben", gibt es scheinbar kein Entrinnen. Seine zweieinhalb Themen und drei Metaphern bringt er inzwischen jedoch flüssig unters Volk.

Doch um Rap gehts ja gar nicht mehr: "Damals war es Rap. Heute mach' ich Hits." In dem Fall darf man vermutlich auch ungestraft allenthalben eklige Autotune-Passagen in die Gehörgänge seiner Hörer quetschen und den eigenen Nachwuchs (oder, im Fall "Pitbull", den vom Kollegen Harris ausgeliehenen) mit auf den Track nehmen. Kinderstimmchen, wie süüüß! Alter! Wer wirklich noch einen Beweis gebraucht hat – hier isser. Die Szene ist ein Kindergarten.

Trackliste

  1. 1. Irgendwann Kommt Alles Zurück
  2. 2. Es War Einmal In Südberlin
  3. 3. Nich Mit Maskulin
  4. 4. Bleib Wach
  5. 5. Pitbull
  6. 6. Umut Skit
  7. 7. Underground
  8. 8. Jeden Tag Silvester
  9. 9. Ich Heb Ab
  10. 10. Nice
  11. 11. Umut Skit 2
  12. 12. Nenn Es Wie Du Willst
  13. 13. Geh Beiseite
  14. 14. Du Willst Ein Rapper
  15. 15. Solo
  16. 16. Maskulin 2012

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