laut.de-Kritik

Das Schema F: Blindgänger, Böller und eine Bombe.

Review von

So viel Hoffnung mir der Aggroberlina auf der letzten Ansage noch machte, so viel Ernüchterung macht sich bei der vierten Solo-Veröffentlichung des sich stetig steigernden Rappers breit. Es greift, wie bisher immer, das Schema F-L-E-R: Die erste Single-Auskopplung ein Monster von einem Track, ein kompromissloses Brett an den Schädel des ohnehin längst nicht mehr zur Verkopftheit neigenden deutschen Hip Hop - gefolgt von einem durchwachsenen Album, das an keiner Stelle mehr dieses Level erreicht.

Besagten Schuss vor den Bug stellt diesmal der lupenreine Aggro-Banger "Check Mich Aus" dar, für den Beat-Intendant Djorkaeff Synthie-Chöre und Ballermänner über ein tonnenschweres Elektrofundament walzen lässt. Das ist zwar nicht besonders originell, funktioniert in dieser bombastischen Ausführung aber erneut. Vor allem in Verbindung mit Fler, der hier genau das macht, was er am besten kann: arrogant, kaltschnäuzig und mit einer bitterböse motivierten Genervtheit dem Hörer diversen Unterweltjargon um die Ohren hauen.

Nummern wie diese erwecken noch heute den Eindruck, dass Fler tatsächlich der legitime VBBZS-Nachfolger seines alten (und neuen?) Buddys Bushido, der den Aggro-Kader vor fünf Jahren verließ, hätte werden können. In diesem Zusammenhang will auch die Reminiszenz "Rap Electroschock" erwähnt sein: Was Fler hier im SBM-Duett mit Godsilla abzieht, hat echte Carlo Cokxxx Nutten-Gene, aber leider auch einen Beat, der klingt, als wären Djorkaeff und Beatzarre vor lauter Elektroschock die Drumcomputer abgesoffen. Schade drum, denn ansonsten liefern die beiden durchwegs solide bis sehr gute Arbeit ab.

Doch dann holt einen die Realität endgültig ein: Ob es nun heißt "Scheiss Auf Dich" oder "F*** Dich" - derlei stumpfsinnige Abgesänge auf das Tabuvokabular vom letzten Jahrtausend markieren jäh das andere Ende der neuen deutschen Fahnenstange. Keine direkte Beleidigung ist dagegen "Ich Sing' Nicht Mehr Für Dich" mit Ex-Pagadi Doreen. Es erwartet einen aber auch nicht mehr als das, was für gewöhnlich herauskommt, wenn ein schwarzer Rap-Ritter mit einer zarten Pop-Prinzessin auf der Erbse rumreitet: Eine Schnittmengenschnulze im pubertären Einzugsgebiet.

Doch Kollegahs neuer Lieblingsgegner festigt mit seinem selbstbetitelten Viertwerk ganz klar seinen Status als prominente Institution im Straßenrapgeschäft. Er tut das auch heute noch nicht durch größere inhaltliche Relevanz, technische Meisterleistungen oder ein anderes Alleinstellungsmerkmal.

Flers Markenzeichen ist seine stimmliche Präsenz mit der zum Stilmittel erhobenen Arroganz, die er Album für Album, Nuance für Nuance weiter ausbaut. Das taugt sehr wohl, wenn auch nicht zur Gänze, für's Fitness-Center. Wenn ich beim Pumpen den entsprechenden Maskulin-Push, akustisch verabreichtes Testosteron brauche. Das taugt aber nicht zur Lieblingsplatte mit anhaltendem Unterhaltungswert, geschweige denn zum Meilenstein. Sollte er jedoch irgendwann zwölf Alben nach dem oben erwähnten Schema veröffentlicht haben und dann eine Best Of mit den Singles rausbringen - das wäre dann auf Albumlänge so ne Art "Eye Of The Tiger" für in die Jahre gekommene Bodybuilder.

Apropos in die Jahre kommen: Völlig unbehandelt lässt Fler übrigens seine eigene Trennung von seinem bisherigen Geldgeber und Imagelieferanten Aggro Berlin. Vielleicht wollte er einen sauberen Schnitt machen und seine letzte Veröffentlichung beim Sägeblatt noch einmal in dessen ungetrübtem Glanz zelebrieren. Statements in diese Richtung gab es ja. Denkbar wäre aber auch, dass das inzwischen acht Lenze alte Label, das momentan große Rätsel über seine Zukunft aufgibt, kritische Äußerungen unterband und auf die Loyalitätsklausel im Künstlervertrag verwies.

Wohin die Reise für Fler nun geht, ist ungewiss. Angesichts seiner vier Solo-Alben lässt sich eines allerdings sagen: Ein starker Sidekick als Ausgleich und Abwechslung für den Hörer ist für ihn nicht das Ungünstigste. Entsprechende Verhandlungen mit ehemaligen Weggefährten scheinen ja auch schon zu laufen.

Trackliste

  1. 1. Intro (FDM)
  2. 2. Check Mich Aus
  3. 3. Meine Straße
  4. 4. Ewigkeit
  5. 5. Ich Sing Nicht Mehr Für Dich (feat. Doreen)
  6. 6. Ruhm (feat. Sido)
  7. 7. Mein Haus
  8. 8. Usw.
  9. 9. Reason
  10. 10. Schulsong
  11. 11. Rap Electroschock (feat. Godsilla)
  12. 12. Scheiss Auf Dich (feat. Bass Sultan Hengzt)
  13. 13. Sag Warum!?
  14. 14. Was Ist Peace??!?! (feat. Godsilla & Sera Finale)
  15. 15. Ich F*** Dich
  16. 16. Ich Werde Nie Vergessen (feat. Beatzarre)

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Es herrscht Krieg in Berlin. Hartes Gangstertum ist angesagt, das Ghetto feiert sich selbst, die besten Verkaufszahlen erzielt derjenige, der noch unterprivilegierter, …

165 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    Fast vier Jahre ist es jetzt schon her, dass sich Fler mit seinem Debut-Album "Neue Deutsche Welle" an die Öffentlichkeit gewendet hat. In einer Zeit, als Aggro Berlin wohl zweifelsohne seine besten Tage erlebt hat, konnte auch er vom Hype durchaus profitieren. Doch diese Zeiten sind lange vorbei und beim Anblick auf die aktuellen Verkaufszahlen dürfte den sonst so erfolgsverwöhnten Aggro Berlinern das Lachen vergangen sein.

    Die einfache, aber wirksame Strategie der Provokation funktioniert bei Aggro Berlin nicht mehr und dementsprechend verzichtet Fler auch auf einen weiteren Versuch, durch die "Ich bin Deutscha"-Masche Aufmerksamkeit zu erregen. Man besinnt sich nun auf das Eigentliche, nämlich auf den Künstler und deshalb heißt Flers viertes Album auch - welch Überraschung - FLER.

    Schon im Voraus hat Fler versichert, dass er sich keinesfalls auf musikalische Experimente einlassen würde. Seinen alten Fans kommt er damit sicherlich entgegen, ob ihm dies aber neue Käufer beschert, lässt sich berechtigterweise bezweifeln.

    Gerade einmal 16 Tracks finden sich auf der CD. Die Beats wurden beigesteuert von Paul NZA, Djorkaeff und Beatzarre, der hier sogar sein eher dürftiges Gesangs-Debut hinlegt, des Weiteren präsentieren sich hier Bass Sultan Hengzt, Sido und "Südberlin Maskulin"-Mitglieder Godsilla und Rason. Große Namen, aber halten sie, was sie versprechen? Zumindest einer wird den Erwartungen vollkommen gerecht: Fler selbst.

    Es ist wirklich beachtlich, wie sich Fler seit NDW gesteigert hat. Vorbei sind die Zeiten, in denen er holprige Lines runtergestottert oder mehr geschrien als gerappt hat. Natürlich kann der Deutsche Badboy nach wie vor nicht mit der besten Technik glänzen oder gar unterhaltsame Wortspiele in den Raum werfen wie ein Kollegah, doch das ist auch gar nicht nötig.

    Bereits im Intro kündigt sich nach einigen eher überflüssigen Aussagen und einer Brechreiz-erregenden Hook ein durchaus unterhaltsames Stück Deutschrap aus dem Jahr 2009 an. "Warum FLER? Das bin ich/Darum heißt das Album so, denn es dreht sich nur um mich."

    So einfach und doch so überzeugend.

    Seine Feature-Gäste hingegen sind bei Weitem nicht so überzeugend, wenn auch einfach. So bieten Godsilla und Reason in "Gangsta"-Rapper eine erschreckend schwache Vorstellung. Ist man dies noch bei Reason gewohnt, erreicht Godsilla nicht einmal annähernd das Niveau, welches er auf "Südberlin Maskulin" geboten hat. Auch Sido zeigt sich von seiner technisch schlechten Seite in "Macht & Ruhm" - das erste Mal, dass Fler in einem Track dermaßen über seinen Ex-Kollegen Sido dominiert. Der bereits zu Beginn erwähnte Beatzarre ist der perfekte Beweis für den Spruch: Schuster bleib bei deinen Leisten, denn seine Gesangseinlagen in "Ich werde nie vergessen" sind nicht einmal ausreichend für eine Karriere in einer Boygroup. Selbst Fler versucht sich am Gesang und scheitert genauso kläglich in "Meine Strasse". Auch die weiblichen Gäste können nicht wirklich zum Unterhaltungswert der Platte beitragen, sondern bieten eher dürftige Pop-Melodien. Alles in allem bleibt es also an dem hängen, um den es auf diesem Album auch geht: Fler.

    Und der zeigt sich in der seit Anfang des letzten Jahres gewohnten Stärke. Doch genau das ist auch eine Schwäche des Albums: Konnte Fler auf "Fremd im eigenen Land" noch mit seinem neuen Können beeindrucken, ist dieser Effekt auf dem selbstbetitelten Viertling verloren gegangen: Langeweile auf hohem Niveau könnte man sagen - zumindest in technischer Sicht, da aber gute Musik nicht nur darauf basiert, kann dieses Album durchaus für Zufriedenheit beim Hörer sorgen. Das liegt zum Einen daran, dass Fler es verstanden hat, sich gut auf den – zum Teil austauschbaren - Beats von Djorkaeff und Co zu präsentieren, aber auch einfach an seiner Kompromisslosigkeit. Die Schilderungen über seinen Klinik-Aufenthalt in "Mein Haus" sind dafür ein gutes Beispiel.

    Aber Fler wäre nicht Fler, wenn er nicht auch auf abgedroschene Phrasen setzen würde wie etwa in "Schulsong", wo es - wie so oft - darum geht, dass die Schule die armen Jugendlichen überhaupt nicht auf das harte Leben vorbereiten würde. Tragisch. Noch tragischer, dass Fler zum gefühlten 1000. Mal betonen muss, "dass die Gesellschaft uns so gemacht hat". Kennt man schon alles und ganz ehrlich: Man möchte es auch nicht wieder und wieder hören.

    Dadurch macht sich Fler einiges kaputt: Sein viertes Album ist nämlich insgesamt eine konsequente Steigerung im Vergleich zu den Vorgängern. Es finden sich unterhaltsame Battle-Tracks ("Ich f*** dich") und auch persönliche Lieder ("Mein Haus"), aber es fehlen die Überraschungen, die "Fremd im eigenen Land" so stark gemacht haben. Trotzdem sollte sich jeder Fan von Fler dieses Album zulegen.

    3/5

    (Einmal hier eine Review schreiben, das konnte ich mir einfach nicht nehmen lassen. :koks: )

  • Vor 15 Jahren

    Eine sinnvolle Weiterführung des bisher eingeschlagenen Weges, die zur weiteren Etablierung eines typischen Fler-Sounds beiträgt. Meine persönlichen Highlights sind "Meine Straße", "Was ist Peace", "Ewigkeit" und "Ich werde nie vergessen".

    zur ausführlichen Review (http://herrmerkt.blogspot.com/2009/03/fler…)

  • Vor 15 Jahren

    3/5 gehen klar. Features ziehen es extrem runter. Die Beats gefallen besser als beim Vorgänger. "Mein Haus" finde ich ziemlich groß. Von der Rhrasendrescherei kommt er wohl nie weg, es ist aber weniger geworden. Dazu klare Steigerung im Flow.

    Ach ja, im 4. Absatz haste dich bei Reason verschrieben @Texas