1. September 2015

"Körperlich und mental war ich am Ende"

Interview geführt von

Nach einem Abstecher in Stadionrock-Gefilde (Pure Love) meldet sich Frank Carter 2015 im Hardcore-Punk-Untergrund zurück: Mit seiner neuen Begleitband The Rattlesnakes gehts direkt mit dem Kopf durch die Wand.

Im Idealfall lebt ein Musiker seinen Sound mit jeder Faser seines Körpers. Man wacht morgens mit einer Songidee im Kopf auf, und geht erst wieder zu Bett, wenn der musikalische Tagesakku leer ist. Frank Carter ist so ein Typ, der einfach nicht anders kann, als all seine Energie und Kraft in den Dienst der Musik zu stellen. Das war schon zu Gallows-Zeiten so und änderte sich auch nicht, als der Sänger im Jahr 2012 praktisch über Nacht die Ufer wechselte und sich unter dem Pure Love-Banner einem breiteren Publikum präsentierte. Daneben bleibt das Tätowieren seine große Leidenschaft.

Aufgewachsen in der britischen Einöde und bereits in der Jugend angepisst von allem und jedem, fand Frank Carter in der Musik sein Ventil. Zunächst mit pulsierendem Hardcore, später mit großkalibrigem Stadionrock katapultierte sich der charismatische Rotschopf von einem Extrem ins andere. Grauzonen gab es keine. Entweder wurde knallhart ausgeteilt oder komplett die Arme ausgebreitet. Auch mit seinem neuen Bandprojekt hält Frank Carter bedingungslos an seinen Prinzipien fest. Entweder ganz oder gar nicht. Kein Dazwischen.

Vor zwei Jahren wich die seit seiner Kindheit in ihm brodelnde Wut erstmals der Hoffnung. Mit Pure Love erstrahlte der ganzkörpertätowierte Punkrock-Terrier plötzlich im ungewohnt hellen Licht. Doch das Jahr 2014 brachte wieder alles zum Einstürzen. Was genau passiert ist und wie die Musik ("Blossom") ihn letztlich wieder aus dem Sumpf der Verzweiflung zog, verriet uns Frank Carter im Interview.

Hi Frank. Im Pure Love-Song "Bury My Bones" singst du "I'm so sick of singing about hate, It's never going to make me change." Den Song hast du vor knapp vier Jahren eingesungen. Wenn ich mir jetzt das Video zu "Juggernaut" , dem ersten Song deines neuen Soloalbums "Blossom" anschaue, frage ich mich: Was zur Hölle ist passiert? Warum wieder so wütend?

Frank Carter: Was passiert ist? Puh, so einiges. (lacht) Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Das letzte Jahr war definitiv eins der heftigsten in meinem Leben. Ich habe viele Verluste erlitten. Ich musste beispielsweise dabei zusehen, wie sich enge Familienmitglieder in den Himmel verabschiedeten. Das war ungemein schmerzhaft. Und dann habe ich auch noch meinen Job als Tätowierer verloren.

Ich habe dort zehn Jahre am Stück gearbeitet. Dieser Job, die Leute, mit denen ich dort zusammengearbeitet habe und das ganze Drumherum: Das war auch wie eine Familie für mich. Und plötzlich wurde ich gefeuert. Ich stand also da, zwei Monate vor der Geburt meiner Tochter und hatte das Gefühl, mein ganzes Leben würde sich in Luft auflösen. Das waren extrem heftige Monate für mich.

In dieser Zeit wurde dir dann bewusst, dass ...

(unterbricht mich)

... ich es doch noch nicht leid war, über Hass und Wut zu singen. (lacht)

Du lachst?

Ja, mittlerweile schon. Als mir damals die Erkenntnis kam, habe ich geheult. Heute weiß ich, dass ich die Platte, über die wir hier sprechen, höchstwahrscheinlich nie aufgenommen hätte, wenn all das nicht passiert wäre. Versteh mich nicht falsch, ich wünschte, all die Menschen, die ich im letzten Jahr verloren habe, wären noch bei mir. Ich hätte auch gerne meinen Job als Tätowierer behalten. Andererseits waren diese Tragödien aber scheinbar von Nöten, um mich als Musiker zu befreien.

"Das Pure Love-Kapitel ist nicht auf ewig durch ..."

Ein hoher Preis.

Auf jeden Fall. Aber das Leben geht nun mal weiter. Ich weiß nicht, wie oft ich am liebsten alles um mich herum kurz und klein geschlagen hätte. Die Musik hilft mir dabei, diese Wut und all die Verzweiflung in mir in andere Energien umzuwandeln. Und je stärker die Emotionen in mir aufkochen, desto energiegeladener wird die Musik, die sich daraus entwickelt. Geht es also einzig um die Kraft und die Tiefe meiner Kunst, müsste ich eigentlich dankbar für das vergangene Jahr sein. Mit den Rattlesnakes bin ich nämlich an einen musikalischen Punkt angelangt, der alles vereint, was mich als Person und Musiker ausmacht.

Wenn ich mir die Platte anhöre, sehe ich einen angepissten Henry Rollins mit der Hardcore-Version der Sex Pistols im Background vor meinem inneren Auge.

Das klingt doch großartig, oder? (lacht)

Ich finds geil, fand aber auch die Pure Love-Sachen toll. Das ging so in die Foo-Fighters-goes-Underground-Richtung. Ich war, ehrlich gesagt, geschockt, als ich hörte, dass .../b>

(unterbricht mich erneut)

... das haben wir damals auch irgendwie falsch angepackt. Jim (Jim Carroll, Pure Love-Gitarrist) und ich haben nie gesagt, dass das Pure Love-Kapitel auf ewig durch ist. Das kam bei vielen Leuten aber irgendwie so rüber. Fakt ist: Jim und ich haben schon eine ganze Weile nicht mehr miteinander gesprochen. Das hat aber nichts mit irgendwelchen persönlichen Querelen zu tun. Wir sind Freunde. Es war nur irgendwann der Punkt erreicht, wo wir das Gefühl hatten, nicht mehr so richtig vom Fleck zu kommen. Das ist auch völlig okay. Wir werden uns aber bestimmt irgendwann wieder über den Weg laufen. Und wer weiß? Vielleicht funkt es dann wieder. Jetzt stehen aber erst mal die Rattlesnakes an erster Stelle.

Ihr werdet im September einige kleine Shows hier in Deutschland absolvieren. Lang ists her, oder?

Oh ja, viel zu lang. Ich bin mir nicht ganz sicher, wann ich das letzte Mal in Deutschland auf einer Bühne stand. Aber es müsste schon vier oder fünf Jahre her sein. Ich kann mich noch an ein Festival mit den Gallows erinnern. Ich freue mich auf jeden Fall schon tierisch auf die Shows. Es sind lauter kleine Läden in denen wir spielen werden. Das wird ein Riesenspaß.

Du sprachst vorhin kurz die Geburt deiner Tochter an. Du bist ja bekannt dafür, gerne und lange unterwegs zu sein. Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, wie du beides unter einen Hut bringen kannst?

Das wird sicherlich nicht einfach werden. Das ist mir schon klar. Ich will auch kein Vater sein, der seine Tochter nur alle zwei Wochen in die Arme schließt und sich dann wieder auf Tour verabschiedet. Das wird sicherlich eine große Herausforderung für mich. Aber ich fühle mich momentan unheimlich stark und gefestigt. Alles was vor mir liegt, erfüllt mich mit Freude und großem Verlangen. Wir werden einen Weg finden. Da bin ich mir ganz sicher.

"Sie war stets der Fels in der Brandung"

Vielleicht nimmst du deine kleine Familie einfach mit auf Tour. Du wärst nicht der erste Musiker, der Frau und Kind mit zur Arbeit schleppt.

(lacht) Ja, vielleicht machen wir das auch so. Vielleicht finden wir aber auch eine andere Lösung. Ich meine, die Kleine ist gerade sieben Monate alt. Ich weiß nicht, ob ich es toll finden würde, wenn sie allabendlich das Bild ihres verschwitzen, mit Beulen und Platzwunden übersäten Dads mit in den Schlaf nimmt. Das bereitet mir irgendwie Magenschmerzen. Aber, wie gesagt, meine Frau und ich werden uns etwas einfallen lassen. Da habe ich gar keine Angst.

Apropos Beulen: Woher kommt diese Gier nach körperlicher Konfrontation und Schmerz?

Das steckt einfach in mir drin. Ich sehe mich nicht nur als Sänger, sondern auch als Performer. Wenn ich auf die Bühne gehe, bin ich ein anderer Mensch. Dann habe ich den Tunnelblick. Es geht nur noch um die Musik und um die Emotionen, die sie in mir hervorruft. Die will ich dann ausleben. Ich will sie aber auch teilen. Die Leute sollen wissen, was in mir vorgeht. Ich will ihnen in die Augen sehen, wenn ich ins Mikrofon schreie. Das funktioniert natürlich nicht, wenn ich mich irgendwo auf der Bühne verstecke. Also nehme ich Kontakt zu den Fans auf, lass mich auf einen Austausch ein und stürze mich ins Getümmel. Dabei geht dann manchmal auch was zu Bruch. Das gehört dazu. (lacht)

Und deine Frau flickt dich dann daheim wieder zusammen?

(lacht) Sie ist für mich da. Sie versteht das. Das ist wichtig. Wir sind eine verschworene Gemeinschaft. Als vergangenes Jahr alles den Bach runter ging, war sie die einzige positive Konstante in meinem Leben. Dafür werde ich ihr auf ewig dankbar sein. Keine Ahnung, wo ich heute rumlungern würde, wenn sie damals nicht an meiner Seite gewesen wäre. Sie war stets der Fels in der Brandung. Sie hat mich aufgefangen, wenn ich nicht mehr weiter wusste. Und sie hat mir am nächsten Tag in den Arsch getreten, wenn ich alles hinschmeißen wollte. So eine Frau findet man nicht an jeder Ecke. Ich danke dem Herrn da oben, dass sie ein Teil meines Lebens ist.

Wie hätte es denn ausgesehen, wenn du alles hingeschmissen hättest? Was glaubst du, wo du heute stehen würdest?

Am Abgrund.

So schlimm?

Definitiv. Ich wäre komplett im Arsch. Es gab Zeiten im letzten Jahr, da hatte ich das Gefühl alles verloren zu haben. Diese Gefühle und diese Gedanken waren mit das Schlimmste, was ich in meinem Leben bisher mit mir herum geschleppt habe.

Was war mit der Musik?

Die war ganz weit weg. Zumindest zeitweise.

Erinnerst du dich noch an den Moment, als sie wieder als eine Art Retter in dein Leben trat?

Nein, nicht genau. Das war auch eher ein Prozess. Ich war lange Zeit total leer. Körperlich und mental war ich am Ende. Nichts ging mehr. Ich dachte, dass das Leben, das ich geführt hatte, mit all den Bands, den Platten, den Konzerten, den Pressereisen und dem ganzen Drumherum verschwunden ist. Da war nichts mehr.
Und dann kamen die Wut, die Verzweiflung und der Hass wieder hoch.

Und mit diesen Gefühlen auch die Musik?

Exakt. Genau so war es. Ich spürte plötzlich wieder diese dunklen Gefühle in mir. Und mir wurde irgendwann klar, dass das alles raus muss. So entstanden die ersten Songs. Der Stein kam ins Rollen. Und nun sitze ich hier und rede mit dir über die wahrscheinlich authentischste Platte, die ich je aufgenommen habe. Das ist ein tolles Gefühl.

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