30. April 2013

"Mit Sonic Youth oder Tom Waits kann ich nichts anfangen"

Interview geführt von

Weit über 1500 (!) gespielte Konzerte rund um den Globus: Frank Turner liebt zwar sein Heimatland, aber in den letzten Jahren hat er nur wenig von der Insel gesehen, was er auf seinem letzten Album "England Keep My Bones" auch öffentlich "beklagte".Dass sich dieser Zustand in naher Zukunft ändert, ist eher unwahrscheinlich, denn nach seiner monströsen Wembley-Performance im vergangenen Jahr und seinem Auftritt während der Eröffnung der olympischen Sommerspiele ist Frank Turner begehrter denn je.

Nun steht auch noch die Veröffentlichung seines neuen Albums "Tape Deck Heart" an, was einen ausgedehnten Heimaturlaub erst einmal in weite Ferne rücken lässt. Wir trafen den Rock'n'Roll-Rumtreiber in Berlin und sprachen mit ihm über bizarre Erlebnisse, engstirnige Punks und den Geruch von Schweiß und Bier.

Hi Frank, als ich dich das letzte Mal traf, redeten wir über mögliche Support-Offerten für die Zukunft. Du hattest gerade die Shows mit Social Distortion absolviert und wir stolperten scherzend über den Namen Bruce Springsteen. Seitdem ist über ein Jahr vergangen, und ich für meinen Teil würde behaupten, dass du es mittlerweile gar nicht mehr nötig hast für irgendjemanden den Anheizer zu spielen. Was meinst du?

Frank: Oh, ich würde sagen, dass das ein perfekter Einstieg für ein nettes Interview war (lacht).

Die Fakten sprechen einfach für sich – ausverkaufte Show in der Wembley-Arena, Eröffnung der olympischen Spiele: Hallo?

Ja, das letzte Jahr war wirklich schön, aber auch sehr anstrengend und teilweise auch etwas bizarr.

Bizarr? Inwiefern?

Naja, die Wembley-Show war schon ziemlich heftig. Aber es war trotzdem ein vertrautes Gefühl für mich, auch wenn die äußeren Umstände etwas den Rahmen sprengten (lacht). Die olympischen Spiele waren allerdings eine ganz andere Liga. Da war ich vorher schon ziemlich im Eimer.

Du warst also nervös?

Ja, total. Ich meine, ich war auch vor der Wembley-Show nervöser als sonst. Aber dieser Gig fühlte sich an wie ein Teil meiner Geschichte. Alles war zwar wesentlich größer, aber im Grunde ging es um ein normales Konzert – wenngleich in einer anderen Größenordnung. Bei den olympischen Spielen betrat ich absolutes Neuland.

Da saßen 80.000 Menschen im Stadion, und keiner der Anwesenden war gekommen, um mich zu sehen. Es sollte ja eine Überraschung sein, also hielten wir es geheim. Aber selbst wenn alle es gewusst hätten, hätte man die Leute, die nur wegen mir gekommen wären, wahrscheinlich an einer Hand abzählen können. Diese Gefühl, so irgendwie gar nicht zu wissen, was einen erwartet, war schon ziemlich befremdlich und auch angsteinflößend für mich.

"Es hätte ein Desaster werden können"

Aber letztlich ging ja alles glatt über die Bühne.

Ja, aber es hätte auch ein Desaster werden können. Es ging ja nicht nur um die 80.000 Menschen im Stadion (grinst).

Sondern?

Naja, normalerweise gehe ich immer zusammen mit meiner Band auf die Bühne. Diesmal lief ich aber irgendwie vorneweg und schlängelte mich so durch die Katakomben der Arena. Ungefähr zwei Minuten vor meinem Auftritt kam ein Backstage-Typ mit Headphones auf mich zu und flüsterte mir ins Ohr, dass man gerade darüber informiert wurde, dass weit über 30 Millionen Menschen an den TV-Geräten sitzen. In diesem Moment hätte ich den Typen am liebsten eine geknallt. Ich meine, warum erzählt er mir so etwas zwei Minuten vor dem Auftritt? Von da an kann ich mich nur noch bruchstückhaft erinnern (lacht).

Wie lange hast du gebraucht, um diesen Tag zu verarbeiten?

Das hat schon eine Weile gedauert, denn man nimmt ja nicht regelmäßig an der Eröffnungsfeier der olympischen Spiele teil. Zum Glück spielte ich relativ kurz danach einige Shows mit meinem neuen Hardcore-Projekt Mongol Horde. Mit den Jungs waren wir in kleinen Bars unterwegs. Das hat mir dabei geholfen, nicht komplett durchzudrehen.

Du wurdest ja in der Vergangenheit oftmals von sogenannten DieHard-Punks verbal attackiert, die dir vorwarfen, mittlerweile komplett verweichlicht zu sein. War das auch ein Grund für dich das Projekt Mongol Horde ins Leben zu rufen – um den Leuten zu zeigen, dass du auch noch derben Krach machen kannst?

Oh, nein. Absolut nicht. Diese Leute werden mich eh nie wieder in ihre Arme schließen (lacht). Ich bin mittlerweile einfach zu trendy für den englischen Underground. Letztens erst hat mir Ben Nichols (Sänger von Lucero) eine lustige Geschichte erzählt. Er hatte in England gespielt und während eines Konzerts einen Song von mir angestimmt. Daraufhin hätte man ihn fast von der Bühne geprügelt. Er rief mich dann an und sagte mir: "Frank, die Punks hassen dich hier. Was zur Hölle ist passiert?" So ist das halt mit eingeschworenen Gemeinschaften. Veränderungen kommen da gar nicht gut an.

Aber Punk definiert sich ja nicht nur über verzerrte Gitarren, oder?

Frank: Ja, aber das sehen viele engstirnige Szene-Mitglieder einfach anders. Ich fühle mich dem Punk immer noch genauso verbunden wie vor zehn Jahren. Hör dir Billy Bragg, die Pogues oder TV Smith an. Es kommt nicht auf die Lautstärke an, sondern nur auf die Message, die man transportiert. Ich mache einfach das, worauf ich Bock habe, ganz einfach. Wem es nicht gefällt, der muss es sich ja nicht anhören. Ich finde diesen ganzen Definitionskram total überflüssig.

Es gibt doch nichts Schlimmeres, als Leute, die einem vorschreiben wollen, was man für Musik machen soll. Obwohl: es gibt auch die Leute, die einem sogar vorschreiben wollen, welche Musik man toll finden muss. Diese Typen finde ich ja fast noch schlimmer. Wir hatten früher mal eine total witzige Diskussion im Tourbus. Dabei ging es darum, dass jeder einmal Bands aufzählen sollte, die man allgemein lieben müsste, die einem aber, aus welchen Gründen auch immer, total am Arsch vorbei gehen.

"Sonic Youth, Beck, Tom Waits - ich respektiere diese Leute"

Oh, da bin ich aber jetzt gespannt.

Mein Gitarrist regte sich über Soundgarden auf und unser Tourmanager warf sogar Black Flag in die Runde. Das war schon ziemlich abgefahren. Mir fielen sogar eine ganze Menge Bands und Künstler ein, mit denen ich einfach nichts anfangen kann. Sonic Youth, Beck, Tom Waits - ich respektiere diese Leute, aber ich habe nie einen Zugang zu ihrer Musik finden können. Darf ich mich deswegen nicht als Rockmusiker bezeichnen?

Ich fand Nirvana nie so richtig prickelnd.

(Lacht). Oh, ich hoffe nicht, dass dich deine Ehrlichkeit den Job kosten wird.

Wir werden sehen. Lass uns über "Tape Deck Heart", den Titel deines neuen Albums reden. Hast du früher gerne eigene Mix-Tapes erstellt?

Ja, ich hatte eine riesige Sammlung an Tapes zuhause. Ich fand das früher immer total spannend. Man fühlte sich irgendwie wie ein DJ. Ich weiß noch, wie ich Jahre gebraucht habe, um mir ein komplettes Album von den Cro Mags auf Tape zu ziehen. Das Tape klang später, wie eine Ansammlung von Songs völlig verschiedener Platten, weil ich einige der Songs im Radio aufschnappte und andere Tracks von Freunden überspielt bekam.

Da war richtig Leben drin – die abrupten Übergänge, die Soundunterschiede, das Knarzen währen der Songs: das war schon cool. Das Lustige ist aber, dass der Albumtitel eigentlich gar nichts mit der Glorifizierung von alten Mix-Tapes zu tun hat. Es hörte sich einfach gut an und passte irgendwie.

Ich finde, dass das Album einen vergleichbaren Vibe hat wie "England Keep My Bones". Einmal abgesehen von den mittlerweile fast gänzlich verschwundenen harten Gitarren, klingt das Gesamtpaket ähnlich pub- und arenatauglich. Siehst du das ähnlich?

Ja, absolut. Es ging mir nicht darum, mich irgendwie neu zu erfinden. Ich habe mich einfach hingesetzt, 25 neue Songs geschrieben und die besten davon aufs Album gepackt. Das einzige, was von vornerein klar war, war, dass es kein weiteres England-Album werden würde. Ich habe mich diesmal einfach von den Dingen inspirieren lassen, die sich seit dem letzten Album in meinem Leben verändert haben.

Es ist schon fast eine Breakup-Platte geworden. Trennung spielt eine große Rolle auf dem Album. Wie geht man mit dem Ende einer langjährigen Beziehung um? Es gibt Tage, da fühlt man sich als Opfer. An anderen Tagen fühlt man sich hauptschuldig. Es gibt so viele verschiedene Sichtweisen, verstehst du? Das war, für mich persönlich, mit das Spannendste an diesem Album.

In vielen deiner Songs geht es um Familie, Freunde, Zusammenhalt und Heimweh. Wie passt das zusammen bei jemand, der in den letzten acht Jahren überall auf der Welt weit über 1500 Konzerte gespielt hat?

Ja, das habe ich mich auch schon oft gefragt (lacht). Aber ich kann einfach nicht anders. Ich liebe meine Familie, meine Freunde und meine Heimat. Ich glaube, dass man das in meine Songs auch vermittelt bekommt. Ich bin aber auch dem Rock'n'Roll verfallen. Und der treibt mich immer wieder in die weite Welt hinaus. Ich liebe den Geruch von Schweiß, Bier und benutzten Mikrofonen. Das ist meine Welt. Die Band, die Reisen, die Fans: ich kann nicht ohne. Wenn ich zuhause bin, fällt mir nach spätestens nach zwei Tagen schon wieder die Decke auf den Kopf.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Frank Turner

Frank Turner wurde zwar in Bahrain geboren, ist aber – so englisch wie sein Name klingt, im Süden Englands aufgewachsen. Mit seiner ersten Band Kneejerk …

Noch keine Kommentare