laut.de-Kritik
Deep House, Techno und Dance-Pop im nächtlichen Stelldichein.
Review von Johannes Jimeno"Inspiriert vom soziologischen Konzept des 'Third Place' – Orte, an denen Kreativität und Gemeinschaft aufleben – verkörpert das Album die Freiheit und emotionale Befreiung, die man in Clubs und Räumen der Gemeinschaft findet. Hier avanciert Musik nicht nur zu einem bewegenden Katalysator für Inspiration, sondern ermöglicht eine ungeahnte kognitive Verbindung."
Schwülstige Presstexte sind wie immer ein Fest, aber immerhin bekommen wir einen Hinweis zum Albumtitel. Laut dem US-amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg gibt es drei Orte: Das Familienleben ist der erste, das Arbeitsleben der zweite und der dritte Ort soll als Ausgleich und Treffpunkt für nachbarschaftliche Gemeinschaft herhalten. Bezogen auf das neueste Machwerk von Fritz Kalkbrenner dient seine Musik als ebenjener Ort der Ungezwungenheit.
Seine Zuflucht bietet auch dieses Mal wieder handwerkliche Raffinesse, harmonische Konstruktionen sowie wohlklingende Kompositionen. Der Berliner perfektioniert seinen Sound weiter und reichert ihn mit subtilen, aber nicht minder spannenden Ideen an. Jeder Song bietet eine andere Ausrichtung, wenngleich sie im nächtlichen Stelldichein zwischen Deep House, Techno und Dance-Pop verweilen. Kalkbrenners Stimme injiziert zusätzlich die gewohnte Portion Emotionalität. Bestes Beispiel hierfür der Opener "It Ain't Over", quasi der Blueprint dessen und irgendwie possierlich, wenn er seltsamerweise "it ain't hover" singt.
"High Line" überrascht als frühes Glanzlicht mit zunächst leicht kratzigen Melodien, die nach dem Drop stärkere Distortion erleben und Richtung Synthwave abdriften. Ein feiner House-Beat mit Ecken und Kanten, der pluckert und pulsiert. Das feinsinnige "Nothing More To Say" liefert nachdenklichen House-Pop und nach gelungenen Dynamikverschiebungen fleht er kurz vor dem Klimax "Everything hurts / Let's be giants again."
Elegante Melancholie versprühen auch die nachfolgenden Tracks "The Telepath" mit nostalgischen Warehouse-Vibes und treibenden Breakbeats, das vor allem live bestens funktionieren sollte. Das an Chicago-House angelehnte "Into The Night" kokettiert mit einer Verschmelzung von Deep House und Piano, während dynamische Grooves sie unterfüttern.
Das finstere "Fall Between The Cracks" geht eine Ebene tiefer dank stark verzerrter Stimme, strahlt jedoch im Inneren eine Wärme und Hoffnung aus. "Can't Bring Us Down" schielt indes mehr Richtung Techno-Rave und gibt sich heller samt cooler Atmosphäre. Verblüffend zudem der solide Tech-House "Home", wenn urplötzlich gleisende Synthies den kompletten Tenor des Songs brechen und Euphorie die Bühne bereiten.
Fritz kann aber nicht nur die mitternachtsblauen Töne spielen, sondern produziert auch einen Techno-Banger: "Free At Last" wummert unerbittlich, 4-to-the-floor Bassdrum, industrial 90er-Breakbeat. Garniert mit einer sympathischen Simplizität an Melodien beweist er hier abermals sein Talent. "Playing Games" markiert vielleicht seinen außergewöhnlichsten Song, wenngleich den besten auf diesem Album: Zusammen mit Singer/Songwriter Coach Harrison fährt er eine große Klangwand aus unwiderstehlichem Deep House und souligen Vocals. Ein waschechter Hit.
Der kleine Bruder von Paul beendet "Third Place" wirklich zauberhaft: Über das pittoreske Interlude "Close To You", wenn Flöten, Piano und gehauchte Lyrics entspannt über den hektischen Beat schweben, verabschiedet er uns durch den verträumten "See You Again", das eine gewisse vorweihnachtliche Stimmung evoziert und gegen Ende ein wenig das Tempo anzieht.
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