laut.de-Kritik

Die Band, die den Hardcore umkrempelte.

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Welches Fugazi-Album das beste ist, darüber wird im Internet viel gestritten. Ob nun "13 Songs", "Red Medicine" oder gar "In On The Kill Taker"? Einigkeit herrscht meist nur darüber, dass "Repeater" wohl als das einflussreichste gilt, wenn auch nicht unbedingt als das gelungenste.

Trotzdem: Kaum eine Best-of-Hardcore-Liste kommt ohne das erste richtige Album der Jungs aus Washington, D.C. von 1990 aus. Dabei wird schnell klar, dass die Platte meist als Synonym oder Pars-pro-toto für das gesamte Phänomen Fugazi dient. Vermutlich, weil hier zum ersten Mal zutage tritt, wie nachhaltig die Band das Genre Hardcore und die Szene tatsächlich umgekrempelt hat.

Fugazi stehen dabei meist nicht nur für ihre Musik, sondern vor allem für ihre Einstellung der Musikindustrie gegenüber. Konzerte und Platten waren so günstig, dass sich so ziemlich jeder eine Show leisten konnte. Merch gab es nicht. Auch das legendäre This-is-not-a-Fugazi-Shirt ist nicht offiziell autorisiert. Interviews mit den großen Musikmagazinen oder Fernsehsendern lehnten Fugazi ab. Ein Major-Deal kam schon gar nicht in Frage. Das alles hat ihnen den Ruf einer unbeugsamen Independent-Band eingebracht, der bis heute anhält.

Seit einigen Jahren allerdings veröffentlichen sie keine neue Musik mehr, sondern basteln nur noch an ihrem Vermächtnis: So ging 2013 die Plattform Fugazi Live Series online, die Konzertmitschnitte seit Beginn ihrer Karriere bündelt. Das ist ganz schön abgefahren, fast schon größenwahnsinnig. Wer soll sich das alles anhören?

Als "Repeater" erscheint, schwingt und klingt das alles natürlich erst in Ansätzen mit. Dennoch markiert das Werk einen Knackpunkt für die Szene. Ein Album wie "The Shape Of Punk To Come" von Refused ist ohne Fugazi und "Repeater" schlicht nicht denkbar. Bands wie Quicksand, Rise Against, Thrice, La Dispute oder At The Drive-In sind direkt oder über Ecken vom Sound und Einfallsreichtum dieses Albums – beziehungsweise dieser Band – fasziniert und inspiriert. So sagt Walter Schreifels über den Kracher "Waiting Room" (der zugegebenermaßen schon vor "Repeater" erschien): "Dieser Song war ein Ereignis, das die Bedeutung von allem veränderte, was vorher war."

Die Punk-Kids Ian MacKaye, Guy Picciotto, Joe Lally und Brendan Canty, die vor kurzem noch in Bands wie Rites of Spring oder vor allem Minor Threat Krawall gemacht hatten, trauten sich plötzlich mehr zu, sie experimentierten, strukturierten, ließen neue Ideen sprudeln und brachten so den Hardcore auf ein völlig neues Level, ohne seine Ursprünge, seine Wut und seine Kritik zu vergessen. Posthardcore war geboren.

Das merkt man gleich am Sound, an den Grooves und den verschachtelten Riffs des Openers "Turnover": ein Vier-Minuten-Monster, das sich in alle möglichen Richtungen windet, dem Bass viel Raum lässt, fast schon sphärische Feedback-Matten auslegt und freilich auch ordentlich auf die Kacke haut. Fugazi lieben Gegensätze, etwa wenn sie in "Repeater" dem dreckigen Vers-Riff eine fast schon fröhliche, kindliche Gitarrenmelodie im Refrain entgegenstellen und das mit Gangshouts paaren.

Herrlich, wie Fugazi so mit der Hörererwartung spielen. Das grandiose "Shut The Door" baut sich relativ zügig auf, fällt aber ebenso schnell wieder zusammen, allerdings ohne im erwarteten Chaos zu enden. Lieber starten Fugazi einen langsamen und hypnotischen Groove, den dann doch noch hysterisches Geschrei durchbricht. Der locker coole Basslauf (zum Niederknien!), die aggressiven Gitarren, die Wutausbrüche und das zackige Schlagzeug: Alles fügt sich völlig unbeschwert zusammen, nichts klingt gewollt.

Beim ersten Viertel geraten die Übergänge fließend. Ein Song läuft in den nächsten über, erst nach dem dichten Instrumental "Brendan #1" gibt es eine kleine Pause. Besser kann man den Hörer gar nicht in den Sog einer Platte ziehen. Auch danach halten Fugazi die Spannungskurve hoch, setzen Hardcore-Rüpel-Songs wie "Merchandise" oder "Greed" zwischen die molligen, sanfteren Klänge von "Blueprint" oder "Two Beats Off". Auch dort wechseln sie mir nichts, dir nichts zwischen den treibenden Bass-Läufen und cleanen Gitarren-Geschrammel.

"Greed" hat zwar wenig Text, verarscht dafür den Hörer aber wunderbar mit herrlichen Breaks. Ein kurzweiliger Rückgriff auf alte Minor Threat-Tage: "You wanted everything, you needed everything! Greed, greed, greed!" Viel mehr gibt es nicht zu sagen. In "Merchandise" folgt die Erklärung, warum große Labels und Merchandise nicht gut für Punker sind. "Merchandise keeps us in line / Common sense says it's by design / What could a businessman ever want more?" Deswegen lieber unabhängig bleiben und die Kontrolle über die eigenen Kreativität behalten: "We owe you nothing / You have no control."

An "Sieve-Fisted Find" hört man deutlich, wie sehr Fugazi etwa Hot Water Music beeinflusst haben: Der Bass übernimmt hier wieder einmal eine sehr wichtige und prägende Rolle, während sich die Gitarren gegenseitig die Bälle zuspielen. Also so, wie das Chuck Ragan, Chris Wollard und Jason Black immer tun. Das wummernde "Two Beats Off" klingt nach Quicksand, das chaotische "Repeater" immer wieder nach At The Drive-In.

Es ist spannend, all die guten Bands in Fugazis Musik wiederzuentdecken, auch wenn mancher Vergleich konstruiert erscheinen mag. Doch die Art, wie Fugazi an den Hardcore herangingen, ohne Scheu vor Neuem, neugierig in andere Genres schielend und mit dem Drang beseelt, etwas anderes auszuprobieren: Diese Art hat all diese Bands auf alle Fälle angesteckt.

Ian MacKaye selbst gibt jedoch nicht viel darauf, dass er Leute inspiriert oder beeinflusst haben soll. In einem recht philosophischen Interview mit huckmagazin.com ruft er ins Gedächtnis: "Wie auch immer mein Celebrity-Status oder mein Ruhm dargestellt wird: Es ist durchaus wichtig, zu sagen, dass 99,9 Prozent der Weltbevölkerung mich nicht kennen, kannten und je kennen werden. Ich existiere praktisch nicht." Für 0,1 Prozent der Bevölkerung allerdings existiert er sehr wohl. Später sagt er: "Ich bin daran interessiert, eine Spur zu hinterlassen." Das ist ihm und seinen Bandkollegen mit "Repeater" definitiv gelungen.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Turnover
  2. 2. Repeater
  3. 3. Brendan #1
  4. 4. Merchandise
  5. 5. Blueprint
  6. 6. Sieve-Fisted Find
  7. 7. Greed
  8. 8. Two Beats Off
  9. 9. Styrofoam
  10. 10. Reprovisional
  11. 11. Shut The Door

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