laut.de-Kritik
Warum nur?
Review von Hannes HußWas ist eigentlich die Funktion eines Remix-Albums? Wahrscheinlich neue Facetten bekannter Songs aufzuzeigen. Die Antwort auf die hypothetische Frage: "Wie würden die Beatles klingen, wären sie eine skandinavische Doom-Metal-Band?" Ist halt nur schwierig sowas hinzubekommen. Im schlimmsten Fall klingt das dann wie Kontra K auf dem Alt-J Remix Album. Einfach einen eigenen (sehr unnötigen) Part reinschnibbeln und die Basedrum mehr betonen. Einschlafhilfe für Leute, denen der Baldrian ausgegangen ist.
Dieses Schicksal erleidet auch "Nur", die Remix-Platte aus dem Hause Kliemann. Songs der beiden Alben "Nie" und "Pop" wurden neu gemixt oder in ein reduziertes Piano-Gewand gesteckt. Das Ergebnis ist unterwältigend. Es beginnt schon beim Opener "Die Hook (Philipp Schwär Remix)". Philipp Schwär ist Kliemanns Haus-und-Hof-Produzent, was das ganze Dilemma schon darlegt. Die Frage: "Wie klingt 'Die Hook', wenn sie von Philip Schwär produziert worden wäre?" wurde doch schon mit "Die Hook" beantwortet. Der Remix fügt dem Original nichts mehr hinzu. Klar, es wird ein bisschen hektischer und lauter. Aber damit geht dem Song auch der emotionale Tiefgang verloren, die größte Stärke von "Pop" und "Nie".
"Nur" fällt auf einen altbekannten Trugschluss herein. Ein langsames Klavier ist eben nicht dasselbe wie emotionaler Tiefgang. Daraus resultieren all die Ärgernisse der Klavierstücke auf dem Album. Denn Kliemann packt auf sein Remix-Album noch eine Handvoll an Klavierinterpretationen seiner eigenen Songs. Das klingt zuerst ganz stimmig, immerhin entstehen nach seinen Angaben alle seiner Songs zuerst am Klavier. Vielleicht sind die Piano-Versionen einfach die ursprünglichen Versionen der Songs? Quasi etwas überarbeitete Demos?
Ach, wäre es doch bloß so. Nein, die Piano-Versionen haben alle denselben Vibe wie mein 18-jähriger Bruder, wenn er "Barfuß Am Klavier" spielt. Hier werden die Akkorde gemolken, bis ihnen wirklich jedes Gefühl ausgewrungen ist. Zumindest jedes potenzielle Gefühl. Denn wirkliche Gefühle kommen nicht auf, wenn das zappelige, rohe "Bau Mich Auseinander" zur Piano-Ballade umfunktioniert wird. Ne, die Gefühle waren im Original da. Wenn der unruhige Beat einen Gefühlszustand widerspiegelte. Wenn die Rastlosigkeit der Songs Kliemanns eigene Rastlosigkeit abbildete. "Bau Mich Auseinander (Piano Version)" klingt seltsam mut- und kraftlos, scheint besser auf eine Spotify-Produktivitätsplaylist als auf ein Album eines ernstzunehmenden Künstler zu passen.
Ein weiteres Problem der Piano-Versionen ist auch die mir unverständliche Entscheidung, auf Kliemanns Stimme zu verzichten. Denn diese hat einen unglaublichen Charme. Ohne seine rauen, emotionsgeladenen Vortrag wäre "Regen" kein guter Song geworden, sondern eine ziemlich leere Assoziationskette über Liebe oder etwas ähnliches. Auch seine unbestreitbare Fähigkeit als Texter geht so verloren. Vor allem "Nie" war bevölkert von wirklich starken Texten. Die Piano-Versionen hingegen klingen nach kultivierter Langeweile, ohne Ecken oder Kanten, einfach nur da, um da zu sein.
Die Remixe unterliegen demselben konzeptuellen Schicksal. "Ruinierung (Brenk Sinatra Remix)" klingt einfach ein Minimum härter als das Original. Aber wer hat auf eine Antwort auf die Frage: "Wie klänge Fynn Kliemann, wenn er Hip Hop machen würde" gewartet? Niemand. Denn das war ja das Interessante an Kliemann. Er existierte irgendwo zwischen Pop, Hip Hop und modernem Chanson (was vor allem seiner Stimme geschuldet war), mit einer klaren Betonung auf Pop. In dieser Nische funktionierte seine Musik. Wenn jetzt Brenk Sinatra, zweifelsohne eine Größe im Hip Hop und sicherlich auch ein kleiner Ritterschlag für Kliemann, den Hip Hop-Anteil hochdreht, mit etwas härteren Bässen und Off-Stimmen, kippt der Song eben in Richtung Hip Hop. Das tut ihm überhaupt nicht gut. Jetzt ist er eben kein Popsong mit Blinkern Richtung Hip Hop mehr, sondern ein Hip Hop-Song, der aber dauerhaft Richtung Pop schielt und dadurch alle Kraft verliert.
"Twingo (Mogli Remix)" hingegen dreht einfach nur ein bisschen an den Pop-Reglern und macht ansonsten nichts. Also wirklich nichts. Nach zwei Bier lässt sich kein Unterschied zwischen dem Remix und dem Original raushören. Klar, das eine klingt etwas verspielter. Das ist alles. Nichts mehr. Einziger Pluspunkt für Mogli: Das Gummiball-artige "Twingo"-Adlib klingt herrlich verspielt und innovativ. Das ist alles, was an diesem Song wirklich auffällt.
Der beste Moment des Albums ist das glücklicherweise nicht, diese Ehre geht an zwei andere Songs. Ein Song pro Albumhälfte. Für die Remix-Hälfte wäre das "Schmeiss Mein Leben Auf Den Müll (Farhot Remix)". Ein Remix, der endlich mal nicht nach 'Jo, ich hab mir hier dieses Effektpaket runtergeladen, lass das mal draufpacken' klingt. Farhot, der unter anderem an "Chabos Wissen Wer Der Babo Ist" beteiligt war, verleiht "Schmeiss Mein Leben Auf Den Müll" scharfkantige Electronica, erhöht die Geschwindigkeit der Gesangsspuren, verfremdet die Stimme und verleiht dem Song dadurch eine Bedrohlichkeit, die Kliemanns bisherigem Werk vollkommen fremd war. Alles klingt abgehackt und gehetzt, ein Remix, der wirklich eine Funktion erfüllt.
Der zweite, beste Moment des Albums geht nur eine Minute. Denn den Piano-Versionen stehen auch ein paar Skits bei. Einer davon, "Origami" erfüllt tatsächlich die Funktion eines gelungenen Remix. Hier wird tatsächlich eine, zugegebenermaßen nischige, Frage beantwortet: "Wie klänge die erste Strophe von 'Dieses Leben', wenn wir ihm den Kopfnicker-Beat abknöpfen, Fynns Stimme filtern und dann sanfte Electronica-Sphären beifügen?" Wirklich, wirklich gut. Zögernd, unschuldig. Als würde die neue Version dem eigentlichen Thema des Songs näherkommen als das Original. Kliemanns Selbstdiagnose wirkt vertraulicher und intimer.
So hätte ein gutes Remix-Album aussehen können. Vertraulicher, intimer, ruhiger. Weniger ausproduziert. Stattdessen missraten die Remixe der ersten Hälfte zu einer Garage Band-Probesession und die Piano-Versionen zu bloßen Langweilern. Schade, denn in "Nie" und "Pop" steckt wirkliches Potenzial, vor allem dann, wenn Kliemanns Texte wirklich berühren. "Nur" hingegen bleibt ohne eigenständige Ideen.
4 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Fynn Kliemann fleischgewordenes Gelb-Grün
Schlimm, ganz schlimm.
Da ziehts mir innerlich alles zusammen, schaut doch lieber mal rüber zu Alex' Rezi von Behemoth. Immer nur gibts die Aufmerksamkeit für die Posterboys, schade.