laut.de-Kritik

Kein Wu-Album lebt die Philosophie von Rap als Kampfkunst krasser.

Review von

Ihr erinnert euch an folgenden Epilog? "Im 2012er Update der 500 Greatest Albums Of All Time des Rolling Stone-Magazins landete 'Cuban Linx' auf Platz 480. Den benebelten Gymi-Spasten aus dem Keller war das damals ziemlich Latte, sobald der nächste Fressflash kam. Ey yo, geh' mal nach oben auf die Straße, Digga: 'The Ice Cream Man is coooming!'" – der Raekwon-Meilenstein führte zurück, ganz weit zurück in eine unbeschwerte Jugend zwischen Kiffen im Keller und kopfnickenden Kokain-Raps.

In den Wintern der Jahre 1995 bis 1997 galten zwei eiserne Regeln. Erstens: Der letzte Sit-In-Gast muss aufstehen, wenn der Pizzamann das zweite Mal klingelt (und wenn du schon stehst, dann wechsle bitte auch gleich die CD). Zweitens: Nach dem Wu ist vor dem Wu, sprich, nach Raekwon und Ghostface folgt die ganze Crew, Method Man, ODB oben der GZA.

Dessen zweites Album "Liquid Swords" fand in jenen kalten Tagen meist erst zu später Stunde seinen Weg in die Stereo-Anlage. Das Gehirn war bereits durch diverse Drogen so vernebelt wie Dirks Leistung als Minister, und die Gegenwart spielte keine Rolle mehr.

"When I was little, my father was famous / He was the greatest samurai in the empire / And he was the Shogun's decapitator / He cut off the heads of a hundred and thirty-one lords / It was a bad time for the empire."

Kaum setzt das Filmsample aus dem Kampfkunst-Movie "Shogun Assassin" ein, beginnt der Trip ins (Alp-)Traumland. Die Grenzen zwischen Film und Musik verschwimmen zu einer Line. Eben lauschte man noch der Geschichte vom Kampf des Samurai gegen die bösen Ninjas, Sekunden später köpft GZA aka The Genius verbal alle Fake-Emcees. "Fake niggas get flipped / In mic fights I swing swords and cut Clowns." Kein Album der Clan-Geschichte lebt die Philosophie von Rap als Kampfkunst krasser.

Oberhaupt RZA sampelt sich für den Eröffnungsbeat durch Sounds von 60er Soul-Produzent Willie Mitchell, verdichtet die Loops jedoch so extrem, dass der Sound düster wummert und poltert. Die Hook "When the emcees came to live out the name ..." ist eine Routine von ganz früher, die RZA, ODB und GZA bereits seit Jugendtagen auf Straßen-Battles leben. Sie klingt daher – in ihrer hingerotzten Art und Weise - so ungestüm und roh wie eine frühe Pogues- oder Punk-Platte. Ein verwirrter Gedanke stößt durch den nickenden Abiturientenkopf: Der Wu im Kellerstudio, wir im Keller, dubidu.

Doch schnell hat einen der Alptraum aus dem Shogun-Film wieder. "Ohh mad one. We see your trap / You can never escape, your fate / Submit with honor to a duel, with my son / I agree." Und Äonen bevor der betrunkene Meistertrinker "Schwert" nuscheln kann, schießt das "Duel Of The Iron Mic" aus den Boxen. Treibende Drums und ein Piano-Loop aus David Porters "I'm Afraid The Masquerade Is Over" hypnotisieren auch den härtesten Hood-Bewohner. Der GZA duelliert sich hier mit Inspektah Deck und Masta Killa, während sich Ol' Dirty Bastard in der Chorus-Line austobt wie Michael Douglas in den 80ern. Spätestens jetzt schiebt man einen Film wie Lagerarbeiter bei Media Markt.

Es folgen mit "Living In The World Today" und "Gold" zwei Songs, die auf der bekannt düsteren Nackenbrecher-Schiene weiterfahren, jedoch eigentlich nur die folgenden vier zeitlosen Hip Hop-Klassiker ankündigen. Es gibt kein Quartett an Killer-Tracks im Rap, die so dicht und stimmig hintereinander Eingeweide und Zellen zersetzen. Den Anfang macht die einzige gesungene Hook des ganzen Albums. RZA verlangsamt durch Stevie Wonder- und Dramatics-Samples zwar die Schlagzahl auf "Cold World" - man denkt, es gebe eine Pause zum Luftholen - doch der verzweifelt-leidende Refrain von Life lässt diese gleich gefrieren:

"Babies crying, brothers dying, and brothers getting knocked / Shit is deep on the block and you got me locked down / In this cold, cold world."

GZA selbst malt, nach den ganzen Rap-Wortspielen, ein überzeugendes Bild von dem Gangsta-Leben auf den einsamen, schneebedeckten Straßen in Staten Island: "It was the night before New Year's, and all through the fucking projects / Not a handgun was silent, not even a Tec / Outside as I'm stuck, by enemies who put fear / And blasted on the spot before the pigs were there."

So schwindet auch der letzte, klägliche Rest einer vergessenen Sonne hinter sternenloser Dunkelheit. Auch der Keller wird kalt, der Drogenhöhepunkt kehrt sich um. Bei dieser Stimmung ist es keine Überraschung, dass Nick Catucci 2004 für den Rolling Stone Album Guide über "Liquid Swords" schreibt: "On the album, GZA went goth, painting the Wu's street grime black."

Wesentlich klarer und straighter schießt er dann beim tonnenschweren "Labels". Über das
"Don't Leave Me This Way"-Sample von Thelma Houston wütet der bereits 29-jährige Gary Grice ab der legendären Zeile "Tommy ain't my motherfuckin' Boy" gegen die Knebelverträge und Aktionen der Plattenindustrie. Er selbst war Anfang der 90er in die Mühlen der Musikindustrie geraten – ohne erkennbaren Erfolg.

Der Track, in dem Gary sämtliche Plattenfirmen in-, auf- und untereinander reimt, ist ein Paradebeispiel für die durchdacht gesetzten Silben und findet später mit "Fame" (Thema: Hollywood) und "Animal Planet" seine Fortsetzung. Verkopft nennen Leute wie 50 Cent diesen Style. Der G-Unit-Boss sagte einst in einem Interview, dass ihn Method Man vom Clan am ehesten angesprochen hätte, während der GZA zu wenig Swagger gehabt habe, zu wenig Straße gewesen sei.

Nach "Labels" folgt das nun wirklich tödlichste Track-Duo der Rap-Geschichte. Der "Shogun Assassin" lässt im "4th Chamber" noch kurz eine Wahl zwischen Leben und Tod, und dann ziehen neben dem GZA noch der Ghostface Killah, Killah Priest und RZA über ein verzerrtes Gitarren-loopendes Monster vom Leder. Direkt im Anschluss üben sich der Genius und Method Man im "Shadowboxin'", und der Hörer wandert himmelhochjauchzend in die Hip Hop-Hölle. Leben oder Tod, alles egal, ich wähle den Clan!

Das "Only Built 4"-Mafia-Überbleibsel "Hell Winds Staff / Killa Hills", die "Investigative Reports" und der "Swordsman" haben es trotz brutal hohem Standard schwer, im Gedächtnis zu bleiben. Das gelingt dem "Protect Ya Neck"-Nachfolger "I Gotcha Back" besser. Mit Fanfaren attackiert er die letzten Nervenstränge, während der GZA Zeilensahne wie "I'm trapped in a deadly video game with one man" droppt. Der bekiffte Hörer mutiert bei der ganzen Silbenballerei selbst zum Rapper und es schweben seltsame Verse durch den Schädel:

"Living in the world today, I gotcha back, wenn auch nicht auf dem Killa Hill. Wir sind die Swordsman, kämpfen im Duel of the Iron Mic aber nur mit unseren Liquid Swords. Damn! Labels ficken mit Investigative Reports heute uns - Fans und Künstler, wir üben daher lieber Shadowboxing im 4th Chamber. Ganz ehrlich, ich scheiß' auf den Erfolg. Bronze, Silber und Gold habe ich eh nie gewollt, in dieser Cold World. Ich will nur dich, die Basic instructions before leaving Earth."

Wie sang But Alive/Kettcar-Marcus einst: "... und glaubst zum Schluss sogar an Gott." Zwölf Tracks hatte der GZA die Wu-Welt schwarz gemalt, mit dem Schluss-Tune "B.I.B.L.E. (Basic Instructions Before Leaving Earth)", komplett und deep gerappt von Killah Priest, führt er uns von den Drogen weg, aus dem Keller ans (Tages-)Licht.

"Life is a test many quest the universe / And through my research, I felt the joy and the hurt / The first shall be last and the last shall be first / The basic instructions before leaving earth."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Liquid Swords
  2. 2. Duel Of The Iron Mic [feat. Masta Killa, Dreddy Kruger, Inspectah Deck, Ol' Dirty
  3. 3. Living In The World Today
  4. 4. Gold
  5. 5. Cold World [feat. Inspectah Deck]
  6. 6. Labels
  7. 7. 4th Chamber [feat. RZA, Ghostface Killah, Killah Priest]
  8. 8. Shadowboxin [feat. Method Man]
  9. 9. Hell's Wind Staff/Killah Hills 10304
  10. 10. Investigative Reports [feat. Chef Raekwon, Ghostface Killah, U-God]
  11. 11. Swordsman [feat. Killah Priest]
  12. 12. I Gotcha Back
  13. 13. Basic Instructions Before Leaving Earth [feat. Killah Priest]

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT GZA

Gary Grice aka The Genius und weltweit bekannt als der Gza ist das dienstälteste Mitglied des mächtigen Wu-Tang Clans. Kein Wunder, kickt er doch bereits …

20 Kommentare mit 9 Antworten