laut.de-Kritik
Dieser Karneval pumpt nicht durch die Straßen der Favelas.
Review von Rinko HeidrichGaika Tavares liebt die künstlerische Freiheit. Fast logisch, dass er bei Warp unter Vertrag stand. Das englische Kultlabel gab schon Acts wie Aphex Twin, Boards of Canada und Battles eine Heimat, als der Mainstream sie noch als wunderliche Sonderlinge abtat. Die neue Gaika-EP "Seguridad" erscheint beim mexikanischen Label Naafi, das als die lateinamerikanische Antwort auf das Querulantenlabel gilt und die heimatliche Folkore mit neuen Clubsounds paart. Hier, in dem Chaos der wilden Metropolen zwischen Buenos Aires und Mexico-Stadt fusioniert lateinamerikanische Folklore mit den aufregendsten elektronischen Trends.
Lustige Sombrero-Hüte und Schnurrbärte gibt es auf "Seguridad" allerdings nicht. Es wird eher ein Eindruck davon entworfen, wie der tägliche Struggle die Naafi-Künstler beeinflusst, mit denen Gaika auf seiner Tour durch Südamerika arbeitete. "Kingdom Of Slums ft. Lao" ist keine witzige Touristen-Bespaßung in Mariachi-Klamotten. Es klingt durchaus rhythmisch, tanzbar, aber gleichzeitig auch sehr bedrohlich. Die Trommeln treiben den Hörer hinein in eine Schattenwelt, die ein Europäer wohl so nur aus Serien kennt.
Gaika reizte schon auf dem Debüt "Basic Volume" die Überschreitung von Genregrenzen. Die Bezeichnung 'Drill' oder 'Grime' befand er schon damals als nicht zutreffend und zu eingeschränkt. Südlondon klingt eh nur noch selten durch. "Off Saints", ein trauriger Trap-Soul, irgendwo zwischen Travis Scott und Arca, klingt nach futuristischem Trap-Soul. "Ghetto Futurism" nennt Gaika diese Art von Musik, die er gemeinsam mit der argentinischen DJane Tayhana entwarf. Die Bilder einer dauerverregneten Stadt und Neon-Beleuchtung in der Zukunft bekommt man so tatsächlich nicht aus dem Kopf.
Viel Licht gibt es wirklich nicht auf "Seguridad", das erst mal nur digital erscheint. Der Karneval pumpt nicht durch die Straßen der Favelas. Der Brite Gaika bleibt auch tausende Kilometer von London entfernt ein melancholischer Grübler, der die Wave-Ikonen The Cure als Einfluss auf einen Song wie "Nine Nights" nennt. Deren Weltschmerz durchzieht den Song, der immer wieder einen grauen Himmel und ein Leben abseits von Glück beschreibt. So bleibt thematisch doch alles beim Alten, musikalisch dafür aber der weitere Sprung eines interessanten Künstlers, der keinerlei Lust auf Stillstand verspürt.
1 Kommentar
Of Saints und Kingdom of Slums hauen unmittelbar rein. Mal weiter reinhören.