laut.de-Kritik
Der große Gen Z-Pop, abgepaust vom Major-Label.
Review von Yannik GölzDie Hitsingle "ABCDEFU"zeigt, wie Gen Z-Pop für Leute klingt, die Popmusik hassen. Der eruptive TikTok-Hit über einen toxischen Ex hat alle Klischees über die aktuelle Teenager-Generation zu einem stressigen, aber unausweichlichen Ohrwurm zermatscht. Nicht die beste Position, um daraufhin eine Karriere zu entwickeln. Denn Gayle zeigt auf ihrer ersten EP zwar, dass sie durchaus Talent hat. Aber sie wird den Fabrikgeruch nicht los. Sie überwindet den Eindruck nicht, dass sich Republic Records auch einfach ihre eigene Billie oder Olivia konstruieren wollen.
Das fängt schon mit diesem Namen an. "A Study Of The Human Experience". Das hat selbst Lorde 2013 am Fuß der neuen Teenage-Angstiness subtiler hinbekommen. Vor allem, wenn Gayles Pop-Punk-Rebellion doch relativ oberflächlich bleibt. Vieles an ihr wirkt wie die Reißbrett-Vorstellung davon, wie ein rebellisches Mädchen gerade aussehen und klingen sollte. Nein, guck, ich bin das Stereotyp! Denkt gar nicht groß darüber nach, ihr wisst ja, was ihr hier bekommt! Aber alle ihre Vergleichspunkte machen Musik, in der man nicht ganz genau sagen kann, was darauf passieren wird.
So bekommen wir thematisch relativ generische Skizzen aus dem Oberstufen-Melodrama. Ein Song über einen platonischen Freund, der von vornherein nur auf Sex aus war, ein Song über Einsamkeit und Sehnsucht. Gayles ganzer Ansatz krankt daran, dass wir schon eine Legion von Lorde- und Billie Eilish-Klonen durchlebt haben, die über TikTok durchgestartet sind und Pop mit Post-Tumblr-Indie-Ästhetik machten. Der nächste Vergleich für ihre "Study Of The Human Experience" scheint Benee zu sein, die nach "Supalonely" ebenfalls nochmal ein wesentlicheres Stück Arbeit nachliefern musste.
Aber jede ihrer so offensichtlich vergleichbaren Artists hat sich ein bisschen mehr getraut. Gayle sieht quirky aus, ist es aber nicht. Sie ist der kleinste gemeinsame Nenner des Gen Z-Pops, komplett mit generischen, weichgewaschenen Pop-Punk-Versatzstücken und einem Augenzwinkern in Richtung Indie, aber nichts daran fühlt sich nach DIY an. Eigentlich kommt alles musikalisch Ansprechende an dieser EP durch die extrem polierte Produktion zu Stande. Ihre Stimme klingt solide, ja, ihre etwas tiefere Tonlage zeigt, dass sie nicht erst seit gestern singen möchte und man spürt in den besten Momenten, dass sie wirklich Ambition mitbringt.
Aber sonst bleiben vor allem hängen, dass hier wirklich gute Audio-Arbeit geleistet wurde. Die Vocal-Layers im Refrain von "Ur Just Horny" klingen schön, die Gestaltung des Outros von "Kiddie Pool" macht Spaß, auch "ABCDEFU" würde nicht halb so gut funktionieren, wenn es nicht mit allen Finessen einer Blockbuster-Pop-Produktion aufpoliert worden wäre. Und da kommt die Krux: Sollte dieses Musik nicht authentisch und roh sein?
"A Study Of The Human Experience" klingt wie das Zitat eines gerade populären Sounds, das zwar musikalisch dessen pop-freundliche Ideen solide aufnimmt und musikalisch nachzeichnet, aber den eigentlichen Kern komplett verliert. Die Texte wollen persönlich, jovial und nahbar klingen. Die Produktion will das Gefühl von DIY erwecken. Aber man weiß einfach, dass das nicht der Fall ist. Gayle wirkt trotz allem Talent und allem guten Willen wie ein Produkt. Vielleicht schafft nicht mehr auf kommenden Tapes. Aber jetzt gerade wirkt es, als würde ihre Musik in einem engen Label-Korsett entstehen. Und das ist ja wirklich nicht der Sinn der Übung.
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