Es geschieht nicht alle Tage, dass das Wetter die Ursache für eine neue musikalische Entwicklung liefert. Die Entstehung des Rocksteady, der den Ska als dominierende Musikrichtung auf Jamaika ablöste und nach einer kurzen aber intensiven Blütezeit Reggae den Weg ebnete, wird jedoch tatsächlich einer enormen Hitzewelle zugeschrieben.

Der glühend heiße Sommer des Jahres 1966 gibt natürlich nicht den alleinigen Ausschlag. Erst wenige Jahre zuvor, 1962, wurde Jamaika unabhängig. Es herrscht Aufbruchsstimmung im jungen Staat, die Jugend aus den ländlichen Gebieten zieht es in Scharen in die Hauptstadt. Durch die Landflucht rasant wachsende Viertel Kingstons wie Riverton City, Greenwich Town oder Trenchtown entwickeln sich zu sozialen Brennpunkten.

Die Spannungen entladen sich, die Kriminalitätsraten steigen. Wie überall unter ähnlichen Umständen bilden sich Gangs, der Volksmund kennt die jugendlichen Delinquenten als rude boys. Die harten, treibenden Rhythmen des Ska bilden den perfekten Soundtrack. Allerdings lechzt das Genre nach einiger Zeit nach einer neuen Idee - und dann legt sich bleierne Hitze über Land und Dancehalls.

"Die Leute tanzten in halber Geschwindigkeit zu bestimmten Ska-Platten", beschreibt Reggae-Historiker Steve Barrow den Trend. "Die Musik veränderte sich, um sich daran anzupassen. Das war die Geburtsstunde des Rocksteady." Das gedrosselte Tempo wirkt sich beruhigend auf erhitzte Gemüter und Körper aus. Der Offbeat-Rhythmus des Ska bleibt erhalten, wird aber ein wenig abgeschwächt. Ebenso treten die einst so prominenten Bläser in den Hintergrund oder verschwinden ganz.

Das Gesamtbild gestaltet sich harmonischer, der Bass rückt ins Zentrum des Geschehens. Gitarren und vor allem der Gesang tragen die Melodien. Die Impulse, die dem Ska der Rhythm & Blues lieferte, setzt im Rocksteady der amerikanische Soul. Zahlreiche Gesangstrios werden populär. Produzent Duke Reid prägt den typischen Gesangsstil. Er arbeitet mit The Techniques, The Silvertons, The Jamaicans, The Paragons und zahllosen anderen.

Während die Techniques oder die Uniques einen stark an der US-Mode orientierten Stil pflegen, tönen The Etopians oder Desmond Dekker & The Aces deutlich eigenständiger. Als erfolgreiche Solo-Künstler der kaum zwei Jahre währenden Rocksteady-Ära werden unter anderem Alton Ellis, Delroy Wilson, Ken Boothe, Prince Buster, Phyllis Dillon ("the queen of rocksteady") und Derrick Morgan gefeiert.

Des Letztgenannten "Tougher Than Tough" von 1966, bei dem Desmond Dekker und sein Bruder George, der später mit den Pioneers Erfolge feiert, den Backgroundgesang beisteuern, gilt vielen als der erste Rocksteady-Tune. Wie üblich scheiden sich an dieser Frage aber die Geister. "Roy Shirley sagte, er habe 'Hold Them' 1965 aufgenommen", so Steve Barrow. "Aber ich glaube nicht, dass das schon Rocksteady war. Hopeton Lewis kam mit einer Ska-Nummer an, 'Take It Easy'. Er kriegte es auf dem Rhythmus nicht hin, also spielte er es langsamer."

"Sie halbierten die Geschwindigkeit, und als sie fertig waren, sagte irgendjemand: 'That rock steady, man, that's rockin' steady!'" So lautet eine Version der Geschichte. Andere Lesarten führen den Genre-Namen auf einen in Alton Ellis' Song "Rock Steady" beschriebenen Tanzstil zurück.

Die Themenfelder, die der Rocksteady beackert, erweisen sich als sehr übersichtlich: Neben den allgegenwärtigen Lovetunes und schlichter Tanzmusik liefert die Rude Boy-Szene Material genug. Titel wie "Rude Boy Gone A Jail" (Clarendonians), "No Good Rudie" (Justin Hinds & The Dominoes) oder "Don't Be A Rude Boy" (The Rulers) zeigen dies schon bei oberflächlicher Betrachtung. Dabei schwingen sich die einen zu Mahnern und Richtern auf, während die anderen die jungen Kriminellen nicht als Ursache, sondern als Symptom der Misere verstehen und sich mit ihnen identifizieren.

Rocksteady entwickelt sich zum Verkaufsschlager. Zum einen belebt er Ska mit dem ersehnten frischen Wind, zum andern bewirkt das deutlich weniger kräftezehrende Tempo eine dauerhaftere Füllung der Tanzflächen. Trotzdem lässt sich das Rad der Geschichte nicht aufhalten. Ende 1967 bis Mitte 1968 geht Rocksteady weitgehend im frühen Reggae auf.

Technische Weiterentwicklungen schlagen sich im Sound nieder. Zudem gewinnt die Rastafari-Bewegung an Zulauf und trägt ihre politischen, religiösen und philosophischen Inhalte in die Musik. Toots & The Maytals fordern 1968 "Do The Reggay". Der Aufstieg Bob Marleys, dessen Wailers zwischenzeitlich als The Wailing Rude Boys (!) unterwegs waren, trägt den neuen Klang Jamaikas um die Welt.

Viele Basslinien aus Rocksteady-Zeiten pluckern noch Jahrzehnte später durch unterschiedlichste Tunes und werden insbesondere im Dancehall reanimiert. Das Londoner Label Soul Jazz Records macht sich um den Rocksteady verdient, indem es Perlen aus seiner Blütezeit auf seiner "Dynamite"-Reihe wieder auflegt. Noch 2001 liegen Fader Gladiator und FlowinImmo "in der Sonne und rocken steady" ("Das Gift Heißt Geld").

2002 schließt sich ein Kreis: Derrick Morgan braucht für einen Auftritt in den USA eine Backing-Band. Aus zwei kalifornischen Bands formieren sich zu diesem Behufe die Aggrolites, deren erklärtes Ziel lautet: "Wir wollen beweisen, dass jamaikanische Musik mehr zu bieten hat als Bob Marley, Ganja und sich Dreadlocks wachsen lassen." Klar, dass hierbei besonders dem Rocksteady gehuldigt wird. Prince Buster persönlich attestiert den Erfolg der Mission: "Unglaublich, dass eine junge, amerikanische Band den Sound der späten 60er genau so spielt, wie er damals klang."

Siehe: Wenngleich nur eine kurze Episode in der Musikgeschichte Jamaikas: Rocksteady hat bis weit über die Ufer der karibischen Insel hinaus seine Spuren hinterlassen.