laut.de-Biographie
Toots and the Maytals
Frederick "Toots" Hibbert ist eine Legende. Obwohl er nie Bob Marleys Popularität erreichte, ist der 1942 auf Jamaika geborene Sänger unbestritten einer der größten Ska- & Reggae-Entertainer. Selbst im hohen Alter zog es ihn immer wieder auf die Bühne. Nur ein Flaschenwurf aus dem Publikum im Jahr 2013, der neben einer Gehirnerschütterung schwerwiegende psychische Beeinträchtigungen nach sich zieht, zwingt Hibbert zu einer Auszeit von drei Jahren. Er stirbt 2020 im Alter von 77 Jahren.
Seine Karriere beginnt wie bei König Marley in Kingston, Jamaika, wo der 19-jährige Toots 1964 mit den zwei Kumpels Nathaniel "Jerry" McCarthy und Henry "Raleigh" Gordon The Maytals gründet. Der 2004 verstorbene Sir Coxsone Dodd, der Steve Albini des 60er-Ska, produziert die ersten Singles in den berühmten Studio One-Studios, darunter "Hallelujah" und "Six And Seven Books Of Moses". Die Titel lassen es schon erahnen, der religiös erzogene Toots versteht sich von Anbeginn seiner Karriere als Prediger, der seine spirituellen Texte mit dem Soul eines Otis Redding ins gospelige Skagewand kleidet.
1965, im Veröffentlichungsjahr ihrer zweiten Langspielplatte "The Sensational Maytals", arbeiten die Maytals mit den nicht minder hochklassigen Produzenten Byron Lee und Prince Buster zusammen. 1966 gewinnt das Trio ein Jamaican Song Festival mit "Bam Bam", doch anstatt Weltruhm gibt's erstmal 18 Monate (!) Knast für Toots: der arme Kerl wurde mit Marihuana erwischt. So ist zumindest die offizielle Version. Hibbert selbst bestreitet dies und führt Neid und Missgunst als Gründe für seine Verhaftung ins Feld.
Die Auszeit nutzt er jedoch in bestmöglicher Weise: Er komponiert den Welthit "54-46 That's My Number" (auf dem 1969er Album "Sweet And Dandy"), der neben "Monkey Man" zum größten Erfolg der Band aufsteigt. Dabei handelt es sich nicht um eine Telefonnummer, sondern um die Nummer seiner Gefängnisuniform (erst später verrät Toots, dass er die Nummer songdienlich verändern musste). Berühmt wird jedoch die zweite Version mit dem leicht veränderten Titel "54-46 Was My Number", die heute auch noch auf allen Greatest Hits-Compilations verzeichnet ist. 1968 büßt der Ska aufgrund eines Jahrhundertsommers etwas an Tempo ein, was man auch am Maytals-Song "Do The Reggay" entnehmen kann, auf dem Toots nebenbei noch den Genre-Begriff für die gesamte Stilrichtung aus dem Ärmel schüttelt.
Der 1972er Film-Soundtrack "The Harder They Come" mit Jimmy Cliff featuret gleich zwei Songs der Band, die sich etwas bereits in Toots And The Maytals umbenannt hat. Mittlerweile dank des "Funky Kingston"-Albums, das 1975 bei Island Records erscheint, auch in Europa ein Begriff, eröffnen die Maytals u.a. Konzerte für The Who. Die Rockfans teilen jedoch augenscheinlich nicht Pete Townshends musikalische Vorlieben und buhen die Insulaner fast allerorts von der Bühne.
1980 stellt die Band einen Weltrekord auf: "Live" ist das schnellstveröffentlichte Livealbum in der Musikgeschichte. Weniger als 24 Stunden nachdem das Konzert am 29. September 1980 im Londoner Hammersmith Palais über die Bühne geht, liegt die Scheibe schon in den Läden. Was für eine Leistung am Fan. In den 80ern tourt Toots zwar noch mit der Band, arbeitet im Studio aber alleine. Das von Sly & Robbie produzierte Coveralbum "Toots In Memphis" erfährt 1988 eine Grammy-Nominierung für das Reggae-Album des Jahres. Dasselbe schafft Toots zehn Jahre darauf mit "Skafather", auf dem er u.a. den Kinks-Klassiker "You Really Got Me" in die Reggae-Mühle wirft.
Das Album "Knock Out" erhält Gold in Neuseeland, die Single-Auskopplung "Beautiful Woman" gar Platin. In Philadelphia gibt es außerdem zu Ehren seiner musikalischen Errungenschaften einen Toots Hibbert Day, und zwar am 20. Oktober. Im Mai 2004 veröffentlicht der Songwriter mit seiner Band eigene Klassiker, zu deren Interpretation er sich hochkarätige Gäste eingeladen hat. Willie Nelson, Ben Harper, Eric Clapton, Ryan Adams, No Doubt, Keith Richards und viele mehr zollen der Reggae-Legende den verdienten Tribut. Ende des Jahres erhält "True Love" eine Grammy-Nominierung in der Kategorie "Bestes Reggae-Album".
Die Anfänge der Kultband illustriert 2005 die 6-CD-Box "Roots Reggae", die die ersten sechs jamaikanischen Albumveröffentlichungen abzüglich des Debüts zusammen bringt. Kurz zuvor profitiert Toots erneut von seinem guten Draht zu Keith Richards: Nach drei Shows in Holland im Jahr 2003 supporten seine Maytals erneut die großen Rolling Stones, diesmal in San Diego und Anaheim. Nach der erzwungenen dreijährigen Bühnenabstinenz aufgrund des Flaschenwurfs kehrt Toots 2016 wieder ins Live-Geschäft zurück. Die Nachfrage nach Konzerten der inzwischen 74-jährigen Legende ist ungebrochen. 2020 erscheint dann tatsächlich noch mal ein neues Studioalbum: "Got To Be Tough" enthält zehn Songs, die das enttäuschende 2010er Werk "Flip And Twist" vergessen machen. Mit Ziggy Marley singt Hibbert den Kultsong "Three Little Birds" von dessen Vater Bob.
Kurz nach der Albumveröffentlichung wird der 77-jährige Musiker aufgrund von Atemproblemen ins Krankenhaus eingeliefert und in ein künstliches Koma versetzt. Seinen Zustand beschreiben die Ärzte zunächst als stabil. Leider gibt es jedoch kein Happy End: Am 12. September 2020 stirbt der legendäre Musiker friedlich im Beisein seiner Familienangehörigen.
Zeit seines Lebens waren seine Platten oft schwer zu bekommen, die meisten waren überdies Compilations. Am Ende des Lebens schloss sich der mit Trojan begonnene Kreis, als Toots das letzte Werk auf deren Rechtsnachfolger BMG veröffentlichte. Gerade die Aufnahmen der Sechziger sind einigermaßen rar, wenn man sie sich nicht mal auf Jamaika oder in London auf Vinyl besorgt hat. Mit 50 alten funky Aufnahmen wartet Trojan/BMG im Januar 2023 auf und eröffnet damit die "Essential Artist Collection" stilecht mit dem Künstler, der dem Reggae den Namen gab.
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