laut.de-Kritik
Sprechgesang trifft auf experimentelle Popmusik.
Review von Jan EhrhardtNach seinem Debüt "Blausicht" galt Gerard als absoluter Geheimtipp, er wurde als Teil einer neuen 'Deutschrap-Elite' gesehen. Gerard war aber auch schon immer poppig, seine Beats oft elektronisch beeinflusst. Dafür wurde er zwar von Kritikern geliebt, der ganz große Wurf - zumindest in kommerzieller Hinsicht - gelang ihm mit "Blausicht" dann aber doch nicht. In "Neue Welt" steigert er die musikalischen Tendenzen des Vorgängeralbums sogar noch, diese erreichen damit ihren (vorläufigen) Höhepunkt. "Meine Vision ist ja, die 'Gerard-Musik' zu etablieren, ein eigenes Genre zu kreieren. Also war 'Neue Welt' einfach der nächste logische Schritt, eine Weiterentwicklung", erklärt der Österreicher im Hinblick auf seine neue LP.
Und tatsächlich hat man nun das Gefühl, alles ist runder, alles ist besser durchdacht und das Gesamtbild stimmiger. "Aus Angst, zu weit zu gehen, gehen wir nicht weit genug", rappt Gerard in "Panorama". Manchmal tut ein Blick über den Tellerrand gut, manchmal ist es wichtig, seinen Horizont in musikalischer Hinsicht zu erweitern und sich für Neues zu öffnen. Denn dann wird einem schnell klar, dass die doch sehr elektronisch anmutenden Songs "Gelb" oder "Hymnen" keineswegs aus dem Konzept fallen. Sie sind Teile der gesamten Einheit "Neue Welt" und sie machen einen wichtigen Bestandteil des Hörerlebens aus. "Hymnen" avanciert mit waberndem Basslauf und leicht funkigen Ansätzen zum potenziellen Gänsehaut-Moment der kommenden Tour, wenn tausende Stimmen singen werden: "Wir sind immer da, wo oben ist. Diese Hymnen sind wie für uns gemacht." Und Featuregast Maeckes auf "Gelb" passt zu Gerard und zur Atmo des Songs, wie es perfekter nicht sein könnte. Die wunderbare Thematik des Tracks: "Die Probleme von heute sind die Lacher von morgen", stellt klar: Die Schwere und Zweifel aus "Blausicht" sind verschwunden, Hoffnung und Freude treten an deren Stelle. Die Positivität hat mit "Neue Welt" in Gerards Musik Einzug erhalten.
An "Höhe Fallen" werden sich aber zweifelsfrei die Geister scheiden. Hier trifft Elektropop auf eine digital verzerrte Stimme, der Beat könnte aus der Titelmelodie einer amerikanischen 80er-Jahre Serie stammen: Drumcomputer versus Miami Vice-Synthesizer. So erhält der Song eine ganz eigene Färbung, einen ganz eigenen Stil, der nicht schlecht klingt, aber etwas aus dem Rahmen fällt.
Und dieser Rahmen ist bei Weitem nicht eng gesteckt. Neben eindeutig elektronischen Songs mischt der Österreicher Pop- und Hip Hop-Elemente frisch, frei und fröhlich durcheinander. Dadurch ergeben sich herrliche Symbiosen von nicht mehr zu unterscheidenden Einflüssen und Genres, die man in der Musikwelt so wohl kein zweites Mal findet. Mal klingt es mehr nach der Kopfnicker-Welt wie in "Ein Gedanke" oder "Durch Die Nacht" - mal überwiegen die poppigen Elemente ("Goldregen", "Ozean"). Oft bleibt Gerards Musik mit den zur Verfügung stehenden Begriffen überhaupt nicht fassbar. Er erschafft in der Tat ein völlig neues Genre: ein Potpourri aus den verschiedensten Stilmitteln. Absoluter Anspieltipp ist dabei "Umso Leerer Der Laden", das mit seiner Kombination aus dumpfem Bass, einprägsamer Melodie und perfekt ergänzender weiblicher Gesangsstimme ein unglaublich facettenreiches Gesamtbild entstehen lässt, das mit jedem weiteren Durchlauf neue Details preisgibt.
Gerards "Neue Welt" ist definitiv kein Partyalbum, es wartet nicht mit dem neuen Club-Banger auf und es wird auch wahrscheinlich nicht in der Hot-Rotation landen. Aber Gerards "Neue Welt" ist ein Album für die sonnenüberflutete Dachterasse, für das einsame Tanzen im funkelnden Licht einer Discokugel - es ist vor allem ein Album, das erst nach mehrmaligem Hören sein ganzes Potenzial offenbart. Es ist eine wunderbare Symbiose aus experimenteller Popmusik und Gerards monoton rappender Stimme.
5 Kommentare mit 6 Antworten
Spitzenalbum!
Man fühlt förmlich die Arbeit und Leidenschaft die in dem Projekt steckt!
Eigentlich ist nicht "Blausicht" sein Debüt, sondern "Rising Sun".
Schöön!
ungehört 1 punkt
erschreckend, wie lustig du bist
Ist leider kein Witz, sondern mein Ernst
Du sagst es wäre dein Ernst-doch siehts nicht wie du dich mittlerweile entfernst!?
Denk mal drüber nach TheDopeOne!
Gehört 5/5.
Eines der besten deutschen Pop-Alben, die ich je gehört habe.
Gleich gibts wieder Hate, Obacht!
Echt so poppig? Cro-Style?
gar nicht. Eher experimentell, textlich stark.