laut.de-Kritik
Praktikum im Tortured Poets Department.
Review von Yannik GölzTaylor Swifts "Eras"-Tour wird für Teenager-Girls der 2020er ins kollektive Gedächtnis eingehen, wie es die XXL Freshman Class 2016 für Teenager-Boys, die Bape-Hoodies tragen, getan hat. Nicht nur, weil Taylor Swift als messianische Figur damit endgültig beispiellosen Phänomen-Charakter angenommen hat, sondern auch, weil sie ein eigenes Imperium mitgebracht hat: Die neue Generation der Pop-Girlies tummelten sich auf diesem monumentalen Event und schlängelt sich gerade zu kommerziellem Durchbruch: Sabrina Carpenter, Muna, Beabadoobee, Girl In Red, Griff, (kein Girl, aber auch:) Benson Boone: Alles neue Namen, deren Profil durch die "Eras"-Tour immens gewachsen ist. Und viele davon sind ziemliche Glücksgriffe, gute Stimmen, eigene Sounds. Aber es können nicht alles Sieger sein.
Von all den Gesichtern dieser neu entstandenen Generation steht "Eras"-Tour-Absolventin Gracie Abrams der Chefin am nächsten. "The Secret Of Us" klingt, als wäre sie im "Tortured Poets Department" die Praktikantin. Wer Taylor Swift als Original schon nichts abgewinnen kann, könnte im Direktvergleich zu dieser schamlosen Kopie vielleicht ein paar Reize mehr entdecken.
Es lässt sich nicht anders sagen, aber: "The Secret Of Us" ist eins des uninspiriertesten Alben, die man je hören wird. Es ist gottlos langweilig. Wer nicht gerade fünfzehn ist und knietief in seiner ersten Trennung mit Simon aus dem Tennisverein steckt, wird wenig mit diesen melodramatischen Tagebucheinträgen anzufangen wissen. Offensichtlich will Abrams wie ihr Vorbild diese kleinen Episoden aus ihrem Liebesleben einfangen, diese prägnanten Details, diese extreme emotionale Offenheit. Aber am Ende schreibt sie Lyrics wie die hundertelften Reposts auf Tumblr.
Interessanterweise ist Patient Null für Abrams weniger Swift als eine "Melodrama"-Ära-Lorde. Denn auch Abrams hätte gerne Lordes "jung, aber weise"-Ding. Leider müsste man dafür auch weise sein und sich nicht nur weise fühlen. Ein paar Blüten: "Thankful you don't send someone to kill me / I love you, I'm sorry"; "Felt good about you 'til I didn't / Fell hard, thеn I lost your interest"; "You got bored and I felt usеd, now I'm all sad about it". Nein, das sind nicht Prosa-Wikipedia-Zusammenfassungen, worum es in den Songs geht. Das sind die Hooks.
Abrams hat einfach nicht viel Poesie in sich. "Ich bin sad, weil sich ein Boy von mir getrennt hat", vielleicht mit einem kleinen Schleifchen dran. Da ist kein doppelter Boden, keine Bildsprache, keine Motive. Wenn es mal um etwas Konkretes geht, kann man erstens den Taylor Swift-Song ablesen, der es gerne wäre. Und dann zweitens zusehen, wie sie es trotzdem in den Sand setzt. Zum Beispiel, hier einmal Original und Vorbild:
"And you would hide away and find your peace of mind / With some indie record that's much cooler than mine" aus Taylors "We Are Never Ever Getting Back Together" wird auf "Blowing Smoke" zu: "And I find your books pretentious now / At the time, they'd fed the fantasy". Beide Songs handeln davon, sich über einen Ex zu erheben, den man jetzt peinlich findet. Und das Bücher-Detail ist noch eine der besten Punchlines, die Abrams findet. Der Rest des Tracks trottet auf Level wie "You look stupid going out / If she's got a pulse, she meets your standards now". Es ist Mean Girl-Shit, der sich für supersmart hält, obwohl der Kerngedanke offensichtlich ein Spruch aus dem Internet ist.
Long story short: Dieses Album hat keine guten Lyrics. Daran hätte es aber gehangen, denn für die Musik wird diesen belanglosen Algorithmus-Filler sicherlich niemand hören. Nicht mal der eben geroastete Boyfriend würde diese Beats bespringen, denn dieser übellaunige Jack Antonoff-Worship hat überhaupt keinen Puls. Nichtig. Wenn am Ende auf "Free Now" einmal zur Stippvisite die Pop-Rock-Percussions reinkommen, fühlt sich dieser Windstoß an wie ein Orkan. Und sonst? Gitarren, Synthpop, zum Verrecken geschmackvoll, ein Karohemd von Muzak entfernt.
Der entlarvendste Moment ist tatsächlich das große Feature selbst: Taylor Swift kommt persönlich auf "Us." vorbei. Beide sind Songwriter, bestimmt haben sie sich ein cleveres Konzept ausgedacht, beide Perspektiven einzubauen, oder? Nein, im Gegenteil. Es ist einfach Break-Up-Pop, aber konzipiert wie ein großes Rapper-Feature oder ein Marvel-Crossover-Moment. Es ist so beschäftigt mit der Meta-Ebene und wie ikonisch es bestimmt wird, diese beiden Größen auf dem selben Song zu haben, dass vergessen wurde, einen passend guten Song zu schreiben. Eine sehr strapaziöse Babylon-Metapher bietet eine intellektuelle Fassade, nur Substanz gibt es nicht.
"The Secret Of Us" ist Indie als Content-Sludge. Man muss gar nicht darauf eingehen, dass Gracie als Tochter von Star Wars-Schöpfer JJ Abrams der Inbegriff eines Nepo Babys ist – ihre Musik entlarvt sich in ihrer Belanglosigkeit selbst. Von allen potentiellen Zukünften der Popmusik markiert ihre den gerade langweiligsten Fluchtpunkt: Authentizität fetischisierende, Phrasen dreschende, formelhafte Befindlichkeitskacke, aber stets vorgetragen mit dem sehr ernsten Blick eines sehr geschmackvollen Künstlers. Trugschluss, dass es deep sein muss, weil es langweilig ist. Die fruchtloseste, aber irgendwie konsequente Verwertung von Taylor Swift, die statt Pop jetzt auch Indie macht: Ein Genre-Matsch, der weder die Stärken des einen noch des anderen hat.
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