laut.de-Kritik

Bluegrass + New Wave = Blu Wav.

Review von

Mit den Worten "Don't give in, 2000 man" beschwor Grandaddy-Mastermind Jason Lytle das neue Jahrtausend. Während der gefürchtete Y2K-Bug kaum einen Mucks von sich gab, hießen die Kalifornier das Millennium mit einer monumentalen Space-Odyssee willkommen. In den neun Minuten von "He's Simple, He's Dumb, He's The Pilot." schuf die Indierock-Band aus Modesto eine Atmosphäre der Orientierungssuche, die heute aktueller denn je erscheint. Perfekt ebnete der Opener den Weg für das visionäre "The Sophtware Slump".

Dessen Zeitgeist-Reflexion über eine computerisierte Welt schwebte unwiderstehlich auf einer Wolke aus großen, gefühlvollen Melodien, elektronischen Schichten und kreativen Gitarrenströmen. Kein Wunder, dass die Platte mit Radioheads Meisterwerk "OK Computer" verglichen wurde.

24 Jahre sind seit diesem Meilenstein vergangen. 2003 war Grandaddy ein kleines, hinreißendes Sequel namens "Sumday" gelungen. Nach "Just Like The Fambly Cat" löste sich die Band 2006 auf. Lytle veröffentlichte zwei Soloalben, bis er sich 2017 mit "Last Place" wieder dem Grandaddy-Vermächtnis widmete.

Mit "Blu Wav" liefert er wieder ein ganz spezielles Klangkonzeptalbum. In einer Zeit, in der sich große Popstars wie Beyoncé und Lana Del Rey an das Country-Genre anlehnen, präsentiert der Natur- und Technikphilosoph eine klare Formel: Aus Bluegrass und New Wave mixt der 54-Jährige den neuartigen "Blu Wav"-Sound.

Angefangen hat alles in der Wüste. Als Lytle eines Tages durch die Wildnis von Nevada fuhr, erklang im Radio der Country-Pop-Hit "Tennessee Waltz" von Patti Page aus dem Jahr 1950. Grund genug, aufs neue Album gleich sieben Bluegrass-Walzer zu packen. Zwischen zärtlichen Pedal-Steel-Harmonien, einfachen Texten und elektronischen Verzierungen entsteht ein Album, das sich ganz einer melancholischen Atmosphäre verschreibt.

Anders als bei früheren Grandaddy-Platten, auf denen Lytle verschiedene Stimmungen zu bedienen versuchte, setzt er diesmal bewusst auf einen klaren Grundton. "Es gab immer viele Dynamiken – langsame, schnelle, fröhliche, traurige, aber ich bekam nie die Gelegenheit, ein Album zu machen, das eine bestimmte Stimmung hatte", erklärt der Songwriter im Gespräch mit dem Indie-Newsletter "Last Donut Of The Night". Als Paradebeispiel nennt Lytle die frühen Alben der Slowcore-Band Low.

"Blu Wav" generiert einen sehr entspannten und angenehmen Flow. "Cabin In My Mind" liefert mit beschwingter Pedal-Steel-Gitarre und choralem Booster eine verträumte Softpop-Meditation. Zauberhaft durchsetzt die Büroromanze "Watercooler" ihre Fließbewegung mit feinem Humor und einem entzückenden Gitarrensolo. Lytles Herzschmerzgeschichten versprühen einen liebenswerten Charme. Mit akustischer Storyteller-Geste und schwebenden Synthflächen entwirft "Ducky, Boris And Dart" einen bittersüßen Nachruf auf eine Ente, eine Katze und einen Vogel.

Und wenn alle Tracks des Albums das Country-Wave-Konzept so konsequent und doch eigenständig umgesetzt hätten wie das kosmische Abschiedslied "You're Going To Be Fine And I'm Going To Hell", wäre aus "Blu Wav" vielleicht der Meisterwerk-Nachfolger zu "The Sophtware Slump" geworden.

Doch letztlich fehlt es dem allumfassenden Flow an Ecken und Kanten. Alles klingt sehr homogen, dabei aber auch monoton. Spannende Akzente versprechen die Intro- und Outro-Miniaturen sowie die zu kurz geratenen Zwischentracks "Let's Put This Pinto On The Moon" und "Yeehaw Ai In The Year 2025". In ihnen schimmern Spuren einer neuen Space-Odyssee.

Trackliste

  1. 1. Blu Wav
  2. 2. Cabin In My Mind
  3. 3. Long As I'm Not The One
  4. 4. You're Going To Be Fine And I'm Going To Hell
  5. 5. Watercooler
  6. 6. Let's Put This Pinto On The Moon
  7. 7. On A Train Or Bus
  8. 8. Jukebox App
  9. 9. Yeehaw Ai In The Year 2025
  10. 10. Ducky, Boris And Dart
  11. 11. East Yosemite
  12. 12. Nothin' To Lose
  13. 13. Blu Wav Buh Bye

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