laut.de-Kritik
Vom roten zum ergrauten Holzfällerbart.
Review von Giuliano BenassiDer rote Holzfällerbart ist zurück. Zumindest auf dem Tourplakat, das auch 2017 noch aus dem Jahr 2003 stammt. In Wirklichkeit ist Jason Lytles Gesichtsbehaarung nun deutlich gepflegter. Und ergraut. Eigenschaften, die irgendwie auch auf das vorliegende Werk zutreffen.
"Auf allen Grandaddy-Alben ging es um das Scheitern von Beziehungen. Ich habe versucht, ein normaler Mensch zu sein. Ich habe versucht, es so zu machen, wie alle anderen, aber es hat mal wieder nicht hingehauen - also habe ich mich erneut ins Fantasieland zurückgezogen", verlautet der Sänger, Gitarrist und Songschreiber bei der Veröffentlichung des fünften Albums seiner Band, das erste seit 2006.
In den elf Jahren dazwischen kam es zur Auflösung, zu zwei Soloalben (2009 und 2012) und zu einer Reunion für ein paar Grandaddy-Konzerte 2012. Nur wegen der Kohle, erklärte Lytle damals. Er war mit dem intensiven Tourleben nicht klargekommen, litt an Depressionen und hatte sich von Modesto, Kalifornien ins ländliche Montana zurückgezogen, um seine Ruhe zu haben.
Mit seinen ehemaligen Kollegen kam er aber klar. Ohne den Zeitdruck vergangener Zeiten erklärte er sich nach der Bühnenreunion bereit, an einem neuen Album zu arbeiten. "Es war reine Spekulation, was dabei heraus kommen würde, aber es stellte sich heraus, dass es Spaß machte," so Lytle. Er zog erst nach Portland, Oregon, wo ein Großteil der Aufnahmen stattfand, schließlich wieder nach Modesto, wo die Band 1993 zusammengekommen war.
Dass die Entstehung vier Jahre dauerte, hört man dem Album nicht an. Es knüpft sogar an Grandaddys bekanntestes Werk an, "The Sophtware Slump" (2000) und erzählt die Geschichte von "Jed The Humanoid" weiter, dem Gedichte schreibenden Roboter, der sich damals zu Tode gesoffen hatte. Nun ist es sein Sohn "Jed 4th", der mit dem Leben nicht klar kommt und sich auf Entzug befindet. "You know it's all a metaphor / For being drunk and on the floor" dichtet Lytle im Stück.
Die Grunge-Gitarren und raumfüllenden Synthiewelten, die 2000 noch so träumerisch ausfielen, klingen nun deutlich melancholischer. Wie auch Lytles unaufgeregte, hohe Stimme, die nicht mehr kindlich erstaunt, sondern eher müde wirkt.
Natürlich bietet das Album auch gute Momente. "Why would we ever move? / Damned if we do / Dumb if we don't / End up again back home" fasst er im Opener seine bewegte persönliche Geschichte zusammen, begleitet von einem blubbernden Keyboard und einer verzerrten Gitarre. Der Beginn von "Evermore" könnte von Depeche Mode stammen, fiele das Schlagzeug wuchtiger aus, in der Ballade "This Is The Part" ist der Takt leicht unregelmäßig und erzeugt so ein fast schon verstörendes Gefühl, trotz echten Streichern. "A Lost Machine" beginnt und endet als sanfte Klavierballade, bietet zwischendrin aber so ziemlich jedes Instrument aus Lytles Sammelsurium.
Auch wenn Grandaddy draufsteht, ist "Last Place" letztlich ein Eigenwerk. "All Songs written, produced and performed by Jason Lytle", bekundet das Booklet. Dass er wieder gemeinsame Sache mit seiner Band macht, hat auch eine therapeutische Wirkung, wie Lytle selbst darstellt. Auf den mittleren zwei Seiten des Booklets ist links ein Weg zwischen zwei Reihen an beblätterten Obstbäumen und der Aufschrift "We" zu sehen. Rechts sind die Bäume gefällt und verdörrt. Die Aufschrift lautet "Me".
Willkommen zurück, Grandaddy! Schade nur, dass die Tour von März bis Juli 2017 den deutschsprachigen Raum ausklammert.
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