laut.de-Kritik
Truck Stop plus Eagles minus Bad Religion gleich Country.
Review von Ingo ScheelFans von Bad Religion haben sich gerade das Weihnachtsalbum aus den Klamotten geschüttelt, da stellt Vordenker Greg Graffin die in Sachen Variation und Neuland in der Regel kaum geforderten Religionsanhänger ein weiteres Mal auf die Probe. Die rote Weihnachtsmann-Mütze tauscht der 52-Jährige nun gegen einen Stetson. Der Punk ist tot - es lebe Country!
Oder so ähnlich. Schon 2006 hatte Greg stilistisch experimentiert und auf "Cold As The Clay" Folk und Americana unter die Lupe genommen. Nun also Country. "Millport" heißt das Soloalbum - für Graffin eine private Ahnenforschung in Sachen musikalischer Früherziehung.
"Eine der Wurzeln dieses Albums ist die meiner Familie, das geht weit zurück bis nach Indiana und Wisconsin. Auf der Beerdigung meiner Großmutter sangen die Leute in einer alten Dorfkirche A-Capella-Lieder. Ihre Kinder haben mir das Singen beigebracht und die Songs reichten zurück bis in die 30er-, 40er- und 50-Jahre. Und dann war da natürlich noch das Folk-Revival in den Sixties. Das war der Sound, den ich weitertrug, als ich den 80ern dann meine eigene Band gegründet habe", erklärt er.
Dabei ist "Millport" nun nicht das mit Wasser und Whiskey gewaschene Country-Manifest geworden, das man erwarten könnte, sondern vielmehr ein traditionsbewusst ausgerichteter Hybrid: BR-Kompagnon Brett Gurewitz mixte und produzierte, die Rhythmus-Gruppe kommt aus dem Hause Social Distortion, mit denen Bad Religion vor mehr als 35 Jahren bereits zum ersten Mal die Bühne teilten.
Gleich zum Auftakt fährt der Truck mit dem Eagles-Kennzeichen auf den "Backroads Of My Mind", die Steel Guitar jammert wehmütig, und es wird tatsächlich mit derart schmissigem "Yeehaaa" das Solo eingeleitet - trüge man einen Cowboyhut, man würde ihn jubelnd Richung Decke werfen. "Too Many Virtues" stampft o-beinig in dieselbe Kerbe, "Echo on the Hall" triggert umgehend Squaredance-Schritte, und wer mit diesem Zeug nicht groß geworden oder ausgesprochener Fan der Materie ist, könnte flugs in den Ironie-Modus verfallen. Wie Santiano mit Hufeisen oder Johnny Cash in einem Studio in Maschen - man suche sich die passende Allegorie aus.
"Lincoln's Funeral Train" klingt tatsächlich wie die exakte Mitte aus Bad Religion und Social Distortion auf einer Engtanz-Veranstaltung, "Time Of Need" spendet Gospel-Trost, "Sawmill" lässt Banjos flirren und mit dem Rausschmeißer "Waxwings", dem stärksten Track des Albums, verdichtet Graffin sehr vorzüglich großes Piano-Drama, Mandolinen-Sprenksel und fideles Fiedeln zu einer raumgreifenden Ballade im Spannungsfeld zwischen The Band, den Allman Brothers und Tom Petty.
Nun sind Witzchen über Country fast noch konservativer als Country selbst, und wenn ein gestandener Viehzüchter, sagen wir mal, Schlager hören würde, dürfte die Rezeption wohl auch nur Stirnrunzeln hervorrufen. Roots, bloody Roots - immer auch eine Frage des Kontexts. Nehmen wir "Millport" also als das, was es ist: Ein durchweg mit Herzblut und Passion angelegtes Autobiografie-Projekt, das zudem links und rechts vom Highway einige weitere Ur-US-Sounds einsammelt und ihnen ein passendes Plätzchen auf der Fahrt in den OK Coral anbietet. Yeeeeeeha!
4 Kommentare mit einer Antwort
Ist Gaffin sein Country-Name?
Greg Graffin? Kann kein Mensch aussprechen. Klingt als würde man irgendwas hochwürgen. Deshalb: 1/5.
Graffin natürlich absoluter Ehrenmann, was der Kerl für Punk getan hat ist unnormal. Diese Platte ist aber ein guter Beweis dafür, dass seine Stimme echt nur auf Punk/Rock gut klingt. Viel zu shaky für Country, und nicht genug Volumen. Mit den guten Texten und gutem Songeriting komm ich da gutmütig auf 3/5.
*Songwriting
starkes album, das recht deutlich vom social distortion-einschlag profitiert.
melodisch fand ich den vorgänger "cold as the clay" mit killern wie "omie wise" oder "darling, don't be afraid to run" akllerdings noch einen tick intensiver.
bleibt die für mich ewige frage, wann brett gurewitz seinen wurzeln folgend endlich mit nem klezmer-album kontert.