laut.de-Kritik

It's the end of Guns N' Roses as we know it!

Review von

Der erste Studio-Output nach 128 Jahren darf nicht einfach mit einem Gitarrenriff oder einer Schlagzeug-Attacke durchstarten. Gefühlte fünf Minuten wabern einem chinesische Sprachfetzen um die Ohren, die wohl in etwa Folgendes ausdrücken wollen: "Neues Guns N' Loses-Album". Aber dann geht es schließlich doch noch los mit "Chinese Democlacy", der Rock-Offenbarung, dem Album des Jahres etc. pp. Selbstredend ist es genau das nicht, alles andere wäre auch eine mittelschwere Überraschung gewesen.

Das liegt sicher nicht daran, dass in der W. Axl Rose-Band keiner mehr aus dem klassischen Line-Up mitspielt, schließlich besitzen Slash und Co. kein Patent auf gutes Songwriting. Ebenjenes hat Rose aber genauso wenig gepachtet. Willi wills trotzdem wissen, das machen die vierzehn Songs mehr als deutlich. Es mangelt dem Sänger beleibe nicht an Ideen: Der Guns N' Roses-Sound blitzt und blinkt wie ein typischer amerikanischer Weihnachtsbaum. Streicher, Akustikgitarren, bimmel hier, dingelong da, trööt und knarz allerorten. Die Crux: Es passt selten etwas zusammen.

Zu oft greifen die Rädchen nicht, die Axl in scheinbar mühevoller Kleinarbeit angefertigt hat. Der Industrial-Sound aus den tiefen Neunzigern, der die Strophe von "Shackler's Revenge" durchzieht, beißt sich furchtbar mit Bridge und Refrain. Hammer auf Amboss? Nagel auf den Kopf? Ne, nur reichlich daneben. Ohnehin ist Axls Stimme das absolut einzige Merkmal, das noch an vergangene Zeiten erinnert. Dies muss wiederum nicht negativ sein, Weiterentwicklung? Ja, gerne doch. Aber dann bitte im Rahmen vernünftiger Songs. Die sucht man oft genug vergebens.

Der Versuch, mit "Street Of Dreams" entfernt an "November Rain" anzuknüpfen, mündet in Gefilde, die mit Richard Clayderman für Arme noch ganz nett umschrieben wären, wohingegen "If The World" tatsächlich äußerst interessante Ansätze birgt. Mit seiner typischen Intonation kontrastiert Axl den funkigen Rhythmus sehr geschickt. Auch die akustische Klampfe setzt im Zwischenteil nette Akzente. Leider walzt Industrial-Klang diese netten Versatzstücke unsensibel wieder flach.

Ganz doof und platt präsentiert sich die Vergangenheitsbewältigung "There Was A Time". Behalten Strophe und Bridge noch eine nette Balance, kräuseln sich beim Refrain erneut alle Darmzotten. Streicher, Chöre und Pathos verbreiten gegen Ende hin auch nur noch in homöopathischen Dosen Stimmung. Hier blinkt der Widerschein vergangener Glanzzeiten hindurch, bleibt aber im direkten Vergleich so blass wie eine Wasserleiche.

Gesanglich hat Rose es scheinbar immer noch drauf. Die kreischenden Parts rutschen ihm noch ganz gut aus dem Kehlchen. Nur klingt das allzu oft wie das Zappeln eines alten Mannes. Junge, warum nicht mal eine Spur lockerer?

Positives wie das solide groovende "Better" bleiben die einsame Ausnahme. Pianoläufe, die stets ähnliche Rhythmus-Patterns bemühen, unspannende Gitarren-Soli, ärmliche Melodie-Ideen: Axl muss sich die Frage gefallen lassen, was er da eigentlich seit 1991 getrieben hat. Denn das, was er hier vorlegt, kann es beim Barte des Propheten doch wirklich nicht gewesen sein. CD umdrehen? Eventuell handelt es sich hier ja um eine Dual-Disc und der schlechte Scherz der ersten Seite wird von einem Album-Monster auf Seite zwei ausgelöscht? Nein, sorry, da ist auch nichts.

"This I Love" regt den Hörer an, zu weinen, Tränen zu vergießen und ungezügelt seinen Emotionen freien Lauf zu lassen, denn angesichts dieser weinerlichen Grütze heult man dem hinterher, was dereinst einmal Guns N' Roses gewesen ist. W. Axl Rose hat es letztlich doch fertig gebracht, aus einer der explosivsten Rockbands des Planeten ein musikalisches Kabarett zu machen. Wirklich verdammt traurig.

Trackliste

  1. 1. Chinese Democracy
  2. 2. Shackler's Revenge
  3. 3. Better
  4. 4. Street Of Dreams
  5. 5. If The World
  6. 6. There Was A Time
  7. 7. Catcher In The Rye
  8. 8. Scraped
  9. 9. Riad N' The Bedouins
  10. 10. Sorry
  11. 11. I.R.S.
  12. 12. Madagascar
  13. 13. This I Love
  14. 14. Prostitute

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Guns N' Roses

Wie kaum eine andere Band haben sich Guns N' Roses ständig bemüht, möglichst alle Klischees, die man gerne einer Rock'n'Roll-Band andichtet, Wirklichkeit …

355 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Ich weiß, das ist schon mies, das hier jetzt auszugraben.

    ABER: "Better" ist unfassbar fett. Der Rest ist nahezu Schrott.

  • Vor 8 Monaten

    Die definitiv merkwürdigste Platte von Guns N'Roses.

    Was am meisten auffällt sind drei Fazetten:
    - schwaches und unrhythmisches Schlagzeug
    - schlechte und aufgezwungene Gitarrensolos, Slash fehlt eindeutig
    - Axl Rose Kreischstimme ist gnadenlos tot, er hätte sich auf seine tiefere Stimmlage konzentrieren sollen, seine kreischene Stimme klingt extrem überfordert und fast schon peinlich

    Das Songwriting ist in Ansätzen gar nicht schlecht. I.R.S., Better und If the World finde ich gar nicht schlecht und kreativ.

    Bei anderen Songs merkt man, dass Axl quasi Nachfolger einiger Klassiker schreiben wollte. November Rain = Street of Dreams, Madagascar = Civil war, Sorry = Don't cry usw.

    Einige Songs wirken leider viel zu überladen und aufgebläht.

    Insgesamt ein Album mit guten Ideen, aber man merkt dem Album das Fehlen von Steven Adler/Matt Sorum, Slash und Izzy deutlich an.

  • Vor einem Monat

    Mit einigem Abstand, wenn man die ganze Vorgeschichte weglässt und es mehr als ein Axl-Soloalbum denn als GnR betrachtet, finde ich es ziemlich solide.