laut.de-Kritik

Andere Genres, gleiche Attitude.

Review von

Ausgerechnet wenn Hyperpop mit dem neuen Charli XCX-Album Hochkonjunktur im Mainstream feiert, entscheidet sich Haiyti wieder einmal gegen den Zeitgeist und lässt von ihrer Pionierarbeit in der deutschen Umsetzung des Genres ab. Stattdessen verfolgt sie auf "Kings Sagen King" einen für ihre Verhältnisse beinahe innovationsarmen Sound, in dem sie zum Teil auf klassischere Dancehall, Reggae und sogar R'n'B-Elemente setzt - ihre Trapstar-Attitüde hat sie aber mitnichten abgelegt.

Dieser Cut im Soundbild ist nach dem Vorgänger Junky einigermaßen nachvollziehbar. Zwar waren dank Songs wie "Leicht Mit Dir", "Dee" und der unterschätzten Hochgeschwindigkeits-Hymne "Tausendmal Da" durchaus viele Banger vertreten, der Mix aus aktuellem Trap, Hyperpop und Dance verlief sich aber zusehens in eine für ihre Verhältnisse vorhersehbare Richtung. Daher geht Haiyti also einen Schritt zurück, zeigt sich etwas weniger hypermodern, aber dadurch auch überraschend und auf ihre Art erfrischend. Denn was nach wie vor bleibt, ist eine bunte Mischung aus Sounds, nun mit einem klareren Genregrenzen, die bei den unbändigen Vorgängern fehlte.

Auch die Albumlänge zeugt von einer anderen Herangehensweise. Während die Vorgänger mit oftmals über zwanzig Songs vollgestopft waren, finden sich auf "Kings Sagen King" lediglich neun Tracks mit einer Laufzeit von unter einer halben Stunde. Ein weiteres Novum spiegelt sich in der Wahl der Featuregäste wieder: Bisher schlossen sich Haiytis Mission hauptsächlich Underground-Obskuritäten wie 'Doktor Sterben', 'Maluminsee' und 'Crackaveli' an, das neue Album erhält mit Trettmann und Jan Delay hingegen durchaus Unterstützung von großen Namen der Industrie.

Wer diese Gastbeiträge nicht direkt mit Haiytis bisherigen Output vereinbaren kann, liegt richtig. "Kings Sagen King" kämpft wie gesagt ausnahmsweise nicht an der Speerspitze der Trap-Avantgarde, sondern versucht sich an einem etwas konventionelleren Soundbild – das natürlich für den Deutschrap-Kosmos alles andere als konventionell anmutet. Sie bedient sich vor allem an etablierten Genres, die bereits am Rande ihrer Diskografie vorkamen, und stellt sie nun in den Mittelpunkt ihrer Musik. Der Opener kommt mit jamaikanischen Vocal-Chops und Dancehall Drum-Pattern direkt recht untypisch daher, die Texte bleiben aber ihrer stark überspitzen Persona als Trapstar und Gangster-Queen treu: "Doch solange es mich gibt, ist keiner außer mir King / Robbery hat die Krone auf, jetzt brauch' ich nur noch ein Drink" oder auch "Ja, ich geb' dir miese Gun-Shots zu dem Takt / Nein, ich muss nicht ma' teasen, bin criminal, bad".

Der gleichbleibende Anspruch, möglichst prollig aufzutreten, erschließt sich bereits aus dem Albumtitel, der genauso von Bushido kommen könnte. Anders als Bushidos peinliche, bierernste Predigten trägt Haiyti ihre Texte jedoch so augenzwinkernd, überdreht und klischeehaft vor, dass niemand auf die Idee kommen könnte, hier wäre eine klassische Rap-Autobiografin am Werk. Im Grunde nimmt sie seit dem Beginn ihrer Karriere eine ähnliche Rolle wie Kollegah ein, lange vor seiner Schwurbler-Transformation, nur mit mehr Persönlichkeit, viel mehr Charisma und viel, viel mehr musikalischem Verständnis.

"Movie Star" ist sicherlich das Highlight der Platte, auf dem starken Beat hört sich sogar Trettmann ausnahmsweise jung und abwechslungsreich an. Tatsächlich kommt das Album fast ohne wirkliche Tiefpunkte aus. "Raw" klingt nach unproblematischerem Bonez MC-Dancehall, "Tik Tak" liefert mit seinem Pop-Appeal nette Sui Sui Flashbacks. Überhaupt keine netten Flashbacks geben lediglich die Marimbas auf "Grund Zu Gehen", die verdammt nach Capital Bras Pop-Sünden a la Prinzessa klingen. Zwar ist die Hook recht gelungen, der restliche Song mutet aber ungemein flach und weichgespült an. Auch der Dialekt-Part von Stereo Luchs wird zumindest die Meinungen spalten.

Dafür klingen Drum'n'Bass-Spielereien auf "Murcielago" genauso ordentlich wie "Die Nacht Ruft" mit Reggae-Beat und dem soliden Jan Delay-Feature. Am ungewohntesten ist aber der Outro-Track "Blei", auf dem Haiyti über analoge Drums rappt und singt. Die letztendliche Abkehr von den digitalen Drums, die eigentlich einen unverrückbaren Bestandteil in ihren Produktionen darstellen, treibt die alternative Herangehensweise auf die Spitze.

Sicherlich ist "Kings Sagen King" Welten entfernt von einer schlechten Platte, sie ist aber leider auch etwas uninteressanter als Haiytis bisherigen Releases. Das liegt unter anderem am Mangel an neuen Sounds, denn gerade die größeren Experimente, für die sie bei ihren Hörern so geschätzt wird, bleiben hier weitestgehend aus. Die einzelnen Songs sind trotzdem fast allesamt gut, wirklich vom Hocker hauen sie aber nur selten. Die Hamburgerin funktioniert wohl einfach am besten, wenn sie sich keine Grenzen im kreativen Prozess setzt und wirklich unvorhersehbare und neuartige Soundsphären erschließt.

Trackliste

  1. 1. Kings Sagen King
  2. 2. Movie Star
  3. 3. Tik Tak
  4. 4. Grund Zu Gehen
  5. 5. Murcielago
  6. 6. Die Nacht Ruft
  7. 7. Chipglock
  8. 8. Raw
  9. 9. Blei

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Haiyti

MoneyBoy als Wegbereiter, dann seine Zöglinge von der Glo Up Dinero Gang, schließlich die Ausdiversifizierung mit Juicy Gay als homophilem MC und Haiyti …

6 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 7 Tagen

    Leider die Stimmbandoperation immer noch nicht vorgenommen.

    • Vor 7 Tagen

      Leider weiterhin übertriebener Einsatz von Autotune nicht als bewusstes Stilmittel, sondern als Versuch mangelndes Stimmtalent auszugleichen.

  • Vor 7 Tagen

    Yannik hätte 4/5 gegeben, wegen Appeal und genuiner Slapperei und so.

  • Vor 7 Tagen

    Wenn Haiyti abgepersert wird muss ich immer an Volker Pispers denken "(...)Oder ist es am Ende doch der Düsseldorfer Vernisagegänger, der Alles, was er sich nicht erklären kann, für Kunst hält?"

    • Vor 7 Tagen

      Kunst ist ja erstmal vollkommen frei von jedem Qualitätsurteil und jede Definition, die anderes behauptet ist klassistische Drecksscheiße. Deine Wasserfarbenbilder aus dem Kindergarten sind genauso Kunst wie die teuersten Bilder von Jonathan Meese. Genauso wie alles, was auf einer Vernissage ausgestellt wird und jeder Track auf dem Album hier. Mag den Pispers ja, aber da hatter wohl ziemlichen Müll gelabert.

    • Vor 6 Tagen

      Bin nicht der größte Pispers-Fan gewesen und kenne den Kontext nicht. Würde aber mal einwerfen, ihm ging es wohl nicht um eine brauchbare Kunstdefinition, sondern um die Beschreibung besonders penetranter, leicht zu beeindruckender Zeitgenossen. Ich vermute, dieser Menschenschlag würde mit Deiner sehr viel treffenderen Kunstdefinition nicht viel anfangen können.

    • Vor 6 Tagen

      @Caps
      Kam wohl etwas missverständlich rüber.
      Ich teile grundsätzlich komplett deine Kunstdefinition, alles gut.
      Was Pispers hier gemeint und etwas salopp formuliert hat und von mir auch ziemlich aus dem Zusammenhang gerissen wurde (es ging in diesem Segment seines Auftritts um die vermeintliche Leitkultur Deutschlands), war so ziemlich, was Ragism gesagt hat, nämlich dass es Leute gibt, denen jede noch so hauchdünne Subversion ausreicht, um irgendwas zum ganz großen künstlerischen Statement zu überhöhen.

  • Vor 6 Tagen

    Klingt einfach nicht gut und schon gar nicht auf Albumlänge

  • Vor 3 Tagen

    Ich hab Haiyti durchaus gefeiert, aber das hier ist es dieses Mal leider echt nicht. Zum Glück ist es nur 9 Tracks lang und nicht so ein unnötig langes Album wie "Junky", aber das war es an der Stelle auch schon von den positiven Eindrücken. Ich meine, sie hatte da was, als sie vor ein, zwei Jahren in die Richtung von härterem Techno ging. Das hatte Potenzial, sie als Künstlerin, die immer übertreibt halt nicht den klassisch bouncigen Hardgroove mehr in Richtung Harder Styles zu gehen. Aber jetzt macht sie Dancehall?

    Gut, es macht irgendwo ihren Reiz aus, dieses sprunghafte und jedes Album gefühlt ein anderes Genre. Sie soll auch das machen, worauf sie gerade Lust hat. Aber nope, das Album hier funktioniert leider nicht so gut.