laut.de-Kritik
Das Ego ist tot, lang lebe die Liebe.
Review von Magnus FranzNachdem Half Alive im Februar diesen Jahres "Give Me Your Shoulders, Pt. 1" veröffentlichten, haben Fans des kalifornischen Indie-Pop-Trios gespannt auf eine Fortsetzung gewartet. Schließlich sollte "Give Me Your Shoulders" in zwei Teilen erscheinen. Statt besagter Fortsetzung gab es jedoch im September die Nachricht, dass der zweite Part in den Müll gewandert sei. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn tatsächlich postete die Band ein unmissverständliches Video, in dem sie ein Banner mit der Aufschrift "Give Me Your Shoulders, Pt. 2" verbrannte und symbolisch in einer Mülltonne entsorgte. Ein ohnehin bereits seltsamer Album-Rollout wurde noch seltsamer.
Inwiefern all das eigene kreative Entscheidungen der Band oder mögliche richtungsweisende Eingriffe des Labels waren, bleibt wahrscheinlich für immer ein Rätsel. Anstelle von "Give Me Your Shoulders, Pt. 2" kommen wir dafür nun aber in den Genuss von "Conditions Of A Punk", das namentlich zwar keinerlei Verbindungen und Ähnlichkeiten mehr zum ursprünglich geplanten Projekt aufweist, aber inhaltlich dennoch eine Menge davon enthält. Um genau zu sein befinden sich alle Tracks von "Give Me Your Shoulders, Pt. 1" erneut auf "Conditions Of A Punk", das mit 18 Songs und einer Laufzeit von knapp einer Stunde als vollgepacktes Schwergewicht daherkommt.
Demnach warten also einmal mehr bestens bekannte Highlights wie "Summerland", das sich bereits 2021 einen Platz in der hauseigenen Liste der besten Songs des Jahres sicherte, "Back Around", "Move Me" oder "What's Wrong", das Fans als ersten neuen Output nach "Now, Not Yet" inzwischen vor fast zwei Jahren zum ersten Mal hören konnten.
Mit Ausnahme des damals schon ernüchternden und musikalisch einfältigen "Make Of It" brachten all diese Songs Qualitäten mit sich, die sich zwar deutlich von der artistischen Ausrichtung des Debütalbums unterschieden, aber gerade deshalb ihren ganz eigenen Charme offenbarten. Erstmals beschäftigten sich Frontman Josh Taylor, Bassist J. Tyler Johnson und Drummer Brett Kramer in ihren Songs vollumfänglich mit dem Thema Liebe, das zuvor im Kosmos der Band noch keinerlei Rolle gespielt hatte – aus Ehrfurcht, aber auch aus Respekt vor einem derart universellen und doch so unergründbaren Thema.
Demnach überrascht es kaum, dass sich die Liebe in all ihren Formen und Farben nun auch auf "Conditions Of A Punk" übertragen hat: "Wenn 'Now, Not Yet' eher zerebral war, ist dieses zweite Album emotionaler. Es ist das Brechen und Heilen eines Herzens, es ist die Neuausrichtung einer Seele. Es ist Ausdruck einer Trennung und Heilung, es geht um eine Person und Gott in einem Atemzug. Es ist Sommer bis Winter und wieder zurück." Diesmal sei das zentrale Motiv im Kosmos der Liebe jedoch noch einmal konkreter: "Ich akzeptierte die Liebe eher als eine Wahl als als ein Gefühl. Dass Lieben einen sehr schmerzhaften und andauernden Tod des Egos erfordert. Und wenn Liebe ist, das Wohl eines anderen über mein eigenes zu stellen, muss das Ego sterben. COAP erforscht das Verderben der Liebe und den Tod des Punks", schreibt Taylor auf Instagram.
Betrachtet man das neue Projekt des kalifornischen Trios jedoch abseits des inzwischen bestens Bekannten aus den vergangenen zwei Jahren, bleibt die Euphorie, die mit "Now, Not Yet" begann und auf "Give Me Your Shoulders, Pt. 1" überschwappte, allerdings weitestgehend aus. Nur wenige der neuen Songs, die den restlichen Teil der Tracklist auffüllen, erreichen die einstigen Höhen und Gefühle vergangener Tage.
So sind "High Up" und "I'll Stop" die einzigen frischen Tracks, die letztendlich auch in vollem Umfang überzeugen und sofort unzählige Bilder in den Kopf zaubern. "High Up" versinnbildlicht nicht zuletzt die Dichotomie der Liebe mit einem Instrumental, das nur so vor Schwerelosigkeit strotzt, und Lyrics, die Liebe dann wiederum als die "Waffe, um das Leben des Egos zu beenden" identifizieren.
"Sich für die Liebe zu entscheiden, bedeutet in gewisser Weise, den Tod zu wählen", sagt Taylor über "High Up". Doch auch auf "I'll Stop" spielen Gedanken rund um das eigene Ego erneut eine tragende Rolle. Untermalt von einem beißendem Gitarren-Riff und einem stampfenden Beat lebt dieser Gedanke dort allerdings in einem weitaus kompakteren und konkreteren musikalischen Gefilde. Erneut ist die Erkenntnis jedoch der Tod des eigenen Egos, ohne den Liebe niemals vollends aufblühen kann: "Wonder why you'd even stay / And watch me wish that you would change? / I'll stop tryna make you better / There was nothing ever wrong / It's not my job to change you / Just 'cause I can't relatе to."
Der sich stetig wandelnde, kaleidoskopische Titeltrack-Opener "Conditions Of A Punk" verkörpert wiederum sowohl in Wort als auch Sound die verwirrende Natur emotionaler Beziehungen, wobei die verschiedenen sonischen Abzweigungen hier jedoch einfach nicht so recht miteinander harmonieren. Auf der anderen Seite des Spektrums finden sich Songs wie die eintönige Garage-Dance-Nummer "Bad Thoughts" oder das Orla Gartland-Duett "Never Been Better", das einmal jegliche austauschbaren Indie-Pop-Basics von eingängigen Upbeat-Drums bis hin zu quirligen Gitarren-Melodien abarbeitet. In beiden Fälle erzeugen die generischen Aufmachungen dabei mehr ein Gefühl von uninspirierter Einfachheit als von künstlerisch bewusster Einfachheit.
Dass Simplizität aber auch wunderbar funktionieren kann, zeigt sich auf "Brighton". Abseits des etwas deplatzierten, den Chainsmokers ähnelnden Chorus, erzeugt der Track mit Schlichtheit in Form eines simplen Drum-Machine-Beats, eines sanften Synthfundaments und einem mitreißenden Vocal-Flow von Taylor eine warme und geborgene Atmosphäre, die schon immer in signifikanter Verbindung mit dem Auftreten der Gruppe stand.
Auch wenn die Band mit ihrem Output auf "Conditions Of A Punk" zwar immer wieder schwankt, ist zumindest diese Wärme und nahbare Verbundenheit eine nach wie vor alle Songs umspannende Konstante, die auch weiterhin als größte Stärke der Band glänzt. Die verletzliche und offene Authentizität gibt letztendlich auch Songs wie dem bittersüßen "Yosemite", dem poppigen "Nobody" oder dem entspannt akustischen "Call Back" noch einmal einen kleinen Funken mehr Charakter und Überzeugungskraft, der aus ihnen einen Hauch mehr als gewöhnliches Mittelmaß macht. Zwar mögen viele Songs auf handwerklichem Level nicht an das durchgehende Hoch des Debüts heranreichen, doch die Leidenschaft zur einfühlsamen Überbringung ihrer Botschaften hat die noch junge Band keineswegs verloren. In diesem Anlauf fehlt nur der Fokus, um die Botschaften letztendlich auch von Anfang bis Ende musikalisch überzeugend nach außen zu tragen.
1 Kommentar
Wäre ein sauberes 11-Track-Album geworden, wären da nicht diese Fremdkörper von GMYS Part 1. Wenn das Ding in den Müll ging, warum nicht bei der EP belassen und dieses doch recht anders klingende neue Album damit belasten?