laut.de-Kritik
Zieht den Hörer kraftvoll mit wie ein Traktor den Pflug.
Review von Philipp KauseDass das kanadische Art-Folk-Trio Half Moon Run seit seinem Album "A Blemish In The Great Light" höchst umtriebig war, mit 22 Songs in vier Releases, hat nicht einmal jeder Fan mitbekommen (ich jedenfalls mal nicht). Waren die zwischendrin erscheinenden Tracks zwar gut, so laufen sie unter Aussschussware, oder, wie das Label selbst sagt, "Behelfsveröffentlichungen" der gesamten Band oder von Drummer und Multitalent Dylan Philips.
Anders "Inwards Onwards", voll frischer Einfälle, 19 Minuten, intensiv gefüllt. Die Band überlagert hier großartig Hippie-Flair mit new-wave'igem Art-Rock, gibt einen Schuss Jazz-Präzision dazu und innerhalb der klaren Strukturen ihrer Folk-Pop-Songs einen Ticken Ambient.
So entsteht ein Gesamtkunstwerk aus grandios schönen Harmonien. Gut, die Gruppe aus Montreal verziert ihre Miniaturen so schnörkelig wie eh und je, man rechnet bei ihnen mittlerweile stets mit ausgefeilten Sophisticated-Arrangements. Man erwartet romantische Gesänge, mehrschichtige Instrumentierungen und eingängige Melodien. All das liefern Half Moon Run, aber dieses Mal klingt das Resultat auch für Jazz-, Klassik- und Sixties-verwöhnte Ohren relevant und hörenswert.
Half Moon Run überschreiten mit ihrer Textur sogar den Komplexitätsgrad der Avalanches. Da legen sich zusätzliche Streicher über die folkrockigen Kernkomponenten. Geräusch- und Stimmen-Samples mischen sich zum Beispiel in "Fucksgiving" (sic!) wirkungsvoll unter die 'weird'en Spielereien. Während dieser Track verschiedenste ästhetische Grammatiken aus Advanced Electronic Music, Zirkusnummern, Jazzensemble und ethnographischen Aufnahmen nutzt, geht "It's True" mit viel Pathos in der Filmmusik fremd.
Die Nasenbluten-Ballade "Nosebleeds" stellt eine zeternde Mundharmonika in den Mittelpunkt, während Keyboard-Loops rundherum auch wieder sehr viel Ruhe und Geborgenheit ausstrahlen. Trotz aller greller und krass trauriger Momente stimmen die kuschelige Gesamtgestaltung und insbesondere der dreistimmige Gesang recht zuversichtlich.
Essenzielle Zutaten sind die beschwingten Rhythmen und das überbordend dominante Schlagzeugspiel mit enorm treibender, pushender, energetischer Sogwirkung. So bekommen Stücke wie der Opener und Closer, "How Come My Body" und "Tiny" eine sehr verbindliche, entschlossene und führende Kraft zugesprochen. Wenn sie den Hörer ziehen wie ein Traktor den Pflug, lässt sich beruhigt träumen, abschalten, genießen. Half Moon Run scheinen ein bisschen ähnlich wie
Vampire Weekend zu arbeiten, indem sie - das fällt hier mehr als auf den letzten Alben auf - viele besondere Feinheiten in die Gestaltung einarbeiten, indem die Form also die ohnehin starken Inhalte noch einmal sehr unikathaft verpackt und dabei seltsame Kombinationen eingeht.
Hervorzuheben an "Inwards Onwards" ist die denkbar filigrane Drums- und Percussion-Arbeit in den Stücken "On And On" und "Fucksgiving", die sich Frontmann Devon Portielje und Kollege Dylan teilen. Die hochmusikalische Band verfügt über den Luxus dreier Multiinstrumentalisten, die hier eine Welt des Wohlklangs erschaffen. Auch dieses Mal wieder spitze gemacht.
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