laut.de-Kritik

Karl Marx, die Kreissparkasse und Klaas, ein Storch aus Wacken.

Review von

Hannes Wader wirbt damit, dass der ein halbes Jahr jüngere Kollege Reinhard Mey auf "Noch Hier" mitmacht. Für mich liest sich das wie eine Drohung, und tatsächlich macht das französische Duett "Le Temps Des Cerises" einen ungelenken Eindruck. Wer Chansons mag, wird sich fremdschämen. Die Herren verbindet schon Hannes' allererste Tournee, Wader verdankt Mey den Startschuss seiner Karriere. 53 Jahre sind verstrichen, alle Visionen und Utopien ausgeträumt, der vollbärtige Grübler beendet seine Laufbahn, der Bühne nun auch im Studio.

Wader geht wie ein französischer Chansonnier vor. Er malt mit schütterer Stimme Stimmungen. So landet er bei besagter Coverversion von "Le Temps Des Cerises". Die Version des oft gespielten Songs passt sich dem trägen Schlurfen des ganzen Albums an, die französische Aussprache von Hannes und Reinhard wirkt so feinsinnig wie ein Holzklotz.

Immerhin hebt sich der Norddeutsche vom heutigen Anglizismen-Mainstream ab, singt: "Tollkühn, froh, welk, inniglich, Sichel, Telegrafenmast, Graf, Vergnügen" - Wörter, die heute selten werden. Kern von "Noch Hier" ist die Hinwendung zum Ur-Deutschen, gar Deutschtümeln. Dabei foltert der Barde mit einer braven, biedermeierlichen und betulichen Wiedergabe des Volkslieds "Es Dunkelt Schon In Der Heide". Es folgen Mittelalter-Barock-Bezüge in "Herr Aage", gar zu Martin Luther in "Schlimme Träume", deutsche Geschichtsstunde mit Karl Marx in "Vorm Bahnhof", und Hölderlin. Was es mit dieser fragmentierten Beweisführung von Bildungsbürgertum auf sich hat, und weshalb dann gerade Goethe, Kant, Brecht und Gazprom-Gerds Rhetorik-Stilblüten in diesem alemannischen Super-Kanon fehlen, kommt nicht zur Sprache. Ein Albumtitel der Sorte "Was Ich Noch Singen Wollte", strebt eh ins Exemplarische, in Resteverwertung und ins unverbunden Listenhafte.

Was hat er heute auf der to-do-list? Zum 80. - man ahnt es - das Thema 'Alter'. Zuzüglich Untergang und Tod und viel Natur. Außerdem Krieg ("Krieg Ist Krieg"), Eheschließung ("Herr Aage"), Trennung ("Es Dunkelt Schon In Der Heide", "Lob Des Winters"), Postmoderne und paradoxer Neo-Liberalismus ("Vorm Bahnhof"), Zeitgeist-Moral ("Klaas Der Storch", "Le Temps Des Cerises", "Um Eine Bess're Welt Zu schaffen"), landwirtschaftliche Gesichtspunkte. Es existiert ein roter Faden: negative, bittere Gesamtstimmung. Der Senior hat schon abgeschlossen, bereit zum Abtreten. Diese Haltung kann man bewundern, nach dem Motto: Da blickt jemand dem Tod direkt ins Auge. Bricht mit einem Tabu. Oder nervig finden, weil das Geschäft mit dem eigenen Ableben kaum was zu geben hat beim Hören. "Die längst abgelebten Glücksmomente verschwinden, verdünsten aus meiner Erinnerung" lautet es in "Es Ist Vorbei" - haarscharf vorbei an der demenziellen Depression. "Vielleicht spürt man das und gewinnt so den Eindruck, dass ich auf diesem Album 'um mein Leben singe'", kommentiert der Liedermacher im Interview.

Die beiden längsten Stücke sind wie schon oft in Waders Schaffen die gehaltvollsten, fordern gleichwohl den Willen zur Langstrecke und Konzentration auf den Text ein. "Klaas Der Storch" und "Vorm Bahnhof" setzen eine alte Tradition des Niedersachsen fort, und Spoken Word und Schnipsel wie "Krieg Ist Krieg", das Unplugged "In Stiller Nacht", In- und Outro dienen als Verpackungsmaterial und zum Luftholen zwischen etlichen Tracks, die sich jeweils zäh ziehen, bis der Poet zu Potte kommt. Überhaupt hört man über weite Strecken hinweg eigentlich nur Wader zuliebe zu, nicht weil man selbst dran Spaß hätte.

Die Länglichkeit der Ergüsse strengt an, unterhält nur ab und an mal, überzieht, lässt hoffnungslos und deprimiert zurück. Viel Füllmenge steht keinem einzigen Lied gegenüber, das man 'to go' mitnehmen oder mitpfeifen würde. Obwohl in der Theorie eine ganz gute Struktur besteht, ist "Noch Hier" kaum hörfreundlich. Da die Haupt-Message auf den Punkt gebracht lautet, dass alles Mist sei und das Leben eine einzige Enttäuschung, kommen Kritik und Melancholie platt und überzeichnet rüber. "Verstummt sind alle frohen Lieder", singt der vom Leben Enttäuschte, und das wird zur Überschrift über alles. Zynismus, Häme, vorgetragen in trostlos sonorem Gejammer, machen sogar das stärkste Element, die lange Geschichte von Frau Schuster am Hauptbahnhof halb-kaputt und schwächen einen eigentlich wichtigen Ansatz.

Eine ältere Frau bettelt "Vorm Bahnhof" mit einer Blechbüchse um Kleingeld. Der Protagonist, Ich-Erzähler Hannes, rätselt, was er "Vorm Bahnhof" eigentlich wollte. Wollte er einen Burger kaufen? Auf seinem Smartphone steht's aber, er kann nachschauen. Während er so grübelt, kommt ihm das Gesicht der Bettlerin irgendwie bekannt vor. Es gehört zu Frau Schuster, welche in der Kreissparkasse arbeitete, bis vor einem halben Jahr die Filiale dicht gemacht wurde. Hannes gönnt ihr von Herzen, dass sie da unten hockt, weil sie doch seinen Dispo auf Null gesetzt habe. Dann unterbricht der Song für ein Karl Marx-Zitat ohne zu sagen, dass es Karl Marx ist, und fährt mit einigen Überlegungen zum Thema Smartphone fort.

Nach einigem Hin und Her kommt wieder ein Marx-Zitat aus einer Rede, gesprochen, nicht gesungen. So abstrus konstruiert die Story und Songstruktur auch wirkt, sie bleibt haften. Gleichwohl verweigert der Senior auf ganzer Linie, mit der Zeit zu gehen - was völlig okay geht. Aber auch, sich mit unserer Zeit auseinander zu setzen. Auf "Noch Hier" vollzieht sich Einigelung. Somit bezieht sich "Hier" auf die eigenen vier Wände statt aufs gesellschaftliche Umfeld.

Zu loben wäre trotzdem ein bisschen was. Zum Beispiel die super Alliterationen im Textlichen - Kostprobe: "Kein Blättchen mehr am Baume bleibt / das welke Laub häuft sich im Haar/ wo es der Wind zusammen treibt, der Tod geht um." ("Novembertag") Gut macht sich im Prinzip auch die Idee der Klammer zwischen hunderten von Jahren. Die historische Perspektive macht aber die Musik nicht besser und ist fad umgesetzt.

Auch gestalterisch lässt Hannes Wader Luft nach oben. Oft Akustikgitarre, zu oft Streicher, in "Herr Aage" mal Dudelsack. "Vorm Bahnhof" und "Alte Melodie" sind Country. "Um Eine Bess're Welt Zu Schaffen" flicht Rembetiko-Flair ein. In "Es Will Meine Liebste" tönt die Gitarre wie bei "In The Ghetto". In "Plaisir d'Amour" wähnt man sich in der Oper. Einen Song, der ob seiner Melodie toll wäre oder rhythmischen Vibe pflegt, sucht man vergebens. In Summe eine zähe Liedermasse mit wenigen Überraschungsmomenten.

Einziges Glanzlicht: Für "Klaas Der Storch" setzt der Geschichtenerzähler auf eine wunderschöne, warme Instrumentierung mit Tuba und Akkordeon. Letzteres spielt die engagierte Lydie Auvray. Was zunächst wie eine Tier-Parabel anmutet, ist schlicht so passiert. Die wahre Geschichte von einem Zugvogel, der sich im Sommer in Wacken auf einem Bauernhof in seinem Nest von Heavy Metal beschallen lässt und glücklich damit scheint, sich so wohl fühlt, dass er seinen Nachwuchs unbegleitet zum Überwintern in den Senegal ziehen lässt. Klaas bleibt, kommt aber - jetzt sind wir bei der aktuellen Diskussion um Abstände von Windrädern - in den Rotorblättern eines Turbinenturms ums Leben. Naja, auch wieder trist, jedoch stark getextet und musikalisch schon.

Gut, der Liedermacher war nie der konziliante augenzwinkernde Freudenstrahler und keine Gute Laune-Bombe. Dafür hatte er Biss und machte Gleichgesinnten Mut, kritische Positionen zu artikulieren. "Noch Hier", anwesend, aber ohne Biss, dient sein Vortrag der blassgrauen Erinnerung an Waders Bedeutung als Referent der Arbeiterklasse. Haften bleibt altherrenhafte Lakonie und Waders pathosgetränkte, noch staubtrockener gewordene Stimme.

Trackliste

  1. 1. Die Nacht (F. Hölderlin)
  2. 2. Um Eine Bess're Welt Zu Schaffen
  3. 3. Novembertag
  4. 4. Es Dunkelt Schon In Der Heide
  5. 5. Es Ist Vorbei
  6. 6. Le Temps Des Cerises
  7. 7. Vorm Bahnhof
  8. 8. In Stiller Nacht
  9. 9. Alte Melodie
  10. 10. Plaisir d'Amour
  11. 11. Klaas Der Storch
  12. 12. Herr Aage
  13. 13. Krieg Ist Krieg
  14. 14. Schlimme Träume
  15. 15. Lob Des Winters
  16. 16. Es Will Meine Liebste
  17. 17. Noch Hier
  18. 18. An die Parzen (F. Hölderlin)

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4 Kommentare mit 12 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Hannes Wader. Ein paar seiner alten Sache kenne ich, meine Kritik richtet sich tatsächlich an die Art der Kritik selbst: Sehr schwierig zu lesen, teilweise sogar anmaßend. In einer angespannten Lage ein Album zu veröffentlichen, welches nachdenklich, gar trübe ist? Wie man es schafft, daraus einen Kritikpunkt zu generieren, ist hier nachzulesen. In schwierigen Zeiten wünscht man sich ja bekanntlich unbeschwerte Durchhaltelieder. Aber in zeitgenössischer Kunst ist man ohnehin schon so weit, so manches einfach mal aus einer ganz rosigen und flauschigen Perspektive zu betrachten, denn alles eine Frage des Blickwinkels.

    Da muss offenbar schon der Tod an die Tür klopfen, um wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzufinden. Und selbst die Verarbeitung dieser Station auf der "To-Do-Liste" wird hier besonders einfühlsam aus junger Feder als Tabubruch vom Tisch gewischt. Ja, in unserer Zeit wird man ja wieder öfters mit diesem Thema konfrontiert. Das nervt. Und später dann die Erwähnung von Zynismus in dieser Rezension.
    Da können Porcupine Tree froh sein schon zu Lebzeiten wie aus einer Laune heraus auf den gleichen Seiten bereits zur Legende erklärt zu werden. Wer weiß, wie Steven Wilson - möge er lange leben und Musik machen - mit 80 Jahren mit dem Tod umgehen und musikalisch verarbeiten würde. Man bangt und hofft bereits in den Redaktionen, er möge sich auf eine richtige Weise damit befassen, also nicht zu negativ - am Besten gar nicht. Und natürlich auch, dass er in diesem Alter noch wie ein Uhrwerk funktioniert und bei Talentshows immer noch alle an die Wand spielt und singt. Am Besten vorher schon aufhören.

    Zu negativ ist am Ende ist auch die Punktvergabe nicht, trotz dieses offensichtlichen Verrisses bei gerade mal einem positiv erwähnten Lied (17 weitere sind auf diesem Album vertreten). Mit der Vergabe von zwei Punkten ist es gelungen, dieses Album in die Nähe der Mittelmäßigkeit zu rücken. Aber es kommt auf Inhalte an. Damit ist die Punktevergabe auf dumpfes Clickbaiting reduziert. Hannes Wader wird es sicher egal sein, der ist gedanklich vermutlich bei ganz anderen Themen, vielleicht unerlaubt bedrückenden Themen.

    • Vor 2 Jahren

      In der Tat eine sehr despektierliche Abhandlung. Aber immerhin hat sich der Autor mit dem Werk auseinander gesetzt. Das ist auf Laut.de ja nicht immer so.

  • Vor 2 Jahren

    Ist "Vorm Bahnhof" eigentlich auf dem Album?

  • Vor 2 Jahren

    Ein trauriger Verriss. Den hat der größte noch lebende Protestsänger deutscher Zunge nicht verdient.

  • Vor 2 Jahren

    Guter Kritiktext von Philipp Kause. Mit Ironie und Humor.
    Das Album "Noch hier" kommt alles in allem nicht so positiv rüber. Sowohl von den Texten als auch von der Musik und der etwas müden Stimme her.
    Das muss nichts mit dem Alter des Interpreten zu tun haben. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass gerade auch ältere Musiker gute und mitreißende Alben rausbringen können.
    Richtig ist auch das oben erwähnte "Oft Akustikgitarre, zu oft Streicher". Ich selbst bin ohnehin kein Fan der Geigendudelei. Lieber viel Gitarre, Klavier, Blasinstrumente, mal E-Gitarre, oder mal Cello. Es gibt so viele tolle Instrumente.
    Der auch schon ältere K. Wecker zeigt auf seiner aktuellen Scheibe "Utopia", was hier möglich ist. Auch in den Textaussagen, wo Hoffnung und das Kämpferische nicht zu kurz kommen.
    Natürlich hat Hannes´ "Noch hier"-Album auch Gutes und manche kernigen Aussagen & Zitate. Doch vielleicht hört man "Noch hier" lieber wenn man melancholisch oder gerade traurig ist. Oder wenn es in Richtung "Ende" geht.
    Ich bevorzuge den Wader, den ich als wunderschön singender und im Inneren (noch) brennender Barde (egal wie alt einer ist) kenne. Der mehr nach vorne guckt und mehr das Ganze im Blick hat - und weniger sich selbst.

    • Vor 2 Jahren

      @Bluesy Helle:
      "Ich bevorzuge den Wader, den ich als wunderschön singender und im Inneren (noch) brennender Barde (egal wie alt einer ist) kenne. Der mehr nach vorne guckt und mehr das Ganze im Blick hat - und weniger sich selbst."
      Wader war in seinen Liedern eigentlich immer ein grüblerischer, eher in sich gekehrter Zeitgenosse mit Hang zum Pessimismus und Sarkasmus. Gebrannt hat er vielleicht in den späten 70ern/Anfang der 80er nach seinem Eintritt in die DKP bis hin zur Ära Gorbatschow, sprich: etwa '77 ("Arbeiterlieder") bis gerade noch spürbar '85 ("Glut am Horizont"). In den gut zehn Jahren vor und den knapp 40 Jahren nach dieser Ära findet sich vielleicht noch etwas mehr meist galliger Humor sowie einige zeitkritische Spitzen, aber das Gros halte ich nicht für wesentlich anders als das, was er heute vorlegt ... (mit der Einschränkung, daß das aktuelle Album erst gestern bei mir im Briefkasten lag und ich bislang nur zwei Titel gehört habe), jetzt mal von der Qualität seiner Haftcreme und der einen oder anderen Schramme in der Stimme abgesehen.
      Gruß
      Skywise