laut.de-Kritik

Für alle, die noch was merken!

Review von

Endlich neue Songs von Hans Söllner? Leider nicht! "Zuastand 2" ist nach "Mei Zuastand" der angekündigte zweite Teil seiner Werkschau. Kultsongs und fast vergessene Perlen der letzten drei Jahrzehnte komplett neu eingespielt und eingesungen.

Von Galileo bis Dylan sind es stets die Häretiker, die unsere Welt voran bringen. So geht der an einem 24. Dezember geborene und doch so gar nicht zum Heiligen taugende Singer/Songwriter den Weg des Ketzers und schenkt sich zum Wiegenfeste und uns zu Weihnachten ein herrlich unbequemes Präsent. Eine perfekte kleine Stinkbombe unter dem Baum, für alle, die man liebt, für alle, die man hasst - für alle überhaupt, die noch was merken.

"Die Zustände bleiben immer dieselben, nur der Rhythmus ändert sich." So Söllner über das Konzept. Und die Musik ändert sich in der Tat recht deutlich. Die subversive Wanderklampfe bleibt vorerst eingemottet. Stattdessen entwickelt Söllner die perfekte Methode zur Frischzellenkur. Erst selber ab ins Studio, um die Tracks zur Akustischen mit leicht geänderter Nuancierung einzusingen. Danach verlässt er die Bühne, um nicht zum eigenen, lahmen Zweitaufguss zu mutieren.

Ab diesem Moment schlägt die Stunde seiner kongenialen Band Bayaman'Sissdem. Peter Pichler arrangiert, komponiert und spielt dann mit Stefan Hofer und Manfred Puchner die Songs mit einigen musikalischen Gästen neu ein. Sehr guter Schachzug. Befreit von der Überpräsenz des Meisters erhalten die Tracks eine gänzlich neue Deutung. Mehr Interpretation, weniger Selbstcover. Sehr gut!

Die neue Bandbreite der alten Klopper ist erfreulich weit. Es gibt sparsam melancholische Rhythmen ("Des Kloane Lied Vom Frieden"), etwas Country ("Ein Schritt Hintre"), nahezu kammermusikalischen Reggae ("Hey Staat"). Dazu als roter Faden ein Sammelsurium bayerischer Folk-Errungenschaften. Maultrommel, Zither, Okarina, Holzlöffel und Schellentrommel zeigen den Songs, wo der Alpenhammer hängt.

Mit hypnotischer Eindringlichkeit deklamiert der Schamane aus Bad Reichenhall in "Universum" zum zurückhaltenden Lavastrom seiner Combo: "Ihr könnt mich einsperren in einer Kammer, die so finster ist wie euer Kopf. Der Geist ist frei wie der Wind." Dieser sensiblen Atmosphäre kann man sich nicht entziehen. Gut geflüstert, alter Löwe!

Nicht weniger eindringlich klingt die wütende Seite dieses zornigen Humanisten. Sein ewig aktuelles Mantra: "Leute sind nicht motiviert, wenn sie nicht das Gefühl haben unmittelbar selbst betroffen zu sein. Selbst wenn einer dann mal keine Arbeit hat und im Schuldensumpf steckt, fühlt man sich nicht betroffen, sondern schämt sich und kommt erst gar nicht auf die Idee dagegen anzukämpfen."

Dieses Credo spiegelt er im lässigen Tango-Reggae "Steh Auf" wider. Das Lied ist ein echter Höhepunkt und verdienter Arschtritt für Millionen bräsige Sofademokraten. Als Pointe gibt es niedliche Mädchenvocals, die unerbittlich wachrütteln. "Steh auf, wenn dir irgendwas ned passt. Aber na, bleib hocka, bleib hocka auf dem fetten Arsch. Du fette Sau!"

Dem ist kaum noch etwas hinzu zu fügen. Sicherlich ist es für das Publikum jenseits des Weißwurstäquators nicht immer leicht, die eigenwillige Mundart zu dechiffrieren. Besonders als Nordmann bräuchte man nicht selten ein Vokabelheft. Aber Söllners einzigartige Darbietung lohnt jede Mühe. Weiterhören mit den anderen großen deutschen Freigeistern wie Strom und Wasser, Ringsgwandl oder Konstantin Wecker.

Trackliste

  1. 1. Steh Auf
  2. 2. Blues
  3. 3. Der Huaba
  4. 4. Des Kloane Lied Vom Frieden
  5. 5. Hey Staat!
  6. 6. Drahdiaweng
  7. 7. Mi Schatt Da Scheriff
  8. 8. Mir San Nu So Richtige Bayern
  9. 9. Ein Schritt Hintre
  10. 10. Universum
  11. 11. A Trauriga Dog
  12. 12. Mama Ziag Dei Schürz'n Aus
  13. 13. Koana Von Uns
  14. 14. Weihnachten Steht Vor Der Tür

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