laut.de-Kritik

Optimismus mit dem Vorschlaghammer.

Review von

2018 noch goss er mit "Kein Millimeter nach rechts"-Parolen literweise Öl ins Feuer der nationalen Kommentarspalten. Viereinhalb Jahre danach ist die zweitlängste Albumpause der Ära Herbert Grönemeyer beendet. Auf den "Tumult" folgt Optimismus mit dem Vorschlaghammer.

Denn lyrisch zeichnet Herbert auf "Das Ist Los" abermals ein Bild der globalen Unruhe: Klima, Kriege, Kommunikationskollaps. Auf der Suche nach seiner Rolle in alldem kommt er zum wackeligen Ergebnis: Herbert, der Einiger. Der besonnenheitspredigende, unverbesserliche Optimist – denn aus großem Airplay wächst große Verantwortung.

Auf die wenig aneckende Schema-F-Vorabsingle "Deine Hand" folgt die seit Dekaden für Tracklistposition 2 gebuchte Tanznummer – und in diesem Fall auch gleich der Titeltrack. Als erfahrener Trettmann-Featuregast wirft sich Herbie auf "Das Ist Los" völlig ungeniert in halb gerappte Schlagwortwellen, die dem etwas steifen Offbeat zumindest doch noch Groove einhauchen.

"Gucci, Prada, Taliban / Schufa, Tesla, Taiwanwahn" tönt es da, und plötzlich weiß ich doch wieder, was ich 2018 mit der Headline "Krampfhaft jung, unfreiwillig cool" ausdrücken wollte. Denn wer "Elektro, Punk und Sturm und Drang" auf "Autokratenwiderstand" reimt, tänzelt so derart schamlos über den Boomer-Cringe-Abgrund, dass sich selbst ein "Was ist los? Das ist, was ist really los!" mehr noch mit einem grinsenden Kopfschütteln als mit einem möglicherweise verdienten Facepalm quittieren lässt. Genau dann ist Grönemeyer in seinen Upbeat-Momenten schon immer am besten gewesen: Wenn einem als Hörerin oder Hörer auf einer dreiminütigen Karussellfahrt vor lauter Ab- und Zuneigungswechseln ganz schnell kotzübel wird.

Ein paar mehr solcher rezipientenseitigen Liebe-oder-Hass-Momente hätten "Das Ist Los" noch mal enorm aufgewertet. Denn insbesondere auf musikalischer Ebene hat sich das Gespann aus Grönemeyer und Haus-und-Hof-Produzent Alex Silva mittlerweile festgefahren. Zur Erinnerung: Ihren Anfang nahm diese Allianz mit dem 1998 erschienen "Bleibt Alles Anders". In der Rückschau auf das Elektro-Beat-lastige Album wird klar: Besser, man hört Gröni-Alben ihr Alter klar und deutlich an, als etwaige Jahresringe wie hier einfach von vornherein mit einer charmebefreiten, flachen Produktionsweise wegzufräsen.

Von Trip Hop und House ist im Promotext die Rede, aber das Freie, die Synkopen, die Vertonung der besungenen Unruhe sucht man auf "Das Ist Los" meist vergebens. Statt Mut zur Wall Of Sound zu beweisen, stehen gerade die vorwärts gerichteten Nummern viel zu fest im Fundament, um aus ihren luftleeren Pluckern-und-Plätschern-Beats auszubrechen. Das Vakuum, das Produktion und die häufige Abwesenheit des Bandsounds erschaffen (von der 2011er-"wieder mehr Gitarren"-Devise hat man sich längst verabschiedet), gilt es nun natürlich zu füllen.

Dabei stehen diese minimalistischen Elektrobeats Grönemeyers Balladen bekanntlich aber ja immer gut zu Gesicht. "Der Schlüssel" ist so ein Moment: Ein kopfhörerwürdiger Blick aufs Unglück mit stoischer Ruhe und sanfter Hookline. Sein Einfühlsamkeitsvermögen im Angesicht von Fluchtschicksalen hat Grönemeyer schon früher bewiesen ("Onur", "Roter Mond") und auch hier "keimt, wächst und sprießt" natürlich wieder "Urkraft" und Hoffnung – kontrastiert vom etwas düsteren (tatsächlich!) Trip Hop-Beat mit Snareclicks und Atemgeräuschen.

"Urverlust" paart alte Themen mit wellenförmigen Monosynths und fällt damit genauso in die Kategorie der gewohnt feinfühligen Grönemeyer-Balladen. In diese Schublade gehört auch "Tau", das jedoch ebenso ein paar Haus-Maus-Reim-Schnitzer verbucht wie die Synth-Pop-Vorabsingle "Angstfrei". Auf der kommt der versprochene Optimismus zwar abermals raus, verfängt sich jedoch schnell wieder im klinischen Soundkorsett. Das stößt gerade zum Albumende noch mal richtig fies auf: "Turmhoch" klingt wie das Learning aus Jahren der vergeblich nach Verjüngung lechzenden Felix Jaehn-Kooperationen – aber allmählich dämmert einem, was hier mit "House" gemeint sein soll.

Der Grund, warum Grönemeyer und Silva für "Bleibt Alles Anders" (1998) eine gehörige Portion Mut attestiert wurde, war ganz klar der Blick über den Tellerrand. Ja, natürlich dauert es ein paar Jahre, bis musikalische Trends in Deutschland ankommen – wo aber 1998 hierzulande nach 1995 klang, da klingt "Turmhoch" 2023 mehr nach 2010.

Zum Glück versteckt Herbert aber direkt davor noch den Lichtblick des Albums, der sich sein Plätzchen auf den Alben der Hochphase wohlverdient hätte: "Behutsam" hätte von vornherein die Single sein können, die küchenradiokonsumierende "Stück Vom Himmel"-Gefälligkeitshörer und Neunziger-Aficionados gleichermaßen befriedigt hätte – und das ganz ohne bittersüßes Leid im Blick: "Froh, wenn dein Wort klingt / Froh, wenn dein Herz springt".

Welchem Familienmitglied die Nummer auch gewidmet sein mag, Dankbarkeit und Zuneigung sind rein und echt ("Einem sorgenvollen Blick gabst du die Zuversicht zurück") – und sie treibt Grönemeyer kompositorisch zurück in die Höchstleistungen. Die Streicher schleichen Stück für Stück ins Bild, dann endlich wieder dieser cineastische perfektionierte Bruch in der Bridge. Danke Herbert, more of the same ist auf Album Nummer 16 manchmal einfach am schönsten.

Gerade im Vergleich zu "Tumult" liefert Grönemeyer 2023 weniger Hits, aber auch deutlich weniger Filler – weg vom zeitgenössischen "Dauernd Jetzt"-Pop, hin zum fragezeichenbehafteten Mikrokosmos. Vielleicht braucht es die aber ja auch gar nicht. Denn wie Herbert in "Eleganz" rät: "Such in deinem Leben nicht dauernd Sinn." Nützt ja dieser Tage eh nichts.

Trackliste

  1. 1. Deine Hand
  2. 2. Das ist los
  3. 3. Herzhaft
  4. 4. Tau
  5. 5. Genie
  6. 6. Der Schlüssel
  7. 7. Angstfrei
  8. 8. Urverlust
  9. 9. Eleganz
  10. 10. Oh Oh Oh
  11. 11. Eine Tonne Blei
  12. 12. Behutsam
  13. 13. Turmhoch

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8 Kommentare mit 27 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Seltsam - jetzt wo in Deutschland "Kinder an der Macht" sind wie von ihm gefordert, zieht er es vor in der UK zu leben... hat wohl doch auch keinen Bick auf rotgrüne Bevormundung.

    • Vor einem Jahr

      was meinst du damit genau? hätte den hebbert eigentlich eher als "systemmusikant" eingeordnet

    • Vor einem Jahr

      Bist du jeder oder Dr. Seltsam?

    • Vor einem Jahr

      Hallo jeder,

      da bist du nur ganz knapp an der Wahrheit™ vorbeigeschrammt!
      - Kinder können schlecht an der Macht sein, wenn sie erst ab 18 Jahren mandatsfähig sind.
      - Grönemeyer lebt seit 2009 wieder in Deutschland.
      Vorsorglicher Fun fact für wer's braucht: auch in seiner Londoner Zeit hat er den deutschen Fiskus bedient. Sachen gibts.

      Und? Onkel Herbert rehabilitiert?

    • Vor 11 Monaten

      o.k., wusste ich tatsächlich nicht dass der wieder zurück ist, verfolge ihn ehrlich gesagt nicht mehr wirklich. Die Kinder an der Macht sind solche wie die Hupfdohle Emilia "ich hab niemanden geküsst" Fester und Konsortien. Man ist bekanntlich so alt wie man sich benimmt und hat das Geschlecht wie man sich grad fühlt und druckt Geld wies einem gerade passt und wenn der Strom zu teuer ist subventioniert man ihn halt und schaltet Kraftwerke aus. Also eben: Kinder an der Macht...

    • Vor 11 Monaten

      Verpiss Dich wieder!
      Niemand will Dich hier!

      Wie ich Euch Drecksäcke leid bin!

  • Vor 9 Monaten

    HG hat ein geniales Album geschaffen, welches in die Kategorie Meilenstein gehört. Wen interressiert die Brille und der Wohnort, es geht um Texte und Musik. Reimmöglichkeiten sind in jeder Sprache begrenzt, HG versteht es jedenfalls, Gedanken und Gefühle auszudrücken und Hörerinnen und Hörer tief zu bewegen. Mit "Das ist los" hat er es mehrmals geschafft, mich zu Tränen zu rühren, mich zum Tanzen zu bringen und mal wieder konzentriert zuzuhören. Dies gelang zuletzt Wilco mit "Cruel country". Danke an eine großen Künstler für diese Album und viele andere bewegende Songs.