laut.de-Kritik

Von dunklen Wäldern, okkulten Ritualen und blutrünstigen Druiden.

Review von

Nach dem stark The Doors-lastigen "When We Are Death" (2016) sowie dem von akustischem Folk Rock getriebenen "All Tree" (2019) zelebrieren Hexvessel auf ihrem fünften Album "Kindred" erneut Wandelbarkeit und verschmelzen die Ausprägungen der beiden Vorgänger. Dazu fügen sie hier und da noch eine gute Prise "No Holier Temple" (2012) hinzu. Nach der mit "Kindred" vollzogenen Rückkehr zur alten Familie Svart Records liefert die Mannschaft um den Wahlfinnen Mat "Kvhost" McNerney ein dunkles, überaus obskures Album von außerweltlicher Anziehungskraft, ähnlich einer verwunschenen Waldlichtung im unheilschwangeren Schein eines vollen Mondes.

Dass sich auf der Platte inhaltlich wieder alles um spirituell angehauchten, mystischen Naturalismus dreht, macht nicht nur das von Thomas Hooper (u.a. Neurosis, Converge) und Richey Beckett (Metallica, Foo Fighters, Robert Plant) thematisch einführend entworfene Cover-Artwork klar. Auch der starke Opener "Billion Year Old Being" zeugt davon direkt und unmissverständlich. Verse wie "Statues planes and skycrapers / are underneath the seas and rivers /.../ then all the temples to the elements / will be made from human skeletons" zerstreuen jegliche Zweifel daran, dass Hexvessel hier die Macht der Natur und die Langlebigkeit von Mutter Erde der kurzen, vergänglichen Lebensspanne menschlicher Existenz gegenüberstellen.

Musikalisch bewegen sich die Finnen durch einen ausgefuchsten Mix aus progressivem Folk Rock à la Jethro Tull oder Fairport Convention, gepaart mit modernen Ansätzen in Richtung von Opeths "Heritage" sowie fuzzig-doomigen Anklängen der Marke Witchcraft und Blood Ceremony. Ein besonders herrliches Flair verbreitet vor allem das nach 70ern schreiende Duell von fiebriger Sologitarre und anschwellender VOX Continental-Orgel in der Mitte des Songs. Einen besseren Einstieg hätten Hexvessel kaum finden können.

Ähnlich retrospektiv groovend, jedoch mit stärkeren Psychedelic Rock-Vibes kommt das bluesgetriebene "Demian", eine Hommage an Hermann Hesses gleichnamige Geschichte über den rituellen Weg eines Heranwachsenden zum selbstreflexiven Erwachsenen – inklusive der erkenntnisproduzierenden Auseinandersetzung mit den dunklen, okkulten Mächten der Welt. "In gewissem Sinne ist 'Demian' die wahre Bedeutung all dessen, was wir mit Hexvessel machen. Es geht darum, den Sinn der inneren Heiligkeit zu finden und die in uns allen steckende Magie des Universums zu entdecken. Es geht darum, sich den Weg auf die andere Seite zu bahnen", kommentiert Frontmann McNerney die Bedeutung des Tracks für die Band.

Aus Coils "Fire Of The Mind" machen die Finnen ein leidenschaftliches, wunderbar fragiles Akustik Folk-Lamento voller Dunkelheit und Düsternis. Statt den Song aber nur zu covern, geben sie ihm mit schwermütigen Violinen und luftigen Percussions eine balladeske, leicht 'mittelalterliche' Note, die hervorragend zum Sound der Naturmystiker passt. Das Stück nahmen die Finnen bereits im Dezember 2018 live in der psychiatrischen Klinik Pitkäniemi mit nur einem einzigen Take auf.

Das gespenstische "Bog Bodies" zieht den Hörer mit seinen an den unheimlichen Dark Jazz von Bohren und der Club of Gore erinnernden Trompeten und dem Ambiente der nächtlichen Stimmung eines David Lynch-Soundtracks in den Bann. Langsam aber sicher geht es weiter in dunklen Tiefen eines schaurigen Waldes zu den blutigen Opfersümpfen verborgener Druiden. Die aufgebaute Stimmung bereitet den Weg für das von der griechischen Mythologie inspirierte "Phaedra", das nach dem disharmonisch-avantgardistischen "Sic Luceat Lux" (dt. "So Soll (Euer) Licht Leuchten") seine Wirkung voll entfaltet.

"Phaedra" beginnt zunächst mit bedrohlichen Trompeten. Dazu kommen stoische, apokalyptisch wirkende Schläge von Drummer Jukka Rämänens (Dark Buddha Rising) Basstrommel, die sich durch das gesamte Stück ziehen. Auch McNerney setzt seine Stimme hier passenderweise eher zum formelhaften Rezitieren denn zum Singen ein. Inhaltlich geht es in dem zentralen Song darum, die Gesellschaft zugunsten einer Rückkehr in die Natur zu verlassen, um die spirituelle Ordnung der Welt wieder herzustellen. "Beautiful the gods in this lonely hour / as I lift the veils of Phaedra / kissing the mouths of Leviathan / and tending to the weeds in my mother's garden" beschwört McNerney die Heilkräfte von Mutter Erde. Musikalisch sticht vor allem Gitarrist Jesse Heikkinen heraus, der dem Track mit einem wahnsinnig sinistren Solo nochmals eine ganz eigene Färbung gibt.

Mit dem im Stile des englischen Folkhelden Martin Carthy gezupften Interludes "Family" ändert sich dann auch die Stimmung des Albums grundlegend. Als seien die Protagonisten nach dem mächtig dunklen "Phaedra" tatsächlich in ihrem Paradiesgarten angekommen, dominieren jetzt akustische, durch und durch folkige Töne. Nach dem gemächlichen 3/4-Takt "Kindred Moon" folgt mit der traumhaft bittersüßen, ebenfalls in dieser Taktart stehenden Ballade "Magical And Damned" ein letztes Highlight der Platte. Das beschließende "Joy Of Sacrifice" erreicht dann zwar nicht mehr diese Klasse, fügt sich aber dennoch gut in das Gesamtbild der Platte ein.

Mit "Kindred" schaffen Hexvessel ein düsteres, packendes Kleinod zwischen zeitloser Naturmystik und der Vergänglichkeit modernen menschlichen Seins. Da die Platte mit ihrer skurrilen, eigentümlichen Atmosphäre nur als Gesamtwerk funktioniert, muss man sich dafür etwas Zeit nehmen. Um das Dickicht dieses verschroben kauzigen Zauberwaldes zu durchdringen, braucht es klar mehrere Hördurchläufe. Hat man sich jedoch erst einmal durch die Lichtung bis zum Lagerfeuer gekämpft, möchte man nicht mehr zurück. Gemeinsam mit "No Holier Temple" das bisher stärkste Album der Finnen.

Trackliste

  1. 1. Billion Year Old Being
  2. 2. Demian
  3. 3. Fire Of The Mind
  4. 4. Bog Bodies
  5. 5. Sic Luceat Lux
  6. 6. Phaedra
  7. 7. Family
  8. 8. Kindred Moon
  9. 9. Magical And Damned
  10. 10. Joy Of Sacrifice

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