laut.de-Kritik
Mehr Bretter als in einer Bootswerft.
Review von Christian Kollasch2018 deutet bereits im ersten Quartal an, ein Jahr der großen Comebacks zu werden. Erst kürzlich kündigten die Smashing Pumpkins mit großem Gewese ihre erste Tour seit 18 Jahren an, im April erscheint mit "Eat The Elephant" das lang erwartete neue Album von A Perfect Circle, und sogar der wohl abgelatschteste Running Gag der Musikwelt, das neue Tool-Album, scheint momentan im Studio Gestalt anzunehmen.
Unter all diesen großen Namen droht eine Band fast schon durch das Hype-Netz zu rutschen: Hot Snakes hauen mit "Jericho Sirens" ihr viertes Album nach läppischen 14 Jahren raus, ganz ohne Fanfaren und Parade.
Nun gut, es ist ja nicht so, dass die Mitglieder der Post-Hardcore-Supergroup, die sich unter anderem aus den Bands Pitchfork und Drive Like Jehu zusammensetzt, jahrelang die Füße hochgelegt hätten. Sänger Rick Froberg widmete sich in New York seiner weiteren Profession als Künstler und brachte mit seiner Band Obits drei Langspieler unter die Leute. Gitarrist John Reis hatte mit seinem eigenen Label Swami Records alle Hände voll zu tun, veröffentlichte nebenbei aber noch zwei Alben mit den Night Marchers. Genug Futter für Fans der ersten Hot Snakes-Platten, könnte man meinen.
Die bissige Mischung aus Hardcore, Garage und Hardrock, gepaart mit der rotzigen Attitüde des Do-It-Yourself-Lifestyles, genießt mittlerweile Kultstatus unter Kennern. Dass Hot Snakes der Band von Anfang das Label "Nebenprojekt" verpasst haben, ließ die Trennung wie ein natürliches Ende aussehen. Als das Quartett 2005 den Deckel drauf machte, war es halt auch gut. Frei nach den Ärzten: "Wenn's vorbei ist, ist's vorbei."
An "Jericho Sirens" beeindruckt zunächst, dass die 14-jährige Pause augenblicklich verpufft, sobald der erste Track anläuft. Die Band sagt selbst, sie habe vor den Aufnahmen keine große Eingewöhnungsphase benötigt. Pick up and play, als sei nichts gewesen. Sofort stellt sich heraus, dass es auf dem neuen Album nicht um künstlerische Selbstfindungstrips gealterter Musiker geht. Keine großen Experimente, keine epische Suche nach einem neuartigen Sound. Hot Snakes klatschen einem ihren temporeichen Punk noch genauso skrupellos um die Ohren wie 2004.
Die Jericho-Trompeten, die im zweiten Weltkrieg an deutschen Sturzkampfflugzeugen angebracht waren, dienten den Fliegern zur psychologischen Kriegsführung. Wer sich Christopher Nolans Antikriegsfilm "Dunkirk" im Kino angesehen hat, dürfte das bis ins Mark gehende Dröhnen noch gut im Gedächtnis haben. Wie ein Sturzangriff wirkt auch der Opener "I Need A Doctor", der mit einem Riff einer Abwärtsspirale gleich gen Boden rast. Nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommt: Gerade zu Beginn des Albums spielen Hot Snakes mit einem irren Tempo auf.
Das atonale "Candid Cameras", das unter heftigen Math-Rock-Einfluss bebt, holt gleich zum zweiten Schlag aus. In den ersten Tracks gibt es mehr Tempowechsel als in einer kilometerlangen Autoschlange im Ferienstau. Dazu bellt Frontmann Froberg seine markanten Shouts in die Kulisse, als seien seit dem letzten Album keine zwei Jahre vergangen.
Etwas melodischer gerät erst die erste Single-Auskopplung "Six Wave Hold-On", die "Jericho Sirens" spätestens jetzt auch als Schlagzeug-Album entlarvt. Seit Hot Snakes bei ihrer ersten Reunion mit Jason Kourkounis und Mario Rubalcaba gleich zwei Drummer auf die Rhythmen loslassen, verwundert das kaum. Das Kit dröhnt mit einer fantastischen Wucht aus den Boxen, dass die Nachbarn in Gedanken schon mit dem Besenstiel an die Decke klopfen.
Davon kann man sich auch im Titeltrack überzeugen. Dessen markantes Riff begleiten Floor Toms, die eher an Kriegstrommeln erinnern. Von wegen knarziger Do-It-Yourself-Sound. Was die Band hier aufgenommen hat, knallt einem so druckvoll entgegen, dass sich kein richtiger Garage-Charme einstellen mag. Das bleibt zu verschmerzen, das kompensieren Hot Snakes mit purer Aggressivität. Nach vorne scheint die einzige Marschrichtung zu sein, die das Quintett kennt. Ausfallquote: Null.
Schnörkelloses Songwriting trifft auf die unbändige Energie der fünf Bandmitglieder, die wohl niemandem mehr etwas beweisen müssen, es aber einfach trotzdem tun. "Having Another?" und "Death Doula" halten dafür problemlos als weitere Beispiele her, so mächtig rumpeln die Tracks aus der Anlage. Die Dichte an Brettern ist auf dieser Scheibe einfach höher als in jeder Bootswerft.
Hot Snakes veröffentlichen einen musikalischen Höhepunkt des Jahres, den wohl kaum einer auf dem Schirm hatte. Oder, um ehrlich zu bleiben: einen, den ich nicht auf dem Schirm hatte. 14 Jahre lang habe ich die Band nicht wirklich vermisst. Jetzt, wo ich "Jericho Sirens" im Regal stehen habe, frage ich mich: Warum zum Teufel nicht?!
2 Kommentare mit einer Antwort
Da springt der Funke bei mir nun überhaupt nicht über...:-/
Also bei mir funkt's gewaltig ...
Vielleicht sollte ich dann nochmal reinhören... Im Grunde mag ich solche Musik... mmmh, vielleicht die falsche Stimmung gehabt.