laut.de-Kritik
Ohne Träume keine Revolution.
Review von Dani FrommVor unfassbaren dreizehn Jahren veröffentlichten I AM eine Anthologie, in deren Rahmen sie dreizehn frühere Jahre ihres Schaffens Revue passieren ließen. Tatsache: Die Crew aus Marseille mischt schon eine ganze Weile mit, im europäischen Rap-Geschehen. Man könnte sie kennen, "Depuis Longtemps".
Noch immer aber lassen sich viel zu viele von der Sprachbarriere aufhalten. Allzu viel frankophoner Hip Hop schwappt, wenn man nicht gerade aktiv danach sucht, nicht über die westliche Landesgrenze. Deswegen laufen viel zu viele Rapfans in deutschen Landen herum, denen I AM noch immer gänzlich unbekannt sind. Dabei schmiert "Rêvolution" seiner Hörerschaft von der ersten Sekunde an aufs Brot, dass hier echte Routiniers zu Werke gehen.
Shurik'N und Akhenaton, die sich den Job am einstmals silbernen Mikrofon teilen, wirken, falls das überhaupt möglich ist, noch besser aufeinander eingestellt als früher. Beider Flows gleichen sich an, wie die Hälften eines alten Ehepaars einander mit den Jahren zunehmend ähneln. Ob sie nun abwechselnd je eine Strophe abliefern oder Zeile für Zeile fliegende Wechsel vorexerzieren: Die Staffelstab-Übergaben klappen so reibungslos, man könnte sie glatt verpassen.
Imhotep, der teils zusammen mit Akhenaton, meist aber alleine den größten Teil der Produktionen verantwortet, weiß genau, welchen Rahmen seine Crewkollegen brauchen, um größtmögliche Strahlkraft zu entfalten: Passend zum Logo (und dem ohnehin latenten Wu-Tang-Vibe der Formation) durchweht seine Beats immer wieder ein Hauch von Fernost, der sich hier in einem Gongschlag, da in asiatisch klimpernden Saitenspielereien manifestiert.
Samples und die von DJ Kheops beigesteuerten Scratches fügen sich so widerstandslos ins Gesamtbild, dass einem das stellenweise fast ein wenig zu geschliffen vorkommt. Davor, in die Langeweile zu kippen, bewahren dann aber doch immer wieder Schlenker in musikalische Gefilde, mit denen nicht zwingend zu rechnen stand. Klingt "Bad Karma" noch recht gespenstisch, entführt "Danse Pour Le Hood" mit seinen chilligen Synthieflächen in Ambient-Sphären.
"Grands Rêves, Grandes Boîtes" behält den weichen Grundton bei, mischt aber Chorgesang, Klavier und blöderweise auch Chimesgeklingel bei. "Paix" hebt mit Streichern und Schellen an, kippt beinahe in einen Marschrhythmus, ehe die bei Nas' geborgte Bitte "Can we please have a moment of peace" dem - passend zum Tracktitel - gerade noch rechtzeitig einen Riegel vorschiebt.
Der gesungene Chorus von Saïd käme mir in jedem anderen Kontext kitschig vor. Hier passt er einfach bestens ins Bild, genau wie der Singsang, den Shurik'N seinem Flow untermengt. Der Gastauftritt von Meryem Saci in "Bien Plus Beau" funktioniert dagegen nicht so gut: Nachdem sachte "Uuuuh"-Gesänge und Spieluhr-Melodeien auf einen sanften Ausklang hindeuteten, wirkt ihr Auftritt zu ... ach, irgendwie penetrant.
Der immer wieder aufblitzende Reggae läuft da entschieden besser rein, genau wie die wirklich schrägen Momente: Wenn einen zu Beginn des Titeltracks kurzzeitig das Gefühl beim Wickel packt, man habe sich unversehens in einen alten Western verlaufen. Oder der Augenblick in "Rigamortis", in dem man kurz wirklich nicht weiß, ob man da Streicher hört, ein Schifferklavier oder doch ganz etwas anderes.
Die höchste Trumpfkarte spielt "Rêvolution" aber in Form wirklich phantastischer Basslinien aus. Ob in "Bad Karma", "Danse Pour Le Hood" oder "Grands Rêves, Grandes Boîtes": Überall legt der Bass ein groovy Fundament und setzt dem Track zugleich das Krönchen auf. "Life, I Live", dessen Beat zur Abwechslung auf Akhenatons alleiniges Konto geht, bedient sich hierfür bei den "Seven Minutes Of Funk" der Whole Darn Family: Den funky Disco-Moment bekommen wir damit auch noch geboten.
Um zu ahnen, dass Akhenaton und Shurik'N über die musikalische Seite hinaus etwas zu sagen haben und dies sprachgewaltig an den Fan bringen, reicht zum Glück einigermaßen verrottetes Schulfranzösisch. Die sozialkritischen Töne lassen sich leicht herauszufiltern. Das beste Beispiel liefert "Monnaie De Signe", ein flammendes Plädoyer für die Freiheit des Individuums, die dem Einzelnen zugleich aber auch eine gewisse Verantwortung aufbürdet.
Fundiertere Sprachkenntnis hätte vermutlich noch weit tiefere Einsichten beschert. Dass I AM auch zwischen den Zeilen sprechen, deutet allein schon der Titel an, der mit seinem Worthybrid aus rêve und (r)évolution ganz unverblümt "Obacht! Doppelte Böden!" brüllt. Recht haben I AM: Keine Revolution der Welt kommt ohne Träume aus. Es lohnt sich durchaus, wieder einmal sein vocabulaire zu entstauben. Allez-y!
3 Kommentare mit 5 Antworten
Waaaaas, die gibts noch?
aber 'allo!
Meine Lieblingsfranzmänner nach Louis de Funès.
In der Eifel steigt gerade weißer Rauch auf
glaubst du wirklich das der auch nur einen einzigen track von denen kennt? ich hab da so meine zweifel
und ob. '95 hat er schon in den Banlieues mit den Homes die Dicewürfel ins Rollen gebracht
auf den Straßen erzählt man sich weiter, er sei gar ein inoffizielles Mitglied von I AM mit dem Namen Timonanchamun
'95 hat er doch Metallica gehört. Er weiß zwar nicht welches Albung, aber auf jeden Fall Metallica!
Ihr Lullis!