laut.de-Kritik
Provinzielles deutsches Neo-Soul-Theater.
Review von Ulf KubankeBei gerade mal drei regulären Platten nun also schon die zweite Live-Scheibe innerhalb von zwei Jahren. Neben den Songs des noch aktuellen Album-Bestsellers "Gute Reise" gibt es noch ein paar Highlights mit insgesamt nicht weniger als sieben Übereinstimmungen. So etwas kann man sich eigentlich nur leisten, wenn man als passionierte Liveband einen Ruf wie Donnerhall hat. Davon bleibt die Rumpfmannschaft von Ich + Ich leider ein ganzes Stück entfernt.
Annette Humpe fehlt als Zeremonienmeisterin leider an allen Ecken und Enden. Ihr Charisma samt typischer Keyboards und Backing Vocals macht die Band erst komplett. Adel Tawil wirkt trotz der guten Sangesstimme als Frontmann mitunter überfordert. Was an einem launig sommerlichen Abend live im Moment des Erlebens funktionieren mag, geht auf CD-Konserve im wiederholten Durchgang nur noch auf die Nerven.
Da sind zum einen die etwas schwatzhaft-unbeholfenen Ansagen Tawils, zum Beispiel vor "Pflaster". "Trotzdem muss ich ein bisschen ernst werden. Beim nächsten Song geht da so ein Gerücht um. Das stimmt so nicht. In dem Song geht es nicht um Hamster!" Ach, was?
Ebenso stellt sich die Frage, wie interessant es für den Hörer ist, wenn der Sänger vor "Universum" die ernsthafte Sorge um seine Schwester ausbreitet, weil diese selbständig wird und in London studiert. Andere im Publikum grämen sich womöglich eher, weil die kleine Schwester solche Träume und Privilegien nicht verwirklichen kann. Auch die verunglückte Yoga-Anleitung passt mehr zum chargierenden Pausenclown als zum charmanten Conferencier.
Das andauernde 'Hey Berlin' überschreitet spätestens nach dem 12. Mal die Grenze zwischen heimatverbundenem Enthusiasmus und wenig elegantem Einschleimertum aus der Popstar-Mottenkiste. Bei der betulichen Entschuldigung für die eigenen Lyrics, "War nicht ganz jugendfrei, aber passt. Ist schon spät.", möchte man den Sänger endgültig schütteln und ihm ein wenig Rock'n'Roll-Spirit impfen.
Und die Musik? Die Platte hat dem letzten Konzertalbum künstlerisch nichts hinzuzufügen. Im Gegenteil. Die gewohnt gute Begleitband agiert höchst professionell, aber eben auch sehr zurückhaltend und in den Hintergrund gedrängt. Wer auf spannend variierte Arrangements im knisternden Live-Mantel wartet, hat schon verloren. Die interessant gestreute Gitarre bleibt rar. Der tolle Bass erhält eine unverdiente Tarnkappe. Allemal eine verpasste Chance, den fluffigen Melodien im Gig zumindest ein wenig Kontur zu verpassen.
Da helfen auch keine Gäste. Sido liefert auf dem ohnehin erschreckend simplen Eso-Stuhlkreis-Track "Der Himmel Soll Warten" eine stimmlich peinliche Demonstration textlicher Oberflächlichkeit und verkrampfter Pseudo-Selbstironie ab. Man muss schon ein ganz hart gesottener Knochen sein, so etwas mehr als einmal zu lauschen. Die eigentlich ansprechende "Stadt" ertrinkt samt der coolen Hookline in sinnloser 'Ey, yo yeah'-Animation von Steen und Tawil.
Einzig der verdiente und gewohnt großartige Mohamed Mounir zeigt lässig, wie mühelos man arabische Skalen mit westlichem Pop mischen kann. Ein Quäntchen ägyptisches Weltformat im provinziell deutschen Neo-Soul-Theater. "El Kon" ist entsprechend das mit Abstand stimmigste Lied auf der Scheibe.
Doch während man am heimischen Player langsam müde wird von der Befindlichkeitslyrik und dem stetigen Herunterbrechen eines jeden Themas auf der Verniedlichungs-Kita Ebene, zeigt der gute Adel dann doch noch einmal, was für ein Kerl eigentlich in ihm steckt. Beim Rio Reiser-Klassiker "Halt Dich An Deiner Liebe Fest" gibt er alles und gewinnt auf ganzer Linie. Ergreifender Gesang gepaart mit einem Text voller Seele. Man vergisst Rio zwar nicht. Es wäre auch unfair, das zu erwarten. Doch der Ich + Ich-Sänger stellt sich gleichberechtigt ins Regal der tollen Coverversionen.
Nur leider machen zwei bis drei gute Performances kein gutes Livealbum. Zu viel Sentimentalität, zu wenig ansteckende Leidenschaft. Jedem, der nicht absoluter Fan ist, sei mithin das Reinhören vor dem Kauf unbedingt empfohlen. Ob die Band sich mit diesem Pausenfüller einen Gefallen getan hat? Das darf getrost bezweifelt werden.
18 Kommentare
In it for the money.
Einer von Zweien hat einen Stein im Schuh...
Grausam.
So oder so steht da irgendwe zu viel Positives in der Review für einen Stern ...
Schockierend wie sich Leute vom Hype oder Äußerlichkeiten zum Kauf locken lassen und die eigentliche musikalische (schlechte) Qualität übersehen.
@gurke12 (« bastarde des mainstreams, von anfang an »):
Drake Avatar!
Ah, wo ich gerade die neue Avril Lavigne Rezi gelesen habe, fällt mir ein, dass es z.B. ein peinlicher Fehler ist, vom MariaNNengraben zu singen.