1. März 2004

"Die Prügelei war natürlich nur Show ..."

Interview geführt von

Es gibt immer wieder Bands, die benutzen das Wort Weiterentwicklung, um die Tatsache zu kaschieren, dass ihnen in ihrer ehemaligen musikalischen Ausrichtung nichts mehr einfällt und man jetzt doch mal sehen will, ob es im Mainstream nicht mehr Kohle zu verdienen gibt. Dann gibt es aber auch Bands wie In Flames, die dieses Wort benutzen, weil sie schlicht und ergreifend ihrem Sound weiter Facetten beifügen und diese perfekt mit ihren Roots vermischen. Ganz besonders gilt das für Sänger Anders Fridén.

Hallo Anders, alles klar so weit?

Mannomann, ich bin ganz schön gerädert. Der Interviewmarathon läuft jetzt schon eine ganze Zeit, und das haut doch mächtig rein. Ist zwar alles ganz schon anstrengend, aber so muss das ja wohl sein.

Ihr wart ja auch beinahe durchgehend irgendwo auf Tour. Wo und wann habt ihr überhaupt die Zeit gefunden, eine neues Album zu schreiben?

Von August bis November haben wir unseren Tourplan hinter uns gebracht und uns dann auch sofort ans Songwriting zum neuen Album gemacht. Das wurde dann im November aufgenommen und danach ging es weiter mit der Tour. Dann hatten wir im Mai Zeit für eine Vorproduktion, das dauerte zwei Wochen. Immer, wenn wir gerade mal etwas Zeit haben, machen wir uns ans Songwriting, denn auf Tour klappt das bei uns nicht. Wir konzentrieren uns jeweils voll auf das, was wir gerade machen, deswegen sind wir auch relativ schnell und produktiv, was das Songwriting angeht. Auf Tour würde das nicht funktionieren, das Einzige, was wir da machen, ist schon mal ein paar kleine Teile zu sammeln, die wir dann in aller Ruhe später zusammen fügen können.

Es heißt also: Tour, Songwriting, Aufnehmen, Interviews geben, Tour, Songwriting, usw. Wann war denn das letzte Mal, dass du dir die Zeit nehmen konntest, zu relaxen oder einfach nur ein Buch zu lesen?

Ich weiß nicht, vielleicht als ich zehn Jahre alt war? (lacht) Daran wird sich in der nahen Zukunft wohl auch nichts ändern. Nach der Promotour, die ich jetzt gerade in Deutschland durchziehe, ist als nächsten Amerika dran. Dann geht's nach Schweden, danach die Vorbereitungen für die Tour, die geht dann Mitte April los und dauert wohl den Rest des Jahres. Das laugt einen schon manchmal ganz schön aus, aber wir lieben das einfach. Das ist ja nicht einfach ein Job, es ist die Leidenschaft für die Musik, die einen weiter machen lässt. Ich wüsste auch nicht, was ich anderes machen sollte. Zwischenzeitlich ist es immer mal wieder langweilig und ermüdend, aber die Zeit, die du dann auf der Bühne verbringst, ist es immer wieder wert.

So viel, wie ihr in der Weltgeschichte herumzieht, wärt ihr wahrscheinlich Rentierhüter geworden, wenn's mit der Musik nicht geklappt hätte.

Das glaube ich weniger, hahaha. Es ist ja weniger so, dass wir unbedingt von daheim weg sein wollen, sondern das lässt sich einfach nicht vermeiden, wenn du live spielen willst. Es gibt beispielsweise keinen in der Band, der gerne fliegt. Wenn wir nicht diese Liebe und diese Leidenschaft für die Musik hätten, dann würden wir vielleicht grad mal in die nächste Kneipe gehen, aber nicht auf eine Weltreise.

Auf der offiziellen deutschen Fanpage gibt es einen Poll, wo sich die Fans über ihre Erwartungen an das neue Album auslasen können. Über 55% waren der Meinung, dass ihr einen weiteren Schritt nach vorne machen und noch mehr Experimente durchführen werdet. Setzt euch das nicht ganz schön unter Druck?

Nein, überhaupt nicht. Das ist uns wirklich vollkommen egal, denn es sind ausschließlich wir fünf Bandmitglieder, die über die Musik von In Flames bestimmen. Nicht mal unser Label hat darauf irgendeinen Einfluss. Die bekommen auch erst was von uns zu hören, wenn die CD komplett fertig ist, und dann müssen sie damit leben. Wir haben einfach keine Lust, uns von irgendjemandem reinreden zu lassen, wir haben gern alles selbst unter Kontrolle. Wenn es jemanden gibt, der Druck auf uns ausüben kann, dann sind wir das selbst. Das ist auch wichtig, denn nur so können wir wirklich immer wieder das Beste aus uns rausholen. Es ist zwar immer interessant und lustig zu lesen, was die Fans und die Journalisten von uns als nächstes erwarten, aber wirklich wichtig ist es nicht. Wir machen uns auch gerne einen Spaß daraus, genau das Gegenteil von dem zu machen, was man von uns erwartet. Das haben wir ja schon oft genug mit den Slogans auf unseren T-Shirts bewiesen, oder dass wir mit diesen weißen Overalls aufgetreten sind. Es macht einfach Spaß, gegen den Strom zu schwimmen. Wir wollen uns ja nicht wiederholen, aber natürlich auch nicht unsere Wurzeln aus den Augen verlieren.

Das neue Album heißt "Soundtrack To Your Escape". Flucht wovor?

Die Lyrics sind alle von einem sehr persönlichen Blickpunkt aus geschrieben. Gleichzeitig sind sie aber sehr allgemein gehalten, so dass sich jeder darin wieder finden kann und sich seine eigenen Gedanken dazu machen kann. Heutzutage geht alles immer schneller und schneller, man hat kaum mehr ausreichend Zeit für irgendwas, genau wie wir es vorhin angesprochen haben, und der Titel soll einfach aussagen, dass man sich beim Hören der CD eine Auszeit nehmen kann und soll. Mir geht das auch immer so, vor allem wenn wir auf Tour sind. Ich schnapp' mir dann meinen Discman oder einen Laptop und zieh' mich in meine Koje mit einem Film oder einer CD zurück, und nehme mit einfach ein wenig Zeit für mich und die Musik. Die Leute, die unsere CD hören und unsere Texte lesen, sollen die Möglichkeit haben, es ähnlich zu machen. Vielleicht können sie für sich dann eine ähnliche Energie aus unserer Musik ziehen, wie uns das gelingt.

Was hat es mit dem Titel "Dial 5-9-5- Escape" auf sich?

Das erzähl ich dir nicht, haha. Nein im Ernst, ich mag es nicht, meine Texte immer zu erklären, denn das nimmt einem die Möglichkeit, seine eigene Interpretation zu finden. Ich könnte ja immer nur erklären, was sie mir persönlich bedeuten, aber ich denke das ich mich über Situationen oder Dinge auslasse, die jeder schon mal erlebt hat, so dass auch jeder seine eigene Sicht der Dinge in meinen Lyrics finden kann. Es ist dann auch für mich viel interessanter, wenn ich die Menschen nach den Konzerten treffe und mir ihre Interpretation der Texte anhören kann. Oft lerne ich eine ganz andere Sicht der Dinge kennen.

Zwei weitere Titel, die mich ebenfalls noch interessieren würden sind "Like You Better Dead" und "Evil In A Closet". Ist dein Lokus besessen?

Wer weiß, vielleicht, hahha. Aber ich werde dir dazu natürlich auch nichts sagen. "Like You Better Dead" sagt ja schon einiges aus, das kannst du dir bestimmt selbst zusammen reimen, um was es da geht.

Ihr greift immer häufiger auf Keyboards und Synthies zurück. Wird das live nicht etwas störend, da ihr ja keine Keyboarder habt. Da ist nicht viel Raum für Improvisation.

Das ist eh nicht so unser Ding, großartig zu jammen oder sowas. Wir rufen die Keys alle über DAT ab. Ein weiterer Kerl auf der Bühne würde uns nur durcheinander bringen. Wir sind als Band sehr gut aufeinander eingespielt und so soll das auch bleiben. Es ist ja nicht so, dass das Keyboard ein so wichtiges, melodiegebendes Instrument wäre, dass wir ohne einen Keyboarder nicht mehr auskommen würden. Es ist einfach eine gute Möglichkeit, aus unseren Songs noch ein wenige mehr rauszuholen. Im Proberaum gibt es keine Keyboards, wir schreiben nur für Gitarren, Bass, Drums und Gesang. Erst wenn wir im Studio sind, schauen wir mal, was sich noch so anstellen lässt. Wir haben da einen Kumpel, der im Produzenten-Team ist und er hat immer sehr gute Ideen. Wir sagen ihm, wie wir uns das vorstellen, welche Stimmung wir erreichen wollen, und er führt unsere Wünsche dann aus.

Ihr habt für "The Quite Place" ein Video gedreht. Denkst du, dass dies der Song ist, der da Album am besten repräsentiert?

Ja, glaub schon. Ich denke auch, dass wir es mit diesem Songs schaffen könnten, im normalen Tagesprogramm zu laufen, was natürlich eine extrem feine Sache wäre. Soo soft ist der Track ja nun auch wieder nicht, zumindest in den einschlägigen Sendungen sollten wir schon laufen.

Ihr habt für das letzte Album ja ein Video zu "Trigger" gedreht. Soilwork drehten eins zu "Rejection Role". In beiden Videos sind beide Bands zu sehen, jeweils aus der Sicht des anderen, und ihr disst euch gegenseitig und prügelt euch auch nachher. Ich habe aber das Gefühl, dass das viele gar nicht gerafft haben. Nicht mal auf der Nuclear Blast-DVD waren die Songs hintereinander.

Ja, da hast du recht. Das hat mich auch ein bisschen erstaunt und geärgert. Zumindest auf der DVD hätten sie hintereinander stehen können. Aber das ist mal wieder das selbe wie vorhin. Ich habe doch keinen Bock, jedem erst erklären zu müssen, um was es geht. Das sollte mit ein bisschen Beobachtungsgabe doch drin sein, zu sehen, dass die anderen Jungs von Soilwork sind. Der Fight und das Dissen waren natürlich nur Show, denn wir verstehen uns super mit den Jungs. Viele Medien haben immer wieder versucht, einen Konkurrenzkampf zwischen uns zu erdichten, aber den gibt's schlicht und ergreifend nicht.

Ich fand die Idee ziemlich witzig und es scheint, ihr hattet jede Menge Spaß.

Den hatten wir auf jeden Fall. Und den werden wir uns auch auf der demnächst anstehenden Tour nicht nehmen lassen. Ihr werdet sehen ...

Das Interview führte Michael Edele

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