laut.de-Kritik
Die Absage an den Zeitgeist.
Review von Sven KabelitzBerlin, dein Gesicht hat Sommersprossen, aber du bist die schönste Stadt der Welt. Vielfältig und multikulturell thronst du über Brandenburg. Obwohl du meistens etwas mies gelaunt bist, hast du deine Federboa immer zum Feiern parat. Dank der Berlinale bringst du etwas Hollywood nach Deutschland. Du hattest David Bowie und Iggy Pop. Pleite sein gehört bei dir zum guten Ton. Egal ob Jet Set oder verratzter Nichtsblicker, jeder findet bei dir irgendwie seinen Platz - selbst Isolation Berlin.
Mit "Und Aus Den Wolken Tropft Die Zeit" veröffentlicht die Band, die mit Anleihen an Noise, Punk und Funk viel mehr nach dem einst eingepferchten Berlin vor dem Mauerfall klingt, ihr Debüt. Schockierenderweise ohne auch nur einen Song ihrer bereits ausverkauften EPs zu berücksichtigen. Diese finden sich alle auf dem zeitgleich erscheinenden "Berliner Schule / Protopop". So kommt es, dass am 19. Februar 2016 gleich zwei Isolation Berlin-Alben erschienen. Wenn man so will: "Use Your Isolation I" und "Use Your Isolation II".
Dabei zeigen sich Tobias Bamborschke (Gesang, Gitarre), Max Bauer (Giatrre, Orgel), Simeon Cöester (Schlagzeug) und David Specht (Bass) zeitweise noch naiver als auf dem ausdefinierten "Und Aus Den Wolken Tropft Die Zeit". "Lisa" klingt dann schon mal wie eine niedliche Kopie des Die Ärzte-Klassikers "Grace Kelly". Das Original der üblen NDW-Nummer "Fall In Love Mit Mir" mag noch so lange von Nina Hagen sein, hier klingen Isolation Berlin viel mehr wie UKW in "Sommersprossen". Solche Flausen findet man heute nicht mehr in ihrem Repertoire. Irgendwie auch wieder schade.
Im gröbkörnigen "Alles Grau" findet sich der Ursprung für den ewigen Rio Reiser-Vergleich, dem sich Sänger Bamborschke bis heute stellen muss. Hat er sich mit seiner Band mittlerweile wieder ein Stück von diesem emanzipiert, gibt es hier die volle Ton Steine Scherben-Dröhnung. Bis hin zum "Ich hab' endlich keine Träume mehr / Ich hab' endlich keine Hoffnung mehr / Hab' endlich keine Emotionen mehr / Ich hab' keine Angst vor'm Sterben mehr"-Refrain, der wie eine desillusionierte Antwort auf "Der Traum ist aus" wirkt.
Dem Gegenüber steht das wehmütige "Aquarium", das die Einsamkeit in all ihrer Schlichtheit zelebriert. Bamborschke singt mit herrlicher Unverkrampftheit von einem Ausflug zum Aquarium, einem Besuch bei der Goldfischkönig. Mit dem auf deutsch gesungenen "Isolation"-Cover, eine gelungene Verbeugung vor Joy Division, greifen Isolation Berlin zum Post-Punk. Dort verweilen sie mit den aggressiven "Prizessin Borderline" und "Meine Damen Und Herren", die an die frühen Fehlfarben erinnern. "Meine Damen und Herren / Man hat uns gesagt / Die Liebe macht schön / Das ist wohl auch der Grund / der Grund dafür / Dass wir so hässlich sind."
Ihren goldenen Schuss, dreckig und jeglicher Illusion beraubt, setzt sich die noch junge Band mit dem eigenen Titelstück "Isolation Berlin": "Ich nehm' die nächste U-Bahn und fahr' zum Bahnhof Zoo / Dort nehm' ich mir 'nen Strick und häng' mich auf im Damenklo". Haarscharf schrammt sie mit dem siebenminütigen Stück am eigenen "Ohne Dich" vorbei. Bamborschke endet eben nicht wie Plewka als miese Reiser-Kopie. Die Zerrissenheit seiner Ausbrüche, der verwahrloste Text und die Noise-Attacken der zweiten Hälfte bewahren vor jeglichem seligmachendem Kitsch. Ein ungeschönter Abgesang auf Berlin, der sich letztendlich komplett im Lärm gehen lässt und im Feedback versinkt.
Isolation Berlin gelingt eine Absage an den Zeitgeist, schroff und spröde. Ihre Hingabe, ihre Energie und nicht zuletzt ihre aufwühlenden Songs holen sie zurück in den Moment. Jetzt, in diesem Augenblick, sind sie die beste deutsche Band seit gestern und bis morgen. Ihr Debüt "Und Aus Den Wolken Tropft Die Zeit" klingt herrlich aus der Zeit gefallen und in sich geschlossen. Ein paar ihrer größten Songs finden sich aber auf "Berliner Schule / Protopop".
4 Kommentare mit 3 Antworten
Nur die musikalische Untermalung unterbietet noch die mehr als anstrengenden Texte. 1/5. Alleine schon das, was in der Rezension zitiert wird...
"Der Wahnsinn hält mich warm
Der Teufel kommt und nimmt mich in den Arm"
Dann solltest du lieber Dire Straits o.ä. hören
ich habe mir nach der wertung mal deren alben in die playlist gezogen....... allein "körper" (http://www.youtube.com/watch?v=tm3jcF0shX0) ist mit das drastischste und intensivste was ich in deutscher sprache seit immer gehört habe. ein "pornography" in viereinhalb minuten in deutscher sprache. brutal. "mit kaltem blanken stahl durchbohr ich meine haut. um irgendwas zu spüren, muss ich aus meinem körper raus!"
schon dafür gibts 5/5.
Ich verweise auf das erste Album "Ich schäme mich Gedanken haben, die Menschen in ihrer Würde verletzen" der Berliner Band Mutter. Das ist noch eine Nummer größer und halt verachtender gegenüber seiner eigenen kleinen Existenz.
Die EP-Sammlung gefällt aber schon wegen den noisigen Songs "Körper" und "Isolation Berlin" und die Debil-Gedächtnisnummer "Lisa", sowie den Nina Hagen-Cover ziemlich gut.
Also das Nina Hagen Cover "Fall in Love mit mir" als "üble NDW-Nummer" zu bezeichnen, zeugt nicht gerade von Kompetenz...
Für mich klingt die Nummer eben mehr nach UKWs "Sommersprossen" als nach Nina Hagen.
Sven Kabelitz kennt anscheinend nur Rio Reiser und Selig, wenn es um deutschsprachige Musik geht. Warum schreibt er dann derart schablonierte Plattenkritiken über deutschsprachige Alben? Und warum diese schlechte Laune - in jeder Kritik auf laut.de. Mach Dich doch mal glücklich, Sven und schreibe Dir mit einem kleinen Lied den Frust von der Seele.