laut.de-Kritik
Sex, Money, Murder – das Leben könnte so schön sein. Doch auch Gangster zweifeln.
Review von Stefan JohannesbergZu lahm? Zu kurz? Keine Monster-Tunes? Die Kritik an J. Cole-Alben schießt sich seit Jahren auf dasselbe Ziel ein wie Dartspieler. Viele sehen nicht: Cole ist mehr Nas als Jay-Z, obwohl letzterer am Anfang als sein Mentor fungiert und ihm auch in Sachen Erfolg in nichts nach steht. Nas' legendär mieses Ohr für krachend-catchige Beats kennt jeder Fan, seine Fähigkeit, mit superben Lyrics aus dem musikalischen Mittelmaß trotzdem derbe Dinger zu zaubern, auch. Und Cole? Der veröffentlicht mit "4 Your Eyez Only" - trotz 2Pac-Referenz - ein kurzes Konzeptalbum mit so überragendem Storytelling auf seinen oft selbstproduzierten, höchstens okayen Beats, das es Mister Jones zu Ehre gereicht hätte. Und verkauft wie Jay-Z Anfang der 2000er. Einfach so.
Als Mittelpunkt des Albums fungiert ein Tape, das ein gewisser James McMillian Jr für seine Tochter aufnimmt – fiktiv zwar, laut Interviews stand aber ein alter Jugendfreund Pate. Er erzählt dort schonungslos seine Geschichte auf den Straßen der Hood und über das verpfuschte Leben als Gangster. J Cole übernimmt die Rolle des Erzählers und ordnet der Story alles unter - auch Lyrics und Beats. Hier schielt keiner auf den nächsten Banger wie im Maskulin-Camp.
McMillians Story beginnt am Ende. James wähnt sich auf "For Whom The Bell Tolls" in einer Sackgasse. "I'm searching and praying and hoping for something / I know I'm gon' see it, I know that it's coming / Lord, Lord / But what do you do when there's no place to turn? / I have no one, I'm lonely, my bridges have burnt down / Lord, Lord". Die Begräbnisglocken werden lauter, während Sonne und Hoffnung hinter grauen Wolken verschwinden. "Bells gettin' louder, louder / I see the rain pouring down". Flow und Beat holpern zerbrechlich, nur kurz von kraftvollen Drums und Stimme unterbrochen; einzelne Saxophon- und Trompeten tauchen auf und verlieren sich wieder.
"Immortal" geht zurück auf Start, als James McMillian Jr als 17-Jähriger sein Glück in die eigenen Hände nimmt und wie so viele andere auf die schiefe Bahn gerät: "Now I was barely seventeen with a pocket full of hope / Screamin' "dollar and a dream" with my closet lookin' broke / And my nigga's lookin' clean, gettin' caught up with that dope / Have you ever served a fiend with a pocket full of soap? / Nigga I can tell you things that you probably shouldn't know / Have you ever heard the screams when the body hit the floor?". Producer Cardiak führt mit einem dominierenden, einsamen Flötenloop das fragile Soundgerüst fort. Wohl fühlt man sich hier nicht.
In eine ähnliche Kerbe schlägt "Deja Vu". Der Song beschäftigt sich mit mit Frauen und dem Spaß der Jugend. Dementsprechend drückt Cole seine Lyrics auf Low-Level: "On a scale from 1 to 10, that girl's a hundred." Sex, Money, Murder – das Leben könnte so schön sein. Doch auch Gangster zweifeln.
Bereits im folgenden, unprätentiösen Easy Listening-Tune "Ville Mentality" fragt sich James: "How long can I survive with this mentality? / How long can I survive with this mentality?". Dies geschieht vor dem Hintergrund der Geburt seiner Tochter ("She's Mine Pt. 1"), doch gerade die neu entdeckte Verantwortung für eine Familie zwingt Coles-Freund in alte Muster und erhöht den Druck, genug Kohle nach Hause zu bringen. "My business ain't got the suit and tie / Keep a pistol at all times, niggas want what's mine / I can't oblige, dog, I work too hard / So reach for it, get referred to God, I'm going hard, nigga" ("Change").
Das Drama nimmt seinen Lauf. Im minimalistisch geloppten "Neighbors" stürmen die Cops das vermeintliche Drogenlabor McMillians. Im fröhlich wummernden "Foldin Clothes" erkennt dieser den tödlichen Kreislauf des Verbrechens und er versucht, der Familie wegen auszubrechen. Hoffnung keimt nicht nur dank des funkigen Gitarrenlicks auf: "Niggas from the hood is the best actors / Gotta learn to speak in ways that's unnatural / Just to make it through the job interviews / If my niggas heard me, they'd say / Damn, what's gotten into you? / Just trying to make it, dog, somehow / Peaking through the blinds, I see the sun now / I see you're still sleeping and it feels like / Maybe everything is gon' be alright."
Doch das dicke Ende naht. Unausweichlich. In dem wahnsinnigen acht-Minuten-Titeltrack, der die Bläser-Sounds vom Intro wieder hervorholt, nimmt James von seiner Tochter Abschied. Die "For your eyes, do you understand"-Hook umarmt sie versöhnlich. Er hat seinen Frieden gemacht. "You probably grown now so this song'll hit you / If you hearing this, unfortunately means / That I'm no longer with you in the physical."
Der gesamte zweite Vers gehört dabei zum Besten, was jemals in eine Booth gerappt wurde. Im dritten, ebenfalls superben Vers, taucht Cole dann zum ersten Mal persönlich auf und erzählt der Tochter ähnlich herzerweichend von ihrem Vater. "Girl, your daddy was a real nigga, not 'cause he was cold / Not because he was the first / To get some pussy twelve years old / Not because he used to come through / In the Caddy on some vogues / Not because he went from bagging up / Them grams to serving O's / Nah, your daddy was a real nigga, not 'cause he was hard / Not because he lived a life of crime and sat behind some bars / Not because he screamed, 'Fuck the law' / Although that was true / Your daddy was a real nigga cause he loved you / For your eyes only". Der Kassettenrecorder, den man bereits im "For Whom The Bell Tolls"-Intro klicken hörte, stoppt. Doch das Leben geht weiter.
Wie krass Cole vor allem seine College-Fanbase auf Plattformen und in Plattenläden bringt, beweisen die Fakten trotz postfaktischen Zeitalters: Das musikalisch komplett unspektakuläre, introvertierte, ja fast leise Album heimst locker die Platin-Auszeichnung ein und alle zehn Tracks des Albums schafften es in die Top 40 der US-Charts. Nur mit Inhalt, einfach so.
2 Kommentare mit 2 Antworten
Hört lieber Trey Songz.
Lil Eeyore back!
Erkläre es mir. Woher kommt eigt der Cole Hate in der Scene? Ich finde ihn auch eher Mittelmaß, aber nicht hassenswert...
Ich hate Cole gar nicht mal, fand seine ersten 2 tapes sogar gut. Er sieht nur einfach aus wie Eeyore von Winnie the Pooh.