laut.de-Kritik
Das Solodebüt der Scissor Sister hat einen Twist.
Review von Stefan MertlikGefeiert wird, bis die Tanzfläche schließt. Scissor Sister Jake Shears zeichnet auf seinem Solodebüt "Last Man Dancing" den Verlauf einer Partynacht nach. Es startet erwartungsvoll bis euphorisch, gipfelt im Gemeinschaftsmoment für die beschwipste Feiergemeinde und endet mit dem Absturz im Elektroclub. Die zwölf Songs sind für sich genommen nichts Besonderes. Am Stück ergeben sie aber ein erstaunlich wendungsreiches Album, das Sinn ergibt.
"Too Much Music" eröffnet mit einem treibenden Drum-Loop, kräftigem Bass und eingängiger Synthie-Melodie. ESC-Pop trifft auf 80er-Glam. "Well, we finally made it to the promised land, singt der 44-Jährige. Das Gelobte Land nach Shears' Verständnis: Eine Welt, in der es niemals zu viel Musik geben kann. Schnell wird klar, welchen Weg dieses durch die Bank treibende Album einschlägt: Der Sound gilt als Droge des Abends. Und die soll nonstop beschwingen.
Auf "Too Much Music" folgen fünf Stücke, die in diesem Ton weitermachen. Das ist Neo-Disco auf Hochglanz poliert. In "Do The Television" setzen Trompeten Akzente. Kylie Minogue ergänzt "Voices", macht das Lied zu einem inoffiziellen Bonustrack ihres Albums "Disco" von 2020. Und der Titelsong bietet den Scissor Sisters-Moment mit Kopfstimmen-Kehrvers. Ist alles sauber produziert, klingt aber auch ein bisschen egal. Popmusik nach Maß.
Doch in der Albummitte kommt der Bruch. Von der Rollschuh-Diskothek geht es in den Techno-Club. Überraschend kompromissloser Elektro mit Pop-Einschlag übernimmt. Gefallen wird das kaum allen, denn Jake Shears lockt Hörerinnen und Hörer damit aus der Komfortzone. Elektrostampfer "8 Ball" – das "Intro" der zweiten Albumhälfte – kommt ohne Gesang aus. Euphorisierende Synthie-Schleifen paaren sich mit funky Gitarren – und darüber stampfen Kicks, Snares und Claps.
Mit "Devil Came Down The Dancefloor" - inklusive wuchtigem Gesangsbeitrag von Amber Martin – schaut die Disco zwar noch einmal rein, kann es aber kaum verbergen: Der Wechsel zum Elektro war endgültig. Breakdance-Schuhe kommen bei "Doses" zum Einsatz, "Radio Eyes" mit Big Freedie färbt die Dark Wave knallig bunt. Es macht bumm und tschack. Es brummt in den Boxen. Trotzdem bleibt das Motto: Melodie statt Monotonie.
"Last Man Dancing" benötigt eigentlich zwei Wertungen, es wirkt wie ein Split-Album zweier Künstler. Darin liegt der Reiz, dadurch bleibt die Platte womöglich länger als eine Saison im Gedächtnis. Seite A hat Jake Shears anhand bewährter Mittel gestrickt: moderner Disco-Sound mit Ohrwurm-Refrains. Seite B hingegen überrascht positiv mit einem riesigen Tanzschritt aus der Komfortzone.
1 Kommentar mit einer Antwort
Solodebut? Er hatte doch schon 2018 ein Selftitled Album (mit dem Track "Big Bushy Mustache")
In der Tat. Ein gar nicht übles Album übrigens.