laut.de-Kritik

Das Album, das niemand wollte.

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"Der Umzug in die USA war die beste Entscheidung meines Lebens", verriet James Blake letztes Jahr dem Zeit-Magazin. Nicht nur der Wunsch, mit seiner Freundin zusammen zu ziehen und das sonnige Wetter in Kalifornien hatten den Briten dazu bewogen, seine regnerische Heimat zu verlassen. Auch der Traum vom internationalen Durchbruch, von größeren Bühnen und von Kollaborationen mit den eigenen Idolen ließen ihn diesen Schritt wagen.

Mehr als ein halbes Jahrzehnt später zeigt der Blick auf James Blakes Diskographie, dass sich das Wagnis mehr als gelohnt hat: Travis Scott, Jay-Z, Beyoncé, Rosalía, André 3000 und viele andere Weltstars fragten seine Dienste an, Kanye West hat angeblich ein ganzes Album mit ihm produziert, sowohl seine Konzerte als auch seine DJ-Sets erfreuen sich größter Beliebtheit, ganz neue Zielgruppen erreichte er durch seine Präsenz auf dem Soundtrack des neuen Spiderman-Films, er wohnt mit seiner Freundin und seinen besten Freunden zusammen, er wirkt glücklich.

Zwischen seinem Karrierestart als klassischer "bedroom producer" und dem heutigen Tag liegen allerdings viele Jahre, viel harte Arbeit und eine einzigartige musikalische Evolution vom eigenwilligem Post-Dubstep seiner ersten EPs bis zum zeitgenössischen Pop-Songwriting auf seinem letzten Album. Kommerziell ging es stetig bergauf, musikalisch immer weiter weg von den elektronischen Wurzeln und immer näher in Richtung Pop und Hip Hop. Ein bisschen wirkt es so, als hätte er sich mit der Abkehr von seinen Wurzeln und der Eroberung der Hip Hop-Branche seinen Platz an der Sonne erkauft.

Entstanden sind dabei Trap-Träumereien wie das Duett "Mile High" mit Travis Scott oder Balladen wie "Say What You Will", ein wunderschöner Song mit einer wunderschönen Botschaft und eines der Highlights des Musikjahres 2021. Der nächste logische Schritt wäre ein noch tieferer Vorstoß in den Pop/Hip Hop-Mainstream gewesen. Einen Gefallen von Travis Scott, A$AP Rocky, 21 Savage, Don Toliver, SZA, Vince Staples, Kehlani und vielen weiteren Stars, denen er in der jüngeren Vergangenheit mit Features und Beats ausgeholfen hat, hätte er einfordern und damit ohne große Mühen ein kommerziell erfolgreiches und Aufsehen erregendes neues Solo-Album auf die Beine stellen können.

Und dann - völlig ohne Vorwarnung - ließ James Blake den Hammer fallen. Den "Big Hammer". Die Lead-Single seines sechsten Studioalbums ist eine in Schallwellen gepresste Abrissbirne und erinnert an so ziemlich gar nichts, das der Sänger, Produzent und Pianist bis dato veröffentlicht hatte. Würde hier nicht James Blake draufstehen, wer weiß, ob ihm jemals jemand die Urheberschaft über diesen Song zugeschrieben hätte. "Big Hammer" ist ein treffender Name für diesen kompromisslosen Beat, über den Blake ein Ragga Twins-Sample gelegt hat, anstatt wie sonst üblich seine eigene Stimme zu modifizieren. Wenn er mit dieser Lead-Single seine Fans verwirren und völlig im Unklaren darüber lassen wollte, wie dieses Album nun eigentlich klingen würde, dann ist ihm das mehr als gelungen.

Single Nummer zwei, "Loading", hingegen lässt sich schon nach wenigen Sekunden eindeutig als James Blake-Song identifizieren. Thematisch greift es mit Liebe und Selbstzweifel zwei für die Lyrik des Briten typische Motive auf: "Wherever I go, I'm only as good as my mind / Which is only good if you're mine", singt er zu schweren Synths und clubtauglichen Drums. Wenn er sich nach einer Minute das erste Mal fragt, wo denn seine Flügel geblieben seien, gewinnt das Album erstmals an Fahrt.

Denn zu Beginn geht es erst einmal ruhig zu. "Asking To Break" leitet mit angezogener Handbremse in das Album ein. Doch selbst mit angezogener Handbremse produziert James Blake atemberaubende Klangsphären - besonders im Refrain harmonieren Instrumental und die gesungene Melodie eindrucksvoll. Auch wenn "Big Hammer" für Verwirrung gesorgt und Zweifel daran gesät hat, Melodien gibt es immer noch en Masse auf diesem Album.

Blake schickt uns stampfenden Beats auf den Dancefloor und setzt dabei immer wieder seine eigene Stimme ein, mal roh und mal bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, um für menschliche Momente zu sorgen, während die Roboter ravend in den Himmel geschickt werden. "Tell Me" zum Beispiel klingt zeitweise wie die Blakesche Antwort auf die Trance-Hymne und das unsterbliche Internet-Meme "Sandstorm" von Darude, wird jedoch genau zur Halbzeit mit einer malerischen Bridge wieder entschleunigt, bevor es dann wieder ohne Umwege auf den Dancefloor geht.

"Playing Robots Into Heaven" kommt ganz ohne Features aus und ist zum Großteil in Zusammenarbeit mit Blakes langjährigen Weggefährten Rob McAndrews, seinem Tour-Gitarristen, und Dom Maker von Mount Kimbie entstanden. Es scheint, als habe der Sänger diesmal völlige Narrenfreiheit genossen, sich von keinem Label oder Management reinreden lassen und keine Vorgabe für Albenverkäufe oder Chartplatzierungen erhalten.

Dieses Album ist keineswegs der nächste logische Karriereschritt auf dem Weg zum kommerziellem Höhepunkt. Es ist weder ein Album für die neueren Fans, die sich in seine Pop- oder Hip Hop-Produktionen verliebt hatten, noch handelt es sich um Fan-Service und Balsam für die Seele derer, die sich eine Rückkehr zu den Wurzeln seiner ersten EPs gewünscht hatten. Es ist ein Album, das niemand so richtig gewollt hatte.

Niemand außer James Blake. Inspiriert von der Musik, die er bei seinen DJ-Sets spielt, resultiert "Playing Robots Into Heaven" aus der Summe der Einflüsse, die ihn in den letzten eineinhalb Jahrzehnten geprägt haben. Ambient-Einflüsse, die sich beispielsweise im glitchigen "Night Sky" oder im titelgebenden Closer bemerkbar machen. House- und Gospel-Einflüsse, die mit "He's Been Wonderful" sogar kombiniert werden.

Den Einfluss des legendären Burial wollen einige Fans auf dem Pharrell Williams und Snoop Dogg interpolierenden "I Want You To Know" herausgehört haben. Klavierbegleitungen wie die, die das emotionale, an seinen Vater gerichtete "If You Can Hear Me" untermalen, erinnern an Brian Eno, mit dem Blake bereits auf seinem Debütalbum zusammengearbeitet hatte.

Aufgrund der ungewöhnlichen Songstrukuren bleibt in der zweiten Hälfte des Albums nur wenig hängen. "Fire The Editor" bildet hier die Ausnahme. Was mit einer hübschen Melodie startet, entfacht erst mit einer nach einer Minute einsetzenden Hintergrundbegleitung und dem darauffolgenden Bass seine ganze Magie. Auf extrem britische Weise droht der Sänger sich selbst, denn mit dem "Editor", dessen Kündigung der Sänger fordert, sind Selbstzweifel und die Selbstzensur gemeint, die von der eigenen Selbstverwirklichung abhalten: "If I see him again / Best believe me / We'll be having words / We'll be having words".

So sakral, wie es der Albumtitel verspricht, geht es erst auf dem Outro zu: Mit einem Orgelloop schickt der Brite die Roboter auf dem Outro in den Himmel und lässt die Hörerschaft ein wenig irritiert zurück. Dass sich über knapp vier Minuten dasselbe Motiv nahezu unverändert wiederholt, ist man von James Blake nicht gewohnt, aber gleichzeitig passt es doch zu diesem ungewöhnlichen, einzigartigen Album.

Mit "Playing Robots Into Heaven" zollt James Blake seinen eigenen Legenden Respekt und veröffentlicht die Art von Musik, die er schon seine ganze Karriere über gemacht, aber bis dato nicht veröffentlicht hat. Schaut man sich an, was der Sänger und Produzent für Equipment in seinem Studio stehen hat - Keyboards und modulare Synths, die eher nach Zeitmaschine als Musikinstrument aussehen - dann lässt einen das Gefühl nicht los, dass bei so viel Narrenfreiheit und so wenig Labelvorgaben noch mehr Experimente, noch verrücktere Soundsphären und noch weniger konventionelle Strukturen möglich gewesen wären. Nichtsdestotrotz bleibt es hochinteressant, den Werdegang des britischen Wunderkindes zu verfolgen, das seinen Platz an der Sonne gefunden hat.

Trackliste

  1. 1. Asking To Break
  2. 2. Loading
  3. 3. Tell Me
  4. 4. Fall Back
  5. 5. He's Been Wonderful
  6. 6. Big Hammer
  7. 7. I Want You To Know
  8. 8. Night Sky
  9. 9. Fire The Editor
  10. 10. If You Can Hear Me
  11. 11. Playing Robots Into Heaven

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