laut.de-Kritik
Clubmusik für die Generation Tiktok.
Review von Stefan MertlikUm "In Waves" zu verstehen, muss man am Ende beginnen. "Falling Together", der letzte Track auf dem zweiten Soloalbum von Jamie xx zeigt, welches Konzept der Produzent und DJ von The xx im Sinn hatte: eine Platte über eine Partynacht, die mehr sein möchte als ein Soundtrack fürs schnelle Leben.
Tänzerin und Spoken-Word-Künstlerin Oona Doherty beschreibt in "Falling Together" Szenen auf dem Dancefloor. Der Beat treibt an, irgendwann geht der Blick nach links, nach rechts, nach vorne, nach hinten. Wir sind nicht alleine in dieser Kälte, die die Welt seit Corona und anderen, folgenden Krisen umgibt. So könnte die Botschaft verstanden werden.
Seinen Ursprung hatte das Album in einem Radio-Mix, den Jamie xx vor vier Jahren für die BBC anfertigte. Darin verband er Skizzen der "In Waves"-Songs mit Lieblingsstücken von Roy Ayers, Fela Kuti, Philip Glass, Two Shell und Kelly Lee Owens. Später testete er die frühen Versionen seiner Songs in Live-DJ-Sets. An "In Waves" wurde hörbar geschraubt und getüftelt. Auf die Schnelle 'ne Riesenwelle - darum ging es dem Briten keinesfalls.
Der Musiker verzichtet auf ekstatische Momente, die sich langsam anbahnen. Stattdessen ballert er von der ersten bis zur letzten Sekunde ein Feuerwerk raus. "In Waves" ist im Grunde ein einziger, nicht enden wollender ekstatischer Moment. Irgendeine Idee drückt der 35-Jährige immer noch ins Arrangement - auch, wenn der vorangegangene Drop, Break, Refrain oder Soundeffekt noch verdaut wird. Clubmusik für die Generation Tiktok. Damit stellt sich Jamie xx selbst ein Bein, denn Details gehen in diesem zugegebenermaßen leckeren Brei aus Highlights unter.
Ein Beispiel: "Treat Each Other Right" schüttelt mit Alarmpiepen und Breakbeat ab dem ersten Takt durch. Nach zwölf Sekunden diktiert ein souliges Vocal-Sample den Titel des Songs, ein elektronischer Bass schwirrt plötzlich aggressiv von links nach rechts, Hi-Hats befeuern die Hektik. Nach 30 weiteren Sekunden wird das Vocal-Sample verzerrt, switcht in eine Chipmunk-Variante, die bedrohliche Beat-Bass-Kombination stoppt. Zwanzig Sekunden danach wechselt der Song in eine verträumte Variante des ersten Teils mit weniger Bass, dafür aber mehr Xylophon. Und so weiter und sofort.
Die Wiedervereinigung von Jamie, Romy und Oliver Sim als The xx gibt es auf "Waited All Night" und knüpft tatsächlich an die Magie ihres ersten Albums an. "Still Summer" ist euphorischer EDM für Dachpartys. Sängerin Robyn sorgt auf "Life" für Glampop-Vibe. Und für den Kontrast sorgt "Breather" mit sechs Minuten Spielzeit, düsteren Synth-Flächen und zerhacktem Drum-Pattern.
"In Waves" fühlt sich an wie zehn Kaugummis im Mund gleichzeitig. Die zwölf Stücke lassen einem kaum Zeit, das Gehörte zu verarbeiten. Das Spiel mit Nuancen, was das Debüt von The xx so großartig werden ließ, fehlt. In Jamie xx steckt neun Jahre nach seinem Solodebüt "In Colour" und 13 nach dem Remix-Album "We're New Here" mehr kreative Energie denn je. Dank "In Waves" ist der Druck nun hoffentlich raus und der Fokus geschärft für das vierte The-xx-Album.
8 Kommentare mit 5 Antworten
Mir gefällt‘s. 4,5/5
"Treat each other right" ist richtig beschrieben, zieht das Album aber maximal auf eine 4,6 von 5 "runter".
Album is sehr fun und hat kein ausfall. Durchgehend hörbar. Favorit, Stil Summer.
9/10
Jep,ganz deiner meinung.9/10 von mir auch,und Falling Together für mich 10/10
5/5
Kritik weird: alles geil aber zu abwechslungsreich? naja
wärste in deinem leben jemals künstlerisch aktiv gewesen, wüsstest du, dass reduktion oft eine tugend ist
Begreifen/befolgen leider auch viele Kunstschaffende meiner Erfahrung nach nicht, verkappte Gitarristen am Bass zB, oder verkappte Gitarristen an den Drums, oder generell einfach Gitarristen.
Damn guitarists, they ruined guitar playing!
isso.
I Like.
Eh. Nicht nur hier völlig maßlos überschätzt, dieses ultraglatt und -steif gemangelte Konzeptalbum als Zeugnis einer (hoffentlich nur temporär währenden) individuellen kreativen Flaute.
Für mich eine Remineszenz an den UK House der späten Neunziger, die einfach nur Spaß machen soll und deren musikalische Relevanz man nicht auf die Goldwaage legen sollte...
Ultraglatt und -steif gemangelt; naja, wenn du meinst - liegt wahrscheinlich in der britischen Natur. Bei deutscher Musik allerdings auch häufig anzutreffen.