laut.de-Kritik

Lieber Hip Hop, der God MC ist zurück.

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Als Shawn Corey Carter vor knapp drei Jahren den Chefsessel im Def Jam-Bürogebäude in Manhattan übernahm, konnte er sich nicht weiter von seinem Herkunftsort Brooklyn entfernen. Geographisch nur eine kurze Fahrt über die Manhattan Bridge, für den ehemaligen Drogendealer aus den Marcy Projects war es ein Schritt in eine andere Welt.

Es folgten einige durchschnittliche Kollaborationen (Lupe Fiasco, Linkin Park, Rihanna), wenige herausragende Gastauftritte (Rick Ross, Young Jeezy) und ein, rückblickend betrachtet, lediglich akzeptables Comeback.

Und dann, gerade zurückgekommen aus dem Kurzurlaub in Saint-Tropez, sah Jay-Z den Film "American Gangster" und entschied sich spontan dazu, innerhalb von nur drei Wochen ein neues Album aufzunehmen. Die wahre Geschichte von Frank Lucas, einem ehrenwerten Drogendealer im New York der 70er Jahre, erinnerte Jay-Z an die eigene Biographie, als er in der Hood selbst Drogen vertickte und begann, in Reimform davon zu erzählen.

Und tatsächlich besinnt sich Herr Carter mit "American Gangster" so stark wie noch nie auf den Beginn seiner Karriere: sein Debüt "Reasonable Doubt" aus dem Jahre 1996. Man mag es kaum glauben, aber es war ein Hollywood-Film, der Jigga wieder in diese Zeit versetzte. Und ihn mit "American Gangster" ein hervorragendes Album aufnehmen ließ. Lieber Hip Hop, dein God MC ist zurück.

Denn tatsächlich erreicht Jigga seine wahre Qualität, wenn er über das Leben in den Straßen berichtet. Sein außergewöhnlicher Flow und sein gesammeltes Reimtalent fühlen sich in Streettales offensichtlich wohler als beim musikalischen Meeting eines Großkonzerns. Da kommt die "American Gangster"-Thematik als Konzept gerade recht. Denn, so ist es nun mal, Jigga ist schlicht und ergreifend mittlerweile mehr CEO als Straßenhustler.

Trotzdem, oder gerade deswegen, lässt Jay-Z auf den herrlichsten Bläsern seit "Encore" verlauten: "Truth be told, I had more fun when I was piss poor." Über eine konzeptionelle, imaginäre (!) Rückkehr in den Moloch des Ghettos kann man sich also nur freuen.

Wer Jay-Z hier also den Authentizitäts-Riegel vorschieben will ("Der wohnt doch mittlerweile in einem Penthouse in Manhattan!"), hat nicht nur überhaupt nichts verstanden, sondern auch keinerlei Freude an guter Rap-Musik. "Roc Boys" etwa swingt sich spielend in jede Single-Bestjahresliste. Auch DJ Toomp erschafft, ganz untypisch für ihn, eine dichte Orchester-Atmosphäre à la "Blueprint" ("Say Hello").

Just Blaze holt erneut alles und noch ein bisschen mehr aus Live-Schlagzeug und neu eingespieltem Curtis Mayfield-Bläsersample heraus ("American Gangster"). Von der von ihm produzierten und von Beanie Sigel begleiteten Großtat "Ignorant Shit" mal ganz abgesehen.

Außerdem zaubert Kanye West-Mentor No I.D. lediglich mit einer Hammondorgel und zurückgeschraubten Drums die absolut perfekte Grundlage für eine neue Jigga/Nas-Kollaboration ("Success").

Den größten Beitrag zum musikalischen Gesamtbild leistet jedoch Rap-Millionär-Freund Diddy bzw. sein Produzententeam The Hitmen. Sechs Instrumentals gehen auf das Konto von Sean C und LV, die, mit kreativer Unterstützung von Diddy, den vorliegenden Teppich aus Blaxploitation-Ästhetik und eben dieser "Reasonable Doubt"-Hommage gewoben haben.

Aus dem Konzept fallen zu guter Letzt zwei Neptunes-Beiträge: "I Know" kratzt dabei an qualitativer Mittelmäßigkeit. Auf "Blue Magic" hätte ich jedoch, wahrscheinlich aufgrund meiner Sympathie für staubtrockenen Pharrell-Wahnsinn mit Großdealer-Anspielungen, nur ungern verzichtet.

Soweit die musikalische Untermalung. Zum Auftritt des Meisters selbst bleibt lediglich folgendes zu sagen: An den von Jay-Z wiederbesetzten Thron können sich noch immer die Wenigsten mit der Säge wagen. Insbesondere wenn sich Jigga im von ihm miterfundenen Terrain des ehrenwerten Gangsterraps bewegt. Jigga macht immer noch "black superhero music." Da können Hater und Neider gleichermaßen erzählen, was sie wollen.

Trotzdem kommt Jiggas mittlerweile zehntes Album, das Platz Eins der amerikanischen Charts besetzen wird, nicht ohne Kritik weg. "American Gangster" (das Album) gleicht in Idee und Ausführung "American Gangster" (dem Film). Ridley Scott führt Regie, Denzel Washington und Russell Crowe spielen die Hauptrollen - der Film ist also durch und durch ein Hollywood-Blockbuster. Mehr ein Konsenswerk als eine tiefsinnige Independent-Produktion. Eben genau wie Jay-Zs Platte.

Und sowohl Musik, als auch Filme, die hinsichtlich von Verkaufsargumenten produziert werden, erreichen eben in den seltensten Fällen Klassikerstatus. Das gilt im gleichen Maße für den Labelboss mit Millionengehalt aus Manhattan, wie für den strugglenden Nachwuchsrapper aus Brooklyn.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Pray
  3. 3. American Dreamin'
  4. 4. Hello Brooklyn 2.0
  5. 5. No Hook
  6. 6. Roc Boys (And The Winner Is)...
  7. 7. Sweet
  8. 8. I Know
  9. 9. Party Life
  10. 10. Ignorant Sh*t
  11. 11. Say Hello
  12. 12. Success
  13. 13. Fallin'
  14. 14. Blue Magic
  15. 15. American Gangster

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85 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 17 Jahren

    Zitat (« der Film ist also durch und durch ein Hollywood-Blockbuster. Mehr ein Konsenswerk als eine tiefsinnige Independent-Produktion. Eben genau wie Jay-Zs Platte. »):

    wieso dann vier punkte? hab mir das teil mal durchgehört und finde es erschreckend, wie da ein absolut durchschnittliches album derart abgefeiert wird. ganz grausam. das nas-teil ist der einzige track des gesamten albums, der wenigstens in ansätzen was bewegt.

  • Vor 17 Jahren

    Jay-Z? Ist das nicht der amerikanische Maeckes?

  • Vor 17 Jahren

    Jay-Z ist der Typ der zum richtigen Zeitpunkt aufgehört hat und noch doch wieder Platten veröffentlicht die nicht mal als B-Seitensammlung gut wären.