laut.de-Kritik

Wie ein Kurs zum unkreativen Schreiben.

Review von

Einen kurzen Moment erwischt mich die smoothe Stimme von Jazeek. Bevor die Review gleich relativ gehässig wird, kurz vorweg: Der Junge, der gerade mit seinem R'n'B-Rap-Trapsoul-Singsang die Charts emporsteigt, hat tatsächlich Soul in seiner Stimme. Er swingt! Das haben wir hier in Weißbrotland nicht alle Tage, aber wie so oft scheint das Label ein gutes Fundament mit einem perfekt ausgereiften Artist zu verwechseln. Ein Newcomer, bekannt geworden via TikTok über 2000er-Nostalgie-Famesamples (konkret: Er hat "Stadt" von Cassandra Steen verwurstet), releast sein drittes Album mit achtzehn Songs knapp über zwei Minuten. Manchmal kommt da gutes Zeug raus, bei Jazeek nicht.

Der unterhaltsamste Moment dieser Platte kommt in Form eines Xavier Naidoo-Samples, auf dem mir unwillkürlich auffällt, dass er wirklich so ein bisschen eine Naidoo-Stimme hat. Schon lustig, sich Onkel Xavier wiedergeboren als TikTok-Fuckboy vorzustellen, der über Geld und Bitches singt. Zumindest lustiger als alles, das uns auf "NinetyNine" sonst so dargeboten wird.

Dieses Album ist sterbenslangweilig. Ich weiß nicht, ob Jazeek seine Songs selbst schreibt, aber entweder braucht er jemanden, der ihm Songs schreibt, oder wer auch immer diese Songs geschrieben hat braucht jemanden, der ihm Songs schreibt. Wie jedes stattliche deutsche Mainstream-Release handelt auch "NinetyNine" vorrangig von toxischen Beziehungen. Dieses "Buhu, du bist gemein, du gehst fremd, ich geh fremd, aber dann vögeln wir doch wieder, das Leben ist hart, mehrere Zigaretten-Emojis". Wovon auch sonst? Jeder schreibt darüber! Vor ein paar Jahren hat irgendein Studio-Hack wohl eine gigantische Super-Maxi-Kessel-Portion generischer Herzschmerz-Lyrics à la Maroon 5 gekocht, und seitdem baggern sich Rapper und R'n'B-Leute dieses Zeug auf ihre Songs wie Kartoffelbrei aus der Schulkantine.

Komm, Jazeek, bring uns deinen Herzschmerz mit einem klug gewählten Bild näher! "Baby, ich bin süchtig nach dir / Bist mein Nikotin." Okay. Vielleicht doch ein anderes Thema? "Ich hab gemerkt, bist du reich, ziehst du Hater an." Abgefahren, dass vor ihm noch niemand diese Verbindung gezogen hat! Jetzt beide Themen gleichzeitig: "Die Liebe war fake, du wolltest meinen Zaster." Jetzt bitte noch einen Bomben-Vergleich! "Du verletzt mich wie ein Messer". Ja, Strike, Full House, Schachmatt. Der Junge ist geradezu bereit für Eko Freshs 1000-Bars-Meisterprüfung. Lasst ihn Aufzähler-Style rappen. Die letzte Line gewinnt übrigens auch im Kontext überhaupt nichts. Na, wer schafft es in dieser Passage den Endreim zu raten? "Ich dachte, du kennst mich so viel besser / Aber du verletzt mich wie ein Messer / Direkt in mein Herz / Doch ich fühle keinen … (?)"

Man könnte wirklich meinen, Jazeek habe in der Schule einen Kurs zum unkreativen Schreiben belegt, so wenig Persönlichkeit, wie in diesem Album steckt. Man könnte jede Zeile jedes Songs auf jeden anderen Song schieben. Das Zimmer bliebe genau gleich unaufgeräumt. Wenigstens schaltet er ab und zu in den Rappermodus, um zu beweisen, dass er immerhin die Dualität von den generischsten R'n'B-Klischees hin zu den generischsten Rapklischees der Welt kennt. "Wie du seh'n kannst, bin ich immer noch am Block, immer noch auf Ott / Packets werden immer noch geroppt, TNs oder Shox / Werd'n bei uns immer noch gerockt, in der Boxershorts / Hab' ich gutes Haze oder Rocks, nein, es nimmt kein'n Stopp." Klingt das wie der junge, heiße Newcomer auf dem Album, auf dem er es allen zeigt? Oder klingt das eher wie Bushido, 2028 auf "Immer Noch 5.2b Remix (Anis' Version)"? Hält ihn trotzdem nicht davon ab, danach Sachen zu behaupten wie: "Rauch einen Joint, ich werde zum Poet." Wir wissen, es gibt nur einen Reim, zu dem dieses Wort uns führen könnte: "Eins-fünf für 'ne Moët." Ich spüre die Poesie meinen Rücken hinaufkrabbeln.

Verstehe dann auch mal einer, wie Leute ein Album so blass machen können, dass es wissenschaftliche Spurenleser bräuchte, um auch nur annäherungsweise eine Persönlichkeit darin zu finden, aber sich trotzdem widersprechen. Rap-Jazeek und R'n'B-Jazeek stehen wunderbar nebeneinander wie "ich bin der Größte, ich box dich, ich bin stinkend reich und alle Frauen lieben mich..." neben "... aber ich bin auch ein ganz armer Bubu :(" und "... meine Ex ist eine blöde Schlampe >:(".

Wahrscheinlich folgt diese Review dem ganz falschen Konzept, sich so auf die Texte zu konzentrieren, denn es geht ja um den Sound und die Vibes. Aber ein Mann muss tun, was er tun muss. Um wach zu bleiben. Nein, dieses Album ist wahrscheinlich nicht einmal dafür konzipiert, aufmerksam gehört zu werden, dieses Album scheint barely fürs Hinhören gemacht zu sein. Es ist okay-vibiges Geplätscher, das irgendwie zeitgemäß und handwerklich solide klingt. Es schmiegt sich an und geht aus dem Weg, wenn es soll. Allein "Baile Funk Im Blut" mit Mero wagt es, Jazeek einmal auf einen anderen Beat zu packen, nämlich auf eine perfekt generische Skizze des Brazil Funk-Trends. Locker der beste Song hier, aber es spricht auch nicht gerade für jemanden, wenn man sich Mero für ein kreatives Level-Up aufs Album holen muss.

So überfrachtet "Ninetynine" quasi das Medium Album-Review an sich: Soll man jetzt sagen, dass es gut ist, weil es den absoluten, denkbaren Mindestanspruch an Musik erfüllt – und mehr hat es ja auch gar nicht vorgehabt? Oder soll ich sagen, dass es schlecht ist, weil die Texte schlecht sind? Verdammt, ich habe mir inzwischen wahrscheinlich mehr Gedanken über diese Texte gemacht als Jazeek und all seine Fans zusammen. Der Junge ist handwerklich begabt, aber im Grunde auch nur die nächste, auffällig blasse Durchdeklinierung der Phrasen des Tages. Das ist weniger Musik als einfach nur Content.

Trackliste

  1. 1. Noch Einmal
  2. 2. Like Ü
  3. 3. Nikotin (feat. 255)
  4. 4. Real G
  5. 5. Fühlst Du
  6. 6. Wieder Mal (feat. Pajel)
  7. 7. 112
  8. 8. Rufe Dich An
  9. 9. Warum Bin Ich So
  10. 10. Racks On Me
  11. 11. Superstars
  12. 12. Ok Ok (feat. Saliou)
  13. 13. Ms Germany
  14. 14. Round And Round
  15. 15. Für Dich
  16. 16. Baile Funk Im Blut (feat. Mero)
  17. 17. Lüg Mich An
  18. 18. Take It

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