laut.de-Kritik

Ein Comeback mit Ups und Downs.

Review von

Vor einigen Wochen überraschte Jewel mit besorgniserregenden Anekdoten aus ihrer Vergangenheit. Obdachlosigkeit, Nahtoderfahrungen, sexuelle Belästigung: Die Sängerin mit dem markanten Organ ging nach eigener Aussage kurz vor der Veröffentlichung ihres Debütalbums 1995 nicht nur einmal "durch die Hölle".

"Pieces Of You" erwies sich damals glücklicherweise als rettender Anker. Sage und schreibe 114 Wochen verweilte das Album in den Billboard-Charts. Praktisch über Nacht katapultierten Songs wie "You Were Ment For Me" und "You Will Save Your Soul" die Amerikanerin vom Bürgersteig auf den roten Businessteppich.

20 Jahre später blickt Jewel auf eine Karriere voller Aufs und Abs zurück. Nach herausragenden Jahren in der rootslastigen Country-Folk-Branche begab sich die Sängerin zu Beginn des neuen Jahrtausends auf Abwege. Plötzlich tanzte sie unter der Diskokugel und mimte die Pop-Diva.

Der Schuss ging natürlich nach hinten los. Mit ihrem Comeback-Album "Picking Up The Pieces" kehrt sie nun in die Spur zurück, die ihr Mitte der Neunziger im wahrsten Sinne des Wortes das Leben gerettet hat: Die mittlerweile 41-Jährige lässt jegliches High Tech-Gedöns im Keller. Übrig bleiben nur ihre Stimme sowie ein musikalischer Background, den man getrost als minimalistisch bezeichnen kann.

Wahlweise von akustischen oder leise röhrenden Twang-Gitarrensounds begleitet geht es zurück ins besagte Jahr 1995, als countryeske Folkklänge im Leben von Jewel noch die erste Geige spielten. Hier und da gesellen sich noch etwas Schlagzeug und liebliche Pianothemen hinzu. Das wars aber auch schon. Der Fokus liegt eindeutig auf Jewels Stimme. Und die weiß auch nach zwanzig Jahren Businesszugehörigkeit noch zu beeindrucken.

Gleich zu Beginn präsentiert die Bardin während des zart gezupften Opener-Duos ("Love Used To Be", "A Boy Needs A Bike") ihre komplette stimmliche Bandbreite. Anfangs noch rauchig zart klettert das Timbre im Verlauf der melancholischen Balladen in respektable Höhen empor.

"Everything Breaks" startet ähnlich berührend. Zur Mitte des Songs hin wird es aber eine Spur zu melodramatisch. Fast schon weinerlich jauchzt sich Jewel von einer Zeile zur nächsten. Weniger ist bekanntlich manchmal mehr: so wie im Fall von "Family Tree", "His Pleasure Is My Pain" oder dem gemeinsam mit Rodney Crowell vorgetragenen "It Doesn't Hurt Right Now". Hier verzichtet die Sängerin auf die große stimmliche Inszenierung. Dennoch sitzt man mit Gänsehaut auf den Armen vor den Boxen.

Jewel präsentiert sich aber nicht nur ausschließlich von ihrer balladesken Seite. Das verspielte - ab und an gar in jazzige Gefilde abdriftende – "Here When Gone", das mit Geigentupfern und rhythmischen Dynamikspielereien untersetzte "Nicotine Love", sowie das klappernde Kammerspiel "Plain Jane" beweisen, dass man minimalistischen Arrangements auch mit belebendem Schwung begegnen kann.

Trackliste

  1. 1. Love Used To Be
  2. 2. A Boy Needs A Bike
  3. 3. Everything Breaks
  4. 4. Family Tree
  5. 5. It Doesn't Hurt Right Now
  6. 6. His Pleasure Is My Pain
  7. 7. Here When Gone
  8. 8. The Shape Of You
  9. 9. Plain Jane
  10. 10. Pretty Faced Fool
  11. 11. Nicotine Love
  12. 12. Carnivore
  13. 13. My Father's Daughter
  14. 14. Mercy

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